Filmbuch-Rezension: Guido Heldt, Tarek Krohn, Peter Moormann und Willem Strank (Hrsg.) „FilmMusik – Ennio Morricone“

tukennioAls erstes Buch der neuen Reihe „FilmMusik“, die im Verlag edition text + kritik erscheint, ist eine Zusammenstellung mit Essays über die Arbeit Ennio Morricones herausgekommen. Wer sich hiervon ein biographisches Werk verspricht, wird enttäuscht sein. Die Reihe „FilmMusik“ versteht sich als „Podium für den Dialog zwischen Musik- und Filmwissenschaft und bietet Raum für analytische, ästhetische, historische oder soziologische Zugänge. Musik und Film meint nicht nur Filmmusik; das Verhältnis der beiden Künste ist nicht eines der Unterordnung der einen unter die andere, sondern eines der vielfältigen Durchdringung“. So steht es auf dem Klappentext der Veröffentlichung.

Die Herangehensweise, sich hier wirklich auf die Musik zu konzentrieren und diese wissenschaftlich zu analysieren, ohne dabei das Medium Film – für die sie geschrieben wurde – außer acht zu lassen, ist ebenso komplex, wie hochspannend. Dass hier ausschließlich Musikwissenschaftler beteiligt sind, merkt der Laie spätestens, wenn zur Verdeutlichung einzelner Thesen Auszüge aus Notenblätter abgedruckt werden. Dem steht der Filmfreund, der Musik zwar gerne konsumiert, sich allerdings nie mit Notenlehre oder dem theoretischen Hintergrund auseinandergesetzt hat, natürlich erst einmal etwas hilflos gegenüber. Allerdings mag dies den Lesefluss zwar hemmen und einen Teil der Thesen nicht in aller Gründlichkeit nachvollziehbar machen, aber die Texte bieten genug Gehalt, dass man auch so versteht, worum es geht.

Der Band beginnt mit einer Einführung von Sergio Miceli, Professor für Musikgeschichte und Filmmusikgeschichte in Florenz, in die Person Ennio Morricone, seinen Lebensweg und seine musikalische Laufbahn. Ein interessanter, sehr lesbarer und aufschlussreicher Text, der allerdings unter einem etwas ärgerlichen Manko leidet. Im Buch habe ich keinen Hinweis zur Übersetzung gefunden, somit ist es möglich, dass Professor Miceli seine Abhandlung selber auf Deutsch geschrieben hat. Sollte dem so sein, war es keine glückliche Entscheidung, denn oftmals bleibt die Grammatik der Sätze in der italienischen Konstruktion, oder es werden scheinbar direkt aus dem Italienischen übernommene Wortwendungen gebraucht, die für deutsche Ohren dann häufig etwas „schief“ oder „seltsam“ klingt, und den Leser doch arg irritiert.

Stefan Drees, Lehrbeauftragter für Musikwissenschaft an der Universität Essen, schreibt dann über die Zusammenarbeit zwischen Morricone und Sergio Leone, und darüber, wie Morricone alltägliche Geräusche in seine Arbeit einfließen lässt und diese beinahe unmerklich, aber mit große Effektivität, zu einer Art unsichtbarer Filmmusik modelliert. Ein sehr spannender Artikel, der viele neue Aspekte in Morricones Arbeit aufzeigt. Später befasst sich Tim Summers, Lecturer in Music am St. Cathrine’s College in Oxford, sehr eingehend mit der Frage: „C’era una volta il west – Eine Oper über den Tod?“, und stellt dem Film Beispiele aus Opern und deren Strukturen gegenüber. Auch ein interessantes Thema, aber bereits der zweite Beitrag in dem Buch, welcher auf die berühmteste Kollaboration Morricones, eben jener mit Leone, eingeht. Und wieder einer, der seine Western-Scores in den Vordergrund stellt. Generell fehlt es mit hier etwas an Bandbreite. Morricone hat wunderbare Musik für Giallos, französische Kriminalfilme und auch für Komödien geschrieben. Dies wird aber ebenso wenig untersucht, wie seine späteren Hollywood-Arbeiten. Auch fehlt mir ein Kapitel über seine Arbeiten im italienischen Pop- und Schlagerbereich.

Dafür wird eine andere, unbekanntere Seite Morricones, hier in ebenfalls zwei Kapiteln ausführlich analysiert. Denn Morricone hat schließlich auch über 100 Werke für den Konzertsaal geschrieben, die „sich als Auseinandersetzung mit den Tendenzen der zeitgenössischen Neuen Musik verstehen“. Eigentlich verstand sich Morricone nach Abschluss seines Kompositionsstudiums 1954 als Komponist der „musica d’avanguardia“. Seine Arbeit im U-Sektor diente lediglich dem Broterwerb und wurde von ihm zunächst schamhaft unter Pseudonym durchgeführt. Christiane Hausmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bach-Archiv Leipzig, widmet sich dieser – selbst seinen größten Fans häufig völlig unbekannten – wichtigen Seite in Morricones musikalischem Schaffen und Selbstverständnis. Franco Sciannameo, Professor der Filmmusikwissenschaft am College of Fine Arts der Carnigie Mellon University in Pittsburgh, wirft einen – nach eigenen Worten – „flüchtigen Blick“ auf Morricones Concerto per Orchestra von 1957. Tatsächlich geht er auf 21 Seiten sehr genau auf dieses und auch andere orchestrale Werke auf dieser Zeit ein. Natürlich auch mit vielen Notenbeispielen.

Neben Leone hat Morricone auch sehr eng mit Pier Paolo Passolini zusammengearbeitet. Fast immer mit höchst erstaunlichen Resultaten oder leise, aber prägnant im Hintergrund, wenn er für Passolini Werke anderer Komponisten aussuchte und arrangierte. Von dieser faszinierenden Zusammenarbeit berichtet Roberto Calabretto, Professor für Musik mit Schwerpunkt Filmmusik an der Universität Udine. Herzstück des Buches, und sehr lohnend, ist ein 14-seitiges Interview ist dem Maestro selber, welches 2011 von Robert Rabenalt und Ornella Calvano geführt wurde, und welches sehr erhellende Einblicke in das Wesen und Denken Morricones gibt. Und indirekt auch die Erklärung dafür liefert, weshalb Morricone eine zeit lang – mittlerweile ist er da ja zurückgerudert und hat alles zu einem Missverständnis erklärt – gar nicht gut auf Quentin Tarantino zu sprechen war, der ja ein von Morricone speziell für ihn geschriebenes Stück in „Django Unchained“ einfach an einer Stelle einsetzte, für die es gar nicht vorgesehen war. Liest man das Interview, dann weiß man, dass dies für Morricone mit das Schlimmste ist, was man ihm bzw. seiner Musik antun kann.

Guido Heldt, Tarek Krohn, Peter Moormann und Willem Strank (Hrsg.): FilmMusik – Ennio Morricone, edition text + kritik, 169 Seiten, Euro 27.00

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