DVD-Rezension: “Zeuge gesucht”

zeuge gesuchtNach einem Streit mit seiner Frau, zieht Scott Henderson (Alan Curtis) durch die Stadt und lernt in einer Bar eine geheimnisvolle Dame kennen. Gemeinsam ziehen sie weiter. Als Henderson spät in der Nacht nach Hause kommt, wird er dort bereits von der Polizei erwartet. Seine Ehefrau wurde ermordet und er ist der Hauptverdächtige. Sein einziges Alibi ist nun die geheimnisvolle Frau, doch niemand scheint sich an sie zu erinnern. Als Henderson verurteilt wird, macht sich seine Sekretärin Carol Richman (Ella Raines) auf, die unbekannte Dame zu finden. Unterstützung erhält sie dabei von Hendersons besten Freund Jack Marlow (Franchot Tone), unwissend, dass der sein ganz eigenes Motiv hat, die Frau zu finden…

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Robert Siodmak gehört zu den Künstlern, die den „Film noir“ geprägt haben. Siodmak wurde 1900 in Dresden geboren. Seine ersten Sporen als Regisseur verdiente er sich mit dem legendären „Menschen am Sonntag“, wo er neben seinem Bruder Curt, Edgar G. Ulmer und Fred Zinnemann (Drehbuch u.a. Billy Wilder) für Regie und Drehbuch verantwortlich war. Es folgten Filme wie die z.B. die Heinz Rühmann-Komödie „Der Mann, der seinen Mörder suchte“ (ebenfalls von Billy Wilder geschrieben). 1933 floh er vor den Nazis nach Frankreich, wo er sich zunächst eine erfolgreiche Karriere aufbaute, und dann 1941 weiter nach Hollywood, wo bereits seit 1937 sein Bruder, der Drehbuchautor Curt Siodmak, lebte. Dieser hatte sich mit den Drehbüchern für legendäre Horrorfilme, wie „Der Wolfmensch“ oder „Ich folgte einem Zombie“ und vielen anderen, mehr einen guten Namen gemacht. Robert Siodmak drehte 1944 mit „Zeuge gesucht“ seinen ersten Film noir und sollte bald einer der bedeutendsten Regisseure dieses Genres werden.  1955 kehrte er über Frankreich nach Deutschland zurück, wo er u.a. „Nachts, wenn der Teufel kam“, den großen Durchbruch von Mario Adorf, und einige Karl-May-Orient-Verfilmungen inszenierte. Sein letzter großer Film war der zweiteilige „Kampf um Rom“ 1968/69, eine deutsch-italienische Co-Produktion mit einer großen internationalen Besetzung. Danach zog er sich aus dem Filmgeschäft zurück und starb 1973 in der Schweiz.

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Heutzutage wirkt „Zeuge gesucht“ wie ein B-Film, da die Darsteller mittlerweile so gut wie vergessen sind. 1944 waren die beiden männlichen Hauptdarsteller aber gerade groß in Mode. Star des Filmes ist Franchot Tone. Zur damaligen Zeit nicht nur ein Star am Theater, sondern auch durch seine Rollen in Filmen wie „Meuterei auf der Bounty“ (für die er für einen Oscar nominiert wurde), sowie seine Ehe mit Joan Crawford bekannt. Mit Beginn der Kommunisten-Hatz in den USA, wurde es für ihn schwieriger, Rollen zu bekommen (wahrscheinlich durch seine Verbindung zum als „links“ bekannten „Globe“-Theater in New York). Und nach einer Prügelei in den späten 50ern, musste er sich einer plastischen Behandlung unterziehen, die seine Sprache beeinträchtigte. 1968 starb er fast völlig vergessen an Lungenkrebs. In „Zeuge gesucht“ tritt er erst nach gut der Hälfte auf, zieht den Zuschauer aber gleich in seinen Bann. Als schlanke, dunkle Gestalt taucht er bei seinem Opfer auf und verwickelt es in ein Gespräch, welches keinen Zweifel daran lässt, dass er bereit ist über Leichen zu gehen und dabei durchaus Freude empfindet. Währenddessen werden dezent seine (riesig und mächtig aussehenden) Hände ausgeleuchtet, die er immer wieder fasziniert dreht, wendet und verliebt ansieht. Alles strahlt Tones Faszination dafür aus, mit diesen Händen Herr über Leben und Tod sein zu können. Zu schaffen (er ist Skulpteur) oder zu vernichten. Tone schafft die Balance zu halten, seinen Jack Marlow einerseits liebenswürdig, aber immer auch gefährlich erscheinen zu lassen, wobei jederzeit der Wahnsinn unter der Oberfläche lauert. Einzig einige allzu offensichtliche Manierismen stören etwas und erinnern doch stark an seinen Theaterhintergrund.

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Es ist interessant zu sehen, wie das Drehbuch eine Verlagerung von dem zunächst als Hauptfigur eingeführten Alan Curtis zu seiner Sekretärin Ella Raines, als eigentliche Heldin des Filmes, durchführt. Zunächst bleibt die Handlung ganz bei Curtis, doch sobald er ins Gefängnis gehen muss, lässt seine Kraft nach und auch sein Charisma verschwindet. Im Gegensatz zur toughen Ella Raines ist er eher weinerlich und man begreift kaum noch, warum die Raines scheinbar weiter in ihn verliebt ist und sich am Ende über einen Heiratsantrag freut. Die Figur des Scott Henderson bleibt eine gutaussehende Hülle (Curtis war vor seiner Filmkarriere Modell), aber mit wenig dahinter. Demgegenüber ist Ella Raines von ganz anderem Kaliber. Mit sichtbarer Spielfreude wirft sie sich enthusiastisch in die Rolle der Carol „Kansas“ Richman, die heimlich in ihre Chef verliebt ist (eine wunderbare kleine Szene, zeigt, wie sie sich schnell die Strümpfe zurechtzupft, bevor sie in sein Büro geht) und sich wie ein Terrier in die Suche nach dem wahren Mörder verbeißt. Insbesondere die Szene, in der sie sich als „lockeres Mädchen“ verkleidet, scheint ihr sichtlich Spaß zu machen. Für Ellen Raines war es erst der dritte Film und sie sollte noch in einige „Noirs“, auch für Sidomak, mitspielen. Ihre frische und lebhafte Art macht sie hier augenblicklich zu Sympathieträger.

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Interessanterweise ähnelt die Geschichte von „Zeuge gesucht“ sehr der des letzten Filmes von Francois Truffaut: „Auf Liebe und Tod“. Auch in jenem geht es um eine Sekretärin, die heimlich ihn ihren Chef verliebt ist und sich, als dieser unter Mordverdacht gerät, als Amateur-Detektivin versucht. Doch während Truffauts Film auf einem 1962 erschienen Roman von Charles Williams beruht, stammt die Vorlage zu „Zeuge gesucht“ vom großen Cornell Woolrich, der „Phantom Lady“ 1942 unter dem Pseudonym William Irish veröffentlichte. Interessanterweise verfilmte Truffaut in den 60er auch zwei Woolrich-Romane, nämlich „The Bride Wore Black“ und „Waltz Into Darkness“. Auch der Film noir generell bediente sich oft und gerne bei Woolrich. Z.B. bei „Die Nacht hat tausend Augen“ von John Farrow (Vater von Mia) mit Edward G. Robinson oder „Schwarzer Engel“ von  Roy William Neill (auch in der „Film noir Collection“ von Koch Media erschienen). Gefilmt wurde „Zeuge gesucht“ von einem Veteranen der Universal-Horror-Filme, Elwood „Woody“ Bredell. Regisseur Siodmak wies ihn an, sich bei der Bildgestaltung an Rembrandt-Gemälde zu halten, was insbesondere den Szenen im Gefängnis eine einzigartige Stimmung verleiht. Besonders hervorgehoben werden muss aber eine Szene mit Elisha Cook Jr. als frenetischer Drummer in einem winzigen Jazz-Club. Diese Szene konzentriert sich ganz auf die Musik und die wilde, ausgelassen Stimmung. In ihrem Mittelpunkt steht Cooks wahnwitzige Performance am Schlagzeug und sie sticht so sehr aus dem Film hervor, dass man sie auch gut außerhalb des Handlungs-Kontextes als avantgardistischen Musik-Kurzfilm zeigen könnte.

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„Zeuge gesucht“ besticht nicht nur durch einen interessanten Aufbau der Geschichte und eine vorzügliche Kameraarbeit, sondern vor allem durch die sympathische Ella Raines, die sich förmlich in ihre Rolle wirft, und Franchot Tone, der dem Killer interessante, neurotische Seiten abgewinnen kann.

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Die Nr. 15 ind er Koch Media „Film noir Collection“ weist ein gutes und klares Bild auf und einen sauberen Ton. Statt irgendwelchen Extras, liegt der in einem buchartigen Cover erschienen DVD, wieder nur ein 11-seitiges Booklet von Thomas Willmann bei. Dieses ist aber sehr informativ geschrieben und somit ein echter Mehrwert.

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