DVD-Rezension: “Vanishing Waves”

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Lukas (Marius Jampolskis) ist ein junger Wissenschaftler der an einem Experiment teilnimmt, bei dem er in den Geist einer Koma-Patientin eindringen kann. Dort soll er nur Beobachten, doch gleich beim ersten Kontakt mit der wunderschönen Aurora (Jurga Jutaite), wirft er seinen wissenschaftlichen Auftrag über den Haufen und beginnt eine leidenschaftliche, sexuelle Affäre mit dem Testobjekt. Immer wieder kehrt er zu Aurora zurück, um mit ihr seine Fantasien auszuleben. Seinen Kollegen erzählt er allerdings nichts von seinen Erlebnissen, weil er weiß, dass er sonst sofort von dem Projekt abgezogen würde. Doch Lukas’ Freundin Lina (Martina Jablonskyte) merkt bald, dass mit ihm etwas nicht stimmt…

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Nur sehr selten finden Filme aus Osteuropa ihren Weg nach Deutschland. Ab und zu einmal ein tschechischer Film, ein russischer oder ganz selten auch ein polnischer. Dabei ist gerade diese Filmlandschaft reich an Entdeckungen und Schmuckstücken. Mit „Vanishing Waves“ hat es – meines Wissens nach das erste Mal – ein Film aus Litauen zu einer deutschen Heimkinoveröffentlichung gebracht. Dabei half sicherlich, dass der Film der jungen Regisseurin Kristina Buozyte mit Frankreich und Belgien co-finanziert wurde und auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest lief. Mir war der Film bereits Anfang des Jahres aufgefallen, als er auf dem International Fantastic Film Festival in Brüssel lief, und er war lange Zeit mein Favorit für eine Aufführung bei unserm Phantastival Bremen. Jetzt ist uns aber Donau Film mit einer vorbildlichen DVD-Veröffentlichung zuvorgekommen.

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„Vanishing Waves“ hat trotz seiner thematischen Nähe zu „Inception“ nichts mit großer Action am Hut, sondern nähert sich dem Thema des Eindringens in eine fremde Psyche auf philosophische Weise. Lukas wird am Anfang eingebläut, dass er sich nur als Beobachter im Hintergrund halten soll, um keinen Einfluss auf die Gedanken des Versuchsobjektes zu nehmen. Und tatsächlich scheinen Lukas‘ ersten Interaktionen mit Aurora ganz allein von ihm gesteuert. Wenn sie sich ohne großes Kennenlernen gleich zu Beginn in einem leeren Raum ihren Leidenschaften hingeben, dann scheint dies ganz aus seinem eigenen Unterbewusstsein entsprungen. Die ultimative sexuelle Fantasie. Ein schönes Mädchen, das sich einem sofort und bedingungslos hingibt. Schon zuvor hat Regisseurin Buozyte Hinweise eingestreut, dass Lukas unter einer Art Sexsucht leidet, wenn seine Freundin ihn vor dem Computer allein lässt und Lukas nach einer 360 Grad Kamerafahrt scheinbar vor dem PC zu Pornobildern masturbiert. Auch später gibt es noch eine drastische Szene, in der Lukas wie ein Junkie die Dienste einer Prostituierten sucht.

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Kommuniziert Lukas wirklich mit der Psyche der komatösen Aura oder beeinflusst und manipuliert er diese unbewusst. Oder werden seine schutzlosen Gedanken im Geiste von Aurora deformiert, und haben seine Ausflüge in die fremde Psyche Einfluss auf seine eigene Wirklichkeit. Das legt die Szene nah, in der er beinahe seine Freundin vergewaltigt. Potenzieren sich dadurch, dass Lukas in Auroas Geist eine Welt nach seinem Willen erschafft, seine Begierden, so dass er diese in seiner Realität nicht mehr kontrollieren kann? Und ist das, was Lukas über Auroras Vergangenheit herausfindet wirklich die Wahrheit? Oder interpretiert er nur die wenigen Informationen, die er im Lauf der Zeit zusammensammelt, und erfindet eine ganz eigene Geschichte, die ihm gut gefallen würde. Die von der armen Frau und ihrem tyrannischen Ehemann, der sie sexuell ausnützt und vor dem sie beschützt werden muss? Ist Auroras finale Flucht vor Lukas nicht ihr Flehen, er möge ihre Erinnerungen, ihre Vergangenheit, nicht weiter manipulieren?

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Das effektive und mit einfachen Mitteln der Verfremdung arbeitende Produktionsdesign, ist einer der großen Pluspunkte von „Vanishing Waves“. Hier das Holzhaus mit den merkwürdigen Proportionen und das unwirkliche, goldene Licht in der Traumwelt, dort die harte Realität des sterilen Labors und die kalten Farben von Lukas Welt. Gerade in der letzten Hälfte des Filmes, wenn die Traumwelt in eine Albtraumwelt kippt und die – tatsächlichen oder von Lukas erfundenen – dunklen Geheimnisse aus Auroras Vergangenheit an die Oberfläche spülen. Unterstützt wird dies auch durch einen sphärisch-hymnischen Soundtrack, der manchmal vielleicht etwas zu viel des Guten ist, aber sich insgesamt gut in den Film einfügt. Gerade in der bemerkenswertesten Szene zum Ende des Filmes, wenn zwei nackte Körper sich minutenlang durch das Dunkel jagen, erzeugt die Musik eine beinahe unerträgliche Intensität.

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Wo man durchaus Abstriche machen muss, ist bei der Charakterzeichnung. Lukas bleibt einem den Film hinweg fremd. Man kann seine Gefühle und Gedanken nicht durchschauen und auch die Informationen, die Kristina Buozyte ausbreitet, sind eher widersprüchlicher Natur und lassen ihn häufig unsympathisch und leicht manisch erscheinen. Aurora hingegen hat gar keine eigenständige Persönlichkeit, sie sie ganz Projektionsfläche für Lukas Fantasien und Begierden. Nur manchmal bricht ihre eigene Persönlichkeit durch, wenn sie z.B. bemerkt, dass sie nichts fühlen, nichts schmecken kann. Doch wer diese Frau eigentlich ist/war, wird nie so richtig klar, was durchaus auch Konzept des Drehbuchs ist. Aber ein quasi Zwei-Personenstück in dem einen beiden Charaktere fremd bleiben, ist immer etwas problematisch.

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Aus Litauen kommt eine ruhige, erotische Science-Fiction-Meditation zu uns, die weniger auf große Effekte, sondern auch psychologische Entwicklungen und philosophische Fragen wert legt. Was aber nicht heißen soll, dass in den Aufbau der „Traumwelt“ kein Aufwand geflossen sei. Gerade durch das Produktionsdesign und die Kameraarbeit, aber auch den sphärische-hymnischen Soundtrack (der allerdings Geschmackssache ist) weiß „Vanishing Waves“ zu bestechen.

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Die von Donau Film herausgegeben 2-Disc Collector’s Edition ist ein Traum. Hier hat man sich wirklich große Mühe gegeben, den Film mit unfassbar vielen, interessanten Extras anzubieten. So enthält die Bonus-DVD nicht nur ein 18-minütiges „Making Of“, zwei Interviews mit Kristina Buozyte (7 und 39 Minuten) und der Präsentation der Filmes beim BIFF (10 Minuten), sondern auch den kompletten Soundtrack zuzüglich diverser Remixe (55 Minuten, läuft über Standbildern aus dem Film) und als Highlight Kristina Buzytes ersten Spielfilm „The Collectress“ (84 Min., auf Litauisch mit nicht ausblendbaren englischen Untertiteln). Trailer und Teaser für „Vanishing Waves“, sowie der Trailer zu „The Collectress“ runden das ausgezeichnete Bild ab.

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