Bericht vom 30. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 2

Am zweiten Tag traf ich mich bereits in Bremen mit Stefan, und wir stellten verblüfft fest, dass wir diesen Tag komplett im Theaterhof verbringen sollten. Vor ein paar Jahren wäre dies noch ein Grauen gewesen, doch in den letzten Jahren wurde ordentlich in die Technik investiert. Statt eines altersschwachen Beamers, der mehr grau als schwarz konnte und auch mit höheren Auflösungen so seine Probleme hatte, gibt es nun einen DCP-Projektor, welcher eine ganz hervorragendes Bild auf die Leinwand wirft. Auch der Ton ist mittlerweile satter und kräftiger – weniger blechern. Wenn die sehr unbequeme Bestuhlung nicht wäre, würde der Theaterhof ein wirklich hervorragendes Kino abgeben. Insbesondere auch, weil man scheinbar jetzt auch seine Getränke mit in den Saal nehmen darf.

The Wait – „The Wait“ von F. Javier Guttierrez ist ein ziemliches Brett von dem man eher weniger als mehr wissen sollte. Meine Erwartung in Richtung Western mit surrealen Untertöten. Nun, die Erwartungen wurden genauso erfüllt, wie gleichzeitig auch unterlaufen. Der Film handelt von Eladio, einem Mann der 1973 mit seiner Frau und seinem Sohn für ein großes, wüstenartiges Stück Land zuständig ist, welches dem Großgrundbesitzer Don Francesco gehört. Eladios Aufgabe ist es vor allem, Jagdgesellschaften zu betreuen. Dabei hat Don Francesco das Gesetz aufgestellt, dass nie mehr als 10 Jagdstände aufgebaut werden dürfen, da es sonst zu gefährlich wird. Allerdings hat Don Carlos, der Mann, der die Jagdgesellschaften für Don Francesco organisiert, seinen Kunden diesmal 14 Jagdstände versprochen. Mit Geld überzeugt er die in Armut lebende Familie, ein Auge zuzudrücken. Eladio ahnt nicht, welch schreckliche Konsequenzen es für ihn haben wird, dass er sich auf den Handel einlässt. Und diese Konsequenzen haben es wirklich in sich. Stück für Stück wird Eladios Leben zerrissen und zur Hölle gemacht. Man leidet mit ihm mit, wenn eine Katastrophe nach der anderen über ihn hereinbricht. Und wenn dann noch langsam und kriechend immer mehr seltsame Dinge passieren, die man nicht wirklich zuordnen kann, dann läuft einem bald auch eine Gänsehaut über den Rücken. Beim Grundplot scheint sich Guttierrez von einem Horrorthriller-Klassiker der 80er Jahre inspirieren lassen zu haben. Welcher dies ist, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. The Wait ist voller fieser Schläge in die Magengrube, besticht durch eine ausserweltlich-bedrohliche Atmosphäre und einer eindrucksvoll schroff-kärglichen Landschaft, die sich in den Gesichtern der Hauptfiguren widerspiegelt. Insbesondere in dem des brillanten Hauptdarstellers Víctor Clavijo.

Nach dem Film berichtete der freundliche und sympathische Regisseur davon, dass ihn einerseits seine Kindheit in Spanien, die er in einer ähnlichen Gegend verbracht in welcher auch der Film spielt, zu „The Wait“ inspiriert hätte. Andererseits seien es aber auch die Horrorfilme der 70er Jahre gewesen, die noch Zeit gelassen haben, um eine dichte Atmosphäre aufzubauen und nicht gleich in die Vollen gegangen sind. Man kann hier nur attestieren, dass er seine Lektionen sehr erfolgreich gelernt hat. Vielleicht mein Highlight des diesjährigen Programms.

F. Javier Guttierrez mit Moderator

Regisseur F. Javier Guttierrez

Einmal kräftig durchgeatmet, dann ging es etwas leichter weiter.

The Book of Solutions – Michel Gondrys hat in meinem Herzen immer einen großen Platz, inszenierte er doch – wenn auch ausnahmsweise nicht nach eigenem Drehbuch, sondern nach einem von Charlie Kaufman – einen meiner Lieblingsfilme: „Vergiß mein nicht“. In seinem neuen Film lässt Gondry autobiographische Details einfließen und verarbeitet hier seine scheinbar auch mental sehr anstrengenden Dreharbeiten zu „Der Schaum der Tage“. Sein Alterego Marc Becker hat ebenfalls gerade einen Film abgedreht, der ihm nun vom Studio weggenommen werden soll. Kurzentschlossen entführt er das Rohmaterial und flüchtet mit seiner Cutterin Charlotte und deren beiden Mitarbeitern Sylvia und Carlos aufs Land zu seiner Tante Danielle. Doch der kreative Prozess wird zur Qual. Marc weigert sich sich sein eigenes Filmmaterial anzuschauen, was natürlich dem Prozess des Schneidens nicht gerade einfach macht. Gleichzeitig bombardiert er sein zunehmend frustriertes Team mit immer fantastischeren, absurderen und größenwahnsinnigen Ideen. Dass diese – so verrückt sie auch sein mögen – tatsächlich funktionieren und seine fixe Idee Sting für den Soundtrack zu gewinnen ebenso von Erfolg gekrönt ist, wie jene, selber als musikalische Unerfahrenerer ein ganzes Orchester rein mit Körperbewegungen zu leiten und ganz im Vorbeigehen den Score zu komponieren, mag mit einer generellen Selbstverliebtheit Gondrys zu tun zu haben. Den mag Marc für seine Mitmenschen noch so eine große Last und in Sachen Empathie und zwischenmenschlicher Kommunikation ein Militant sein, so macht Gondry doch klar, dass Marc – bei allen Schwächen – ein Genie ist. Eines, dessen unaufhörliche Energie andere mitreißt und letztendlich der Zweck die Mittel heiligt. Grundsätzlich ist es da problematisch, dass sich Marc oftmals wie ein Arschloch benimmt, doch durch Pierre Nineys liebenswerte Darstellung, kindliche Begeisterung und humorvollen Macken funktioniert die Figur dann doch. Auch wenn man sich fragt, wie es seine Mitstreiter so lange mit ihm aushalten. Für mich ist Marc Becker ein klassischer Fall von ADHS. Alle Symptome kommen in der Figur zusammen. Große Intelligenz und Kreativität, sowie die Fähigkeit sich total auf Dinge zu konzentrieren die einen interessieren und diese – so verrückt und wenig erfolgversprechend sie auch erscheinen – bis zum Ende durchzuziehen. Gleichzeitig die komplette Unfähigkeit sich mit Dingen zu befassen, die einen nicht interessieren. Ferner mangelnde Impulskontrolle, hohe Ablenkbarkeit und Sprunghaftigkeit. Damit beschreibt man sowohl ADHS als auch Marc ganz gut. Gleichzeitig sollte man aber auch erwähnen, dass der Film abgesehen von diesen eher dunklen Themen, voller sehr humorvollen Szenen ist, er ein gutes Gefühl vermittelt und gerade die Darstellerinnen ihre Sache großartig machen. Eine Entdeckung ist Camille Rutherford, die zunächst eine kleine, dann aber wichtige Rolle hat und der man gerne sein Herz schenken würde. Nach dem knüppelharten „The Wait“ tat dieser Film sehr gut.

Nach einer kleinen Stärkung im nahegelegenen Kumpir (wo wir von einer sehr netten Dame bedient wurden) ging es weiter mit dem letzten Film des Tages.

Mars Express – „Mars Express“ ist ein wunderbar klassischer Zeichentrickfilm, der an seine großen Kollegen wie „Herrscher der Zeit“ oder „Heavy Metal“ erinnert. Mit klaren Zeichnungen zwischen Manga und Ligne claire. Die Geschichte erfindet das Rad nicht neu, sondern mixt viele bekannte Bausteine aus Science Fiction, Film Noir und Buddy-Cop-Film. Die ehemalige Alkoholikerin – und weiter mit ihren Dämonen kämpfende – und Polizistin Aline Ruby, sowie ihr bereits verstorbener, als elektronische Erinnerung in einem künstlichen Körper weiterlebender Partner Carlos (der auch einige dunkle Stellen in der Vergangenheit hat) kommen einem Komplott auf die Spur, welches die für die Menschen fast schon unentbehrlichen Roboter und KI betrifft. Bald schon finden sie sich zwischen den Fronten wieder und kämpfen nicht nur um das Leben ihrer wichtigsten Zeugin, sondern auch um ihr eigenes. Der Film geizt nicht mit Action-Momenten und überraschenden Wendungen, die einen mehr als einmal auf dem falschen Fuß erwischen. Assimovs Robotergesetze spielen da genau so eine Rolle, wie die Entwicklung künstlicher Intelligenzen, die Emanzipation der „Sklaven“ und persönliche Traumata. Damit überlädt Regisseur Jérémie Périn sein Werk aber nicht. Über das Ende kann man dann noch diskutieren, nicht aber darüber, dass „Mars Express“ 85 Minuten große Zeichentrick-Unterhaltung, eine spannende Story und interessante Figuren aufbietet.

Eigentlich hatten wir noch überlegt uns im cineK noch um 0:00 Uhr die Dokumentation „Enter the Clones of Bruce Lee“ anzuschauen. Doch das hätte noch eine Stunde Wartezeit bedeutet. Da wir aber beide recht müde waren und darauf spekulierten, dass dieser vom Chef des US-Labels „Severin“ gedrehte Film irgendwann auf einer Veröffentlichung dieses Labels seine Heimat finden wird, traten wir dann doch bereits den Heimweg an. Ein toller zweiter Tag.

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