Blu-ray-Rezension: „Der Berserker“

Der kleine Gangster Giulio Sacchi (Tomas Milian) ist ein Soziopath wie er im Buche steht.Als er bei einem Bankraub vor Nervosität einen Polizisten erschiesst, wird er von seinen Komplizen zusammengeschlagen und vom Hof gejagt. Kurze Zeit später muss wieder ein Staatsdiener daran glauben, als er Sacchi dabei erwischt, wie er einen Zigarettenautomaten knacken will. Auf sich allein gestellt, versucht Sacchi einen großen Coup zu landen. Er überredet die Kleinkriminellen Vittorio (Gino Santercole) und Carmine (Ray Lovelock) mit ihm zusammen Marilù Porrino (Laura Belli), die Tochter eines Industriellen (Guido Alberti) zu entführen. Doch damit soll der blutige Weg des immer gewissenloser agierenden Gulio Sacchi erst seinen Anfang nehmen…

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Mit „Der Berserker“ haben Umberto Lenzi und sein kongenialer Hauptdarsteller Tomas Milian ein richtiges Brett abgeliefert, welches – wie sein Protagonist – keine Gnade kennt und einem permanent die verschwitzte Faust in den Magen rammt. „Der Berserker“ sah ich erstmals Mitte der 90er Jahre auf einer ranzigen VHS-Kopie des alten Verleihtapes. Eigentlich die perfekte Präsentationsform für diesen – neben vielleicht Deodatos „Eiskalte Typen auf heißen Öfen“ – unangenehmsten Poliziotteschi. Natürlich hat man gut 20 Jahre später vieles gesehen, was der Niedertracht dieses Filmes gleich kommt, und so war ich gespannt, ob „Der Berserker“ heute noch jene schmerzhafte Sprengkraft entwickeln kann wie damals. Um es kurz zu machen: Ja, er kann. Und wie. Zu verdanken ist dies in erster Linie einem brillanten Tomas Milian, der bei seiner Darstellung des Soziopathen Gulio Sacchi die richtige Balance zwischen vollkommen überzogenen Schauspiel und einer unglaublichen Lebendigkeit findet. Sacchi ist laut, vulgär, in seiner extremen Körperlichkeit (wie bei Milians „Strickmützen“-Cop Nico Giraldi und dem seelenverwandten Kleingauner Monnezza aus „Das Schlitzohr und der Bulle“ (ebenfalls von Lenzi und mit Silva als Milians Gegenspieler) verrenkt sich bei Milian jeder Teil des Körpers, wenn er jemanden von etwas überzeugen will­. Er schwitzt, schreit, grimassiert, zuckt – seine körperlichen Reaktionen sind ebenso unberechenbar wie er selber. Sacchi ist eine tickende Zeitbombe, bei der man nie weiß, wann sie das nächste Mal explodiert und wie groß der Schaden sein wird, den sie anrichtet. Man sollte aber darauf gefasst sein, dass er sehr groß sein wird. Da der Film aus Sacchis Perspektive erzählt wird und er derjenige ist, dem der Zuschauer durch die Handlung folgt, ihm also eine gewisse Identifikation aufgezwungen wird, macht dies den Film umso unangenehmer.

Milians Kunst ist es dabei, den „Berserker“ Sacchi, den der englische Titel als „Almost Human“ bezeichnet, trotzdem nicht als unrealistisches Schreckgespenst, sondern als Wesen aus Fleisch und Blut zu zeichnen. So unmöglich es ist, Sacchis Handlungen zu akzeptieren, so bleiben sie aber in Rahmen der Handlung jederzeit nachvollziehbar. Milians Sacchi ist ein Mensch. Kein angenehmer, aber ein Mensch mit all seinen Komplexen. Ein großkotzigen Wichtigtuer, der seine Ängste und die Sehnsucht nach Anerkennung und Respekt mit prolliger Angeberei kaschieren will. Der sich mit Alkohol und Pillen aufputscht und irgendwann alle Grenzen und jegliche Moral vergisst. Letzteres erlebt man auch physisch, wenn Milians Blick immer glasiger und die Haut immer grauer wird. Die Haare von Schweiß verklebt und und die Ringe unter den geröteten Augen immer tiefer. Sacchi tötet wahllos, aber nie mit Freude. Er entledigt sich anderer Menschen, wie man normalerweise Müll entsorgt. Als er dem Entführungsopfer seine Macht über ihr Leben demonstrieren will, fordert er seinen Komplizin auf, die junge Frau zu vergewaltigen. Ihm geht es hier nicht um etwas sexuelles, er will sie nur demütigen. Nur einmal meint man so etwas wie eine moralische Irritierung bei ihm festzustellen. Wenn er realisiert, dass er ein kleines Kind erschossen hat. Doch dies führt bei Sacchi nicht zum Einhalten. Er wischt diese Tat nach einem kurzen stutzen beiseite und brüstet sich später noch damit, was den Zuschauer in einen Gewissenskonflikt stürzt. Denn spätestens nach dieser Tat und seine Reaktion darauf ist Sacchi nicht für ihn nicht mehr tragbar. Doch Lenzi inszeniert ihn weiterhin als Identifikationsfigur, denn Sacchi ist mit weitem Abstand die interessanteste und lebendigste Figur in diesen Film, gegen die alle anderen verblassen müssen. In der Regel ist der Schurke ja auch die faszinierendste Gestalt in einem Film.Jemand, den man aufgrund seiner Skrupellosigkeit und oftmals auch Coolness heimlich bewundert. An Sacchi gibt es aber nichts zu bewundern. Ein Dilemma.

Die einzigen beiden Figuren, die positiv besetzt sein können, sind sein Komplize Carmine und Kommissar Brandi. Der von Ray Lovelock gespielte Carmine ist aber ein weicher, manipulierbarer Schlappschwanz, der sich Sacchi unterordnet. Nicht etwa, weil er für Sacchi irgendwelche Sympathien hegt oder vor ihm Angst hätte. Man hat das Gefühl, Carmine wüsste einfach nicht, was er sonst tun sollte. Willenlos tut er das, was ihm befohlen wird. Zu dumm, zu naiv um einen eigenen Willen zu entwickeln. Auch seine ungelenken Versuche das Entführungsopfer zu schützen wirken halbherzig und schwach. Nein, zur Identifikation lädt Carmine nun wirklich nicht ein. Bleibt die starke Hand des Gesetzes, die von dem ewigen Gangster-Darsteller Henry Silva gegeben wird. Silva ist eine grandioses Steingesicht. Und die perfekte Besetzung für die Killer in Fernando di Leos Meisterwerken „Der Mafiaboss“ und vor allem „Der Teufel führt Regie“. Doch als Kommissar Walter Grandi bleibt er leider ungewöhnlich blass. Was daran liegen kann, dass er mehr reagiert als agiert und in den Actionszenen außen vor bleibt. Bis auf seine Wut auf seine Vorgesetzten bleibt er auch ohne besondere Eigenschaften. Erst ganz am Schluss tritt er in Aktion, um äußerst fragwürdig zur Selbstjustiz zu greifen. Gerade dieses Ende hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, zeigt es doch, dass es auf der Welt nichts Gutes mehr gibt, sondern die Grenzen zwischen schießwütigen Gangstern und schießwütigen Polizisten, die sich ebenso nicht an Gesetze gebunden wähnen, verschwimmen.

Die einzige Figur, die tatsächlich so etwas wie Hoffnung gibt, dass die Welt nicht gänzlich verkommen ist, wird von Laura Belli gespielt. Das Entführungsopfer Marilù ist eine starke Frau, die weiß was sie will und sich keine falsche Illusionen macht. Die ihren Entführern jederzeit überlegen ist und gerade deshalb bei Sacchi diesen unbändigen Wunsch hervorruft, sie zu demütigen, erniedrigen und letztendlich zerstören. Und natürlich hat so jemand in der verkommen Welt des „Berserkers“ keine Chance. Sie wird vernichtet wie alles andere, was gut und schön ist.

Umberto Lenzi hat mit „Der Berserker“ einen hammerharten Tritt in die Weichteile inszeniert, der ganz von einem grandios asozialen Tomas Milian getragen wird, dem es gelingt seinen Soziopathen Gulio Sacchi nie zu einer comichaften Karikatur verkommen, sondern ihn bei aller Grausamkeit doch noch als Menschen erscheinen zu lassen. Und gerade das macht Lenzis Film so wahnsinnig unangenehm.

Mit der Nummer 9 ihrer Polizieschi Edition hat filmArt nach dem grandiosen „Milano Kaliber 9“ nun einen zweiten Klassiker nicht nur des italienischen Polizeifilm-Genres, sondern des italienischen Films überhaupt veröffentlicht. Wie erwartet ist auch das technische Niveau dieser Veröffentlichung wieder sehr gut. Die Blu-ray hat ein sehr gutes Bild, welches auch nicht durch diverse Filter „getötet“ wurde, sondern einen authentischen Kinolook besitzt, ohne dabei irgendetwas an Schärfe einzubüßen. Der deutsche Ton wird auf gleich zwei Spuren angeboten, von der sich eine „Videotonhöhe“ nennt. Der Unterschied zwischen beiden Spuren ist – soweit ich meinen Ohren trauen darf – dass die eine etwas mehr Wums hat, dafür aber auch dumpfer klingt, die andere dafür in der Sprache etwas klarer ist, dafür aber etwas dünner klingt. Das Highlight der Edition ist das einstündige Interview „The Journey of Tomas Milian – From Cuba to America“, mit einem sichtlich gealterten, kaum wiederzuerkennenden Tomas Milian, der sehr interessant und spannend aus seinem aufregenden Leben erzählt. Bei der Schilderung seiner Kindheit in einem lieblos-strengen Haushalt können einem fast die Tränen kommen und dies erklärt wohl auch seine arrogante Haltung, die er in Interviews in den 70ern – auf der Höhe seines Ruhmes – an den Tag legte. Milian hat auch einen kurzen Gruß als Intro zum Film eingesprochen. Weitere Extras sind der italienische und englische sowie ein US-Grindhouse Trailer. Es gibt zwei Audiokommentare. Den ersten mit dem Traum-Team Pelle Felsch und Christian Keßler, der andere mit Bennet Togler und Tillmann Beilfuß. Nicht zu vergessen ist auch das sehr lesenswerte Booklet von Oliver Nöding. Also eine rundum gelungene Veröffentlichung.

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