In der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1965 kam es in Indonesien zu einem Putschversuch, an dem Teile des Militärs beteiligt waren. Der Putsch wurde aber niedergeschlagen und die – tatsächlich unbeteiligte – kommunistische Partei PKI als Schuldige ausgemacht. Daraufhin wurde von den Militärs mit Hilfe von Kleinkriminellen ein Massaker an tatsächlichen und angeblichen Kommunisten verübt, dem nach Schätzungen von Amnesty International in den folgenden Monaten fast eine Million Menschen zum Opfer fielen. Auch die chinesische Minderheit wurde zum Opfer des Irrsinns, denn um damals als “Kommunist” zu gelten, reichte es schon nur chinesischer Staatsangehöriger zu sein, oder dass jemanden die Nase nicht gepasst hat. Todesschwadrone folterten und töteten auf bestialische Art und Weise tausende Unschuldige.
Der 2,5-stündige Dokumentarfilm „The Act of Killing“, zeigt Angehörige eines Todesschwadron, die heute noch in Indonesien leben und sich dort nicht nur als Helden fühlen, sondern auch von der Regierung zu solchen stilisiert werden. „The Act of Killing“ handelt vor allem von einem Projekt, in welchem Veteranen der Todeskommandos ihre damaligen Taten noch einmal für einen Film nachspielen sollen. Dabei haben diese freie Hand, wie sie ihre Erinnerungen gestalten möchten, was zu fast schon surrealen Szenen führt, wenn sich die Männer als Cowboys, Film Noir Gangster oder als Dämonen inszenieren. Dabei wird allerdings nicht ganz klar, wer dieses Projekt initiiert hat. War es der Regisseur des Films Joshua Oppenheimer oder – wie es der Film suggeriert – die Veteranen selber, die ihre Taten glorifiziert sehen möchten. Die Antwort auf diese Frage tut für die Aussage des Films allerdings nichts zur Sache.
Wer an das Gute in der Welt glaubt, geht vielleicht davon aus, dass die alten Männer heute unter ihren Taten leiden oder im Laufe ihres Lebens in irgendeiner Form ihre gerechte Strafe erhalten haben. Doch weit gefehlt. Die Männer leben im heutigen Indonesien in Saus und Braus, werden dort als Helden gefeiert und protzen mit ihren Untaten. Einer sagt z.B. dass die Definition von Kriegsverbrechen immer den Gewinnern überlassen ist. Er sei ein Gewinner und könne deshalb für sich definieren, dass er keine Verbrechen begangen hätte. Und so sieht man ihn glücklich und zufrieden mit seiner Familie durch ein luxuriöses Einkaufscenter schlendern. Überraschenderweise – oder sollte man eher sagen erschreckenderweise? – sind die alten Leute gar nicht so unsympathisch. Und das ist es, was einen erst zu richtig Angst macht. Sie erzählen von ihren grausamen Hinrichtungen so, wie andere in Erinnerungen von tollen Partynächten schwelgen. Tatsächlich scheinen sie ihre unmenschlichen Verbrechen auch als so etwas ganz ähnliches zu begreifen. Sie haben Spaß und Lachen gemeinsam, wenn sie sich erzählen, wie sie jemanden gefoltert und massakriert haben. Dem Zuschauer aber bleibt bei ihren Schilderungen mehr als einmal ein dicker Kloß im Hals stecken. Einmal setzten sich die Männer auf einen Tisch und scherzen und singen gemeinsam. Das hätten sie früher auch so gemacht und dabei das Tischbein einem Delinquenten auf den Kehlkopf gestellt.
In der für mich schlimmsten Szene des Filmes, stellen die Männer im Stile eines Film noir eine Verhörszene nach. Ein wichtiges Requisit ist ein Teddybär, der die kleine Tochter des Verhörten darstellen soll. Die Hauptfigur in dieser Dokumentation, Anwar Congo, spielt den verhörenden Polizisten. Während des Filmes ist Anwar als derjenige aufgebaut worden, der am Ehestens reflektiert, was er damals getan hat. Dadurch ist er – ob man es will oder nicht – so etwas wie der „Sympathieträger“ (sofern man hier überhaupt von so etwas sprechen kann). Er entreißt dem Verhörten den Teddy, dieser bettelt Anwar möge ihm doch seine „Tochter“ zurückgeben. Doch Anwar fängt an, höhnisch zu lachen und fragt, ob der andere sich nicht immer gefreut hat, wenn die Tochter lachend auf ihn zugelaufen kam – und wie soll das jetzt gehen ohne Beine? Und er schneidet dem Teddy grinsend die Beine ab. Danach folgen weitere Verstümmelungen und schließlich der grausame „Tod“ des Teddys. Alles unter dem permanentem Weinen und Heulen des Verhörten. Nun mag die Szene von den Männern bewusst übertrieben dargestellt worden sein. Aber aus dem Kontext des Filmes und nach dem, was man über die nachgestellten Szenen und das Leben der Männer damals erfahren hat, kann es damals tatsächlich zu solch einen unmenschlichen, grauenhaften Tat gekommen sein. Allein diese Möglichkeit treibt mir Tränen in die Augen und Wut in den Bauch. Und ich bekommen Angst vor dem grausamen Monster, das auch in meinen Mitmenschen leben könnte, wenn man ihnen die Macht, und die Möglichkeit diese ohne Konsequenzen auszuüben gibt.
Einmal wird ein Massaker an einem Dorf nachgespielt und einer der Rädelsführer prahlt damit, wie toll es war, damals die Frauen zu vergewaltigen und welch ein Glück man doch hatte, wenn eine 14jährige darunter gewesen ist. Es sind Szenen wie diese, die einem den Magen umdrehen. Nun kann man dem Film sicherlich vorwerfen, dass einige Szenen gestellt wirken und er natürlich seine Geschichte nicht in einen größeren geschichtlichen Kontext stellt. Über die Hintergründe der damaligen Situation erfährt man nur wenig, ebenso darüber, ob die Schilderungen der Männer zur Gänze der Wahrheit entsprechen. Insbesondere die letzte Szene, in der Anwar Congo ein zweites Mal an den Ort seiner Morde zurückkehrt und sich bei der Erinnerung an seine Taten vor der Kamera übergibt, scheint offensichtlich inszeniert zu sein. Doch ohne diese Szene, die deutlich unterstreichen soll, dass in ihm tatsächlich eine Veränderung stattgefunden hat, er sich langsam bewusst wird, was er damals getan hat und die Dämonen ihn nun einholen, wäre der Film unerträglich. Ohne sie gäbe es nirgendwo den Funken Hoffnung, dass solch grausame Taten nicht irgendwann von so etwas wie einem Gewissen gesühnt würden.
„The Act of Killing“ handelt von der absoluten Banalität des Bösen. Diese Männer sind eben keine Monster. Es steht ihnen nicht ins Gesicht geschrieben, dass sie eiskalt die grausamsten Tötungen vorgenommen haben. Im Gegenteil. Und im heutigen Indonesien gehören sie sogar zu den geachteten Gesellschaftsmitgliedern und werden für ihre Taten gelobt. Das zeigt auch, wie es vielleicht in Deutschland ausgesehen hätte, wenn Nazi-Deutschland den Krieg gewonnen hätte. Wer ein Monster ist und wer ein Held, dass ist immer die Sache derjenigen, die am Ende noch da sind, um die Geschichte schreiben. Daher sollte, nein muss man, die Geschichten der Sieger immer auch hinterfragen. Aber der Film hat noch so viele andere interessante und erschütternde Aspekte, die ich jetzt hier gar nicht alle aufführen will. Ich möchte nur jeden einladen, sich diesen Film ebenfalls anzusehen, denn es ist ein wichtiger Film. Purer Horror, der wirklich Angst macht vor der Bestie Mensch. Kein Wunder also, dass Werner Herzog und Errol Morris, nachdem sie ihn gesehen hatten, ihre guten Namen als Executive Producers zur Verfügung stellten, um ihm eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen.
„The Act of Killing“ wurde u.a. von arte und ZDF co-finanziert. In einem auf der DVD enthalten Interview erklärt Regisseur Joshua Oppenheimer, er hätte für etwaige TV-Ausstrahlungen eine stark gekürzte Fassung herstellen müssen. Was eine Schande ist, denn von den 156 Minuten fand ich jede einzelne wichtig. Gott sei Dank ist auf der bei Koch Media erschienenen DVD die Langfassung enthalten.
„The Act of Killing“ lässt den Zuschauer nicht ungeschoren davonkommen. Er zeigt eines der schlimmsten Massaker des letzten Jahrhunderts aus der Sicht der Täter, die weder unter ihren Taten leiden, noch Konsequenzen tragen mussten. Im Gegenteil, noch heute prahlen sie mit ihren Untaten und genießen das Leben. Oppenheimers Dokumentarfilm zeigt das banale Gesicht des Bösen, und schafft es zumindest einen der Täter zu Reue zu bewegen, indem er ihm einen Spiegel vorhält. Das dies aber bei seinen Mit-Tätern nicht der Fall ist, lässt einen erschaudern und macht große Angst. Ein wichtiger Film!
Die DVD besitzt ein zum Teil glasklares Bild, was durch den Einsatz von HD-Kameras nicht verwunderlich ist. Ferner ist ein Audiokommentar an Bord, von dem es auf der DVD-Rückseite heißt, er werde von Werner Herzog und Errol Morris gesprochen. Tatsächlich aber sprechen hier Werner Herzog und Regisseur Joshua Oppenheimer. Vielleicht kommt später noch Morris dazu, ich habe nur in die ersten Minuten reingehört. Oppenheimer ist aber definitiv dabei, anders hätte das auch nicht viel Sinn gemacht. Des Weiteren gibt es noch ein 22-minütiges, informatives Interview mit Oppenheimer, welches allerdings manchmal durch Bild- und Tonfehler etwas entstellt wird. 10 Minuten „Deleted Scenes“ bringen keinen neuen Erkenntnisse, sind aber interessant anzusehen. Gesprochen wird ausschließlich auf Indonesisch mit deutschen Untertiteln. Es gibt also kein Voice-Over.
Anmerkung: Bei diesem Text handelt es sich um eine überarbeitete und erweitertete Fassung meiner Gedanken, die ich letztes Jahr anlässlich der Aufführung des Filmes bei Internationalen Filmfests in Oldenburg niederschrieb.