DVD-Rezension: „Die Totengruft des Dr. Jekyll“

Die junge Janet Smith kehrt mit ihrem Verlobten George Hastings in das Haus zurück, in dem sie aufgewachsen ist. Hier hat ihr väterlicher Freund Dr. Lomas zwei Neuigkeiten für sie: Das Anwesen gehört eigentlich ihr, und sie ist die Tochter der berüchtigten Dr. Jekyll. Davon geschockt beginnt Janet, böse Träume zu haben, in denen sie sich in ein Ungeheuer verwandelt. Leider muss sie feststellen, dass diese Träume scheinbar einen sehr realen Ursprung haben.

In der Reihe „Rückkehr der Galerie des Grauens“ präsentiert Anolis als dritte Veröffentlichung den Horrorfilm „Die Totengruft des Dr. Jekyll“ von 1957. Dabei handelt es sich hierbei nicht unbedingt um einen Klassiker des Genres. Im Gegenteil, wenn „The Daughter of Dr. Jekyll“ in einschlägiger Literatur erwähnt wird, dann nur deshalb, weil ein recht berühmter Mann auf dem Regiestuhl saß: Edgar G. Ulmer.

Ulmer stammt aus Österreich. Zunächst arbeite er als Kulissendesigner für den großen Theaterregisseur Max Reinhardt, später half er in selber Funktion bei Fritz Langs „Die Nibelungen“ und  Friedrich Wilhelm Murnaus „Der letzte Mann“. Bei Murnaus US-Debüt „Sunrise“ wird er als „Art Director“ aufgeführt. Ferner inszenierte er zusammen mit Billy Wilder, Fred Zinnemann und Curt & Robert Siodmak 1929 den legendären Stummfilm „Menschen am Sonntag“.

1932 emigrierte er  in die USA, wo er bald bei Universal unter Vertrag stand. Mit seinem „deutschen“ Hintergrund erging es ihm wie vielen deutschsprachigen Immigranten, und er arbeitete zunächst einmal im Horrorgenre. Mit dem großartigen „The Black Cat“, für den er die beiden Horrorikonen Boris Karloff und Bela Lugosi erstmals gemeinsam vor die Kamera holte, erzielte er für seine Produktionsgesellschaft Universal einen großen Erfolg. Der Film wurde nicht nur durch seine – für die damalige Zeit – expliziten Grausamkeiten (die für den fertigen Film stark zensiert werden mussten) berühmt, sondern vor allem für sein brillantes Design und die beeindruckenden Bauten, zwischen Expressionismus und Science Fiction. Dann aber ließ er sich auf eine Affäre mit der Frau des einflussreichen und gut vernetzten Produzenten Max Alexander – dem Neffen des Universal-Bosses Carl Laemmle – ein, was ihn prompt auf eine schwarze Liste katapultierte und dafür sorgte, dass er in den folgenden Jahren ausschließlich für den Billig-Produzenten PRC tätig war. Immerhin aber inszenierte er dort ein kleines Film-Noir-Meisterwerk: „Detour“. Und ein Happy End gab es auch für Ulmer. Er heiratete die ehemalige Frau Alexander, Shirley Castle, und lebt bis zu seinem Lebensende 1972 mit ihr zusammen.

„Daughter of Dr. Jekyll“ ist eine dieser Billigproduktionen, die er für PRC ablieferte. Und leider auch nicht seine beste. Das fehlende Geld sieht man an allen Ecken und Enden. Das große Herrenhaus ist ein – als ebensolches deutlich zu erkennendes – Puppenhaus, und obwohl die Handlung scheinbar um die Jahrhundertwende spielen soll, sehen nicht nur die Zimmer der Villa aus wie 50er-Jahre-Apartments, sondern auch die Kleidung des Helden stammt eindeutig aus dieser Dekade. Um zu kaschieren, dass alle Außenszenen im Studio gedreht wurden, pumpte Ulmer hektoliterweise künstlichen Nebel vor die Kamera. Dies hat einerseits zur Folge, dass man von den handelnden Personen fast gar nichts mehr erkennt, andererseits zaubert er dadurch aber auch eine Optik, die in ihren besten Momenten an die irreale Stimmung in Dreyers Meisterwerk „Vampyr“ (manchmal jedoch auch an eine verdreckte Kameralinse) erinnert.

Die Darsteller agieren eher unauffällig. John Agar spielt wie so häufig einfach John Agar. D.h. er steht in der Gegend herum und macht eine gute Figur. Dr. Lomas wird von Arthur Shields gespielt, der seinen Part teilweise sehr glaubwürdig, wenn es die Rolle später verlangt, aber auch ziemlich überzogen darstellt. Interessant ist Gloria Talbott als Janet Smith. Bei ihr kann man zwar nicht unbedingt von einer klassischen Schönheit sprechen, aber ihr merkwürdig breites, ja fast schon grobschlächtiges Gesicht passt recht gut zu ihrer Figur. Einen besonders schönen Trick wendet Ulmer an, wenn sie sich scheinbar transformiert. Das Bild wird bewusst unscharf gehalten oder ist durch den Nebel schwer zu durchschauen. Man erahnt ihr verwandeltes Aussehen mehr, als dass man es wirklich sieht. Das macht diese Szenen dann wirklich gruselig und effektiv. Schade, dass der Film daraus nicht mehr macht. Generell kann man Ulmer nicht den Vorwurf machen, er hätte nicht versucht, das Maximum aus den gegebenen geringen Mitteln herauszuholen. Wenn er die Gelegenheit dazu erhält, schafft er erinnungswürdige Augenblicke. Zum Beispiel, wenn das Monster einem hübschen, blonden Opfer zunächst dabei zuschaut, wie es langsam seine Nylonstrümpfe auszieht.

Leider werden solche gelungenen Szenen durch lange Dialoge zusammengehalten, in denen langatmig rekapituliert wird, was der Zuschauer schon weiß. Auch schlingert das stark von „She-Wolf of London“ inspirierte Drehbuch ständig um die Themen Dr. Jekyll und Werwolf herum, ohne dass es aus dem einen oder dem anderen wirklich etwas macht. Zwar findet man das geheime Laboratorium des Dr. Jekyll, aber Mr. Hyde wird so wild mit einer Werwolf-Legende vermischt, dass einem schwindelig wird. Mit gerade einmal 66 Minuten Laufzeit ist „Die Totengruft des Dr. Jekyll“ aber angenehm kurz, so dass man, trotz Längen und Peinlichkeiten sehr zügig unterhalten wird und am Ende wahrscheinlich mehr die paar guten, als die vielen weniger gelungen Szenen im Gedächtnis behalten wird.

Die deutsche Kinofassung (auf der DVD enthalten) unterscheidet sich in einem Punkt sehr deutlich von der Originalfassung. Während es in der amerikanischen Fassung einen kurzen Pro- und Epilog mit Mr. Hyde (und viel Nebel) gibt – der leider, noch bevor der Film beginnt, für den aufmerksamen Zuschauer die finale Plotwendung verrät – ist dies in der deutschen Kinofassung herausgeschnitten und durch eine selbstgedrehte Rahmenhandlung ersetzt worden. Hier flüchtet ein Mann unter einer Peter-Thomas-artigen Beatmusik und von der Edgar-Wallace-Serie inspirierten Titeln aus einem Herrenhaus, um sich mit einem Freund in einer Kaschemme irgendwo im Nichts zu treffen. Seinem Freund berichtetet er aufgeregt, sein Arbeitgeber wäre ein Nachfahre des berühmten Dr. Jeykll und er fürchte nun um sein Leben, nachdem er die Familiengeschichte der Jekylls entdeckt hätte. Diese Familiengeschichte ist natürlich „The Daughter of Dr. Jekyll“ und nun läuft der eigentliche Film an. Diese Rahmenhandlung wird nach dem Ende des Films wieder aufgenommen, wobei ich das eher unspektakuläre Ende nicht verraten möchte.

Die Hauptrollen in dieser – billig hergestellten und eher amateurhaft wirkenden Rahmenhandlung, die den 66-minütigen Film für seinen deutschen Kinostart 1964  auf 74 Minuten aufbläst – spielen Werner Uschkurath und zwei weitere, namentlich nicht bekannte Darsteller. Interessanterweise wurde „The Daughter of Dr. Jeykll“ für Wiederaufführungen in den USA ähnlich verlängert. Hier, indem man Szenen aus „Frankenstein 1970“ hineinschnitt.

Das Bild des Filmes ist leider nicht optimal, sondern leicht verschwommen. Dies scheint aber am Filmmaterial selbst zu liegen, denn der Hauptfilm ist sowohl in der amerikanischen als auch in der deutschen Kinofassung mit Schwächen behaftet, während die deutsche Rahmenhandlung gestochen scharf ist. Was Extras angeht, wird bei Anolis wieder geklotzt, dass einem das Herz aufgeht. Wie schon erwähnt, befindet sich auf der DVD neben der amerikanischen, auch die längere deutsche Kinofassung. Zudem wurde ein Audiokommentar mit dem amerikanischen Regisseur Mick Garris (unzählige Stephen-King-Adaptionen) und Ivo Scheloske eingespielt. Trailer (u.a. aus der „Trailers from Hell“-Internet-Reihe) und ein informatives 12-seitiges Booklet mit einem Text von Ingo Strecker runden das gute Bild ab. Als nächstes steht in der „Rückkehr der Galerie des Grauens“ wohl der legendäre „The Mole People“ auf dem Programm, auf den ich mich schon sehr freue.

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