Ein junger Mann, der sich „Gandu“ (Wichser) nennt, träumt davon als Rapper groß rauszukommen und seinem Armenviertel zu entkommen. Allerdings fehlt ihm dazu die Energie, denn wenn er nicht in einem Internet-Cafe daddelt oder sich verpixelte japanische Pornos ansieht, hängt er lieber mit seinem neuen Kumpel Rikscha herum und zieht sich mit diesem alle möglichen Drogen rein. Nachdem sie eines Tages mit einer uralten Droge experimentiert haben, scheint sich Gandus Leben plötzlich zu verbessern. Er hat das erste Mal Sex und eine bekannte Rap-Gruppe will ihn als Support-Act…
„Gandu – Wichser“ hat alle Stärken und Schwächen eines Debütfilms. Regisseur „Q“ (mit bürgerlichen Namen Kaushik Mukherjee) hatte vor „Gandu – Wichser“ zwar bereits einen Low-Budget- Film namens „Bishh“ gedreht. Mit diesem hielt er sich aber noch an die Konventionen bengalischer Filme (indem er z.B. trotz eines sexuellen Themas keine Liebesszenen zeigte). In „Gandu – Wichser“ sprengt Q alle Fesseln und schuf einen ganz persönlicher Film, ohne irgendeine Schere im Kopf. Gedreht für gerade einmal eine Handvoll Rupien auf einer kleinen Canon 7D HD-Kamera, die allerdings Bilder liefert, die nach sehr viel mehr aussehen. Das schwarz-weiß-Bild im Breitwandformat ist gestochen scharf und mit harten Kontrasten. Wobei die Frage bleibt, ob ein „schmutzigerer“ Look nicht die Lebenssituation Gandus besser wiedergegeben hätte. So sind die Bilder fast schon zu schön.
Das Anliegen Qs, zu zeigen wie sich die Frustration und Wut der Jugendlichen aufbaut und ihre Umgebung ihnen keine sinnvolle Perspektive anbietet, wird vor allem durch die zornigen Rap-Texte Gandus transportiert. Wie im klassischen Bollywoodfilm (den „Gandu – Wichser“ zwar immer wieder zitiert, der aber von diesem mit seiner bunten, heilen Welt doch meilenweit entfernt ist), dienen die Musik- und Gesangseinlagen dazu, die Innenwelt des Protagonisten sichtbar zu machen. Gandus treibende, mitreißende Mischung aus Rap und Punk, lässt aber auch seine Aggression und Wut unmittelbar aus dem Film auf den Zuschauer überspringen. Dankenswerterweise hat Bildstörung seiner Limited Edition einen 39:54 minütige Soundtrack CD mit 9 Tracks beigelegt.
Auf der anderen Seite macht Q aber auch den Fehler, den fast jeder junge Filmemacher begeht, wenn er ganz frei seine ersten Filme, die ja fast immer auch Herzensangelegenheiten sind, drehen kann. Er will einfach zu viel auf einmal und stopft den Film voll mit filmischen Kabinettstückchen. Da wird die Handlung für kurze Interviews unterbrochen (eine Technik, die scheinbar vom großartigen japanischen Avantgarde-Klassiker „Pfahl in meinem Fleisch“ inspiriert ist), es werden Texte wie bei Godard eingeblendet, das Bild in zwei oder mehr Teile gespalten, eine Szene plötzlich knallbunt und der Regisseur greift auch einmal plötzlich höchstpersönlich ins Geschehen ein. Besonders störend ist Verwendung von Hardcore-Szenen (Masturbation und oraler Sex werden onscreen gezeigt), da diese nicht unbedingt für die Handlung notwendig sind, sondern offensichtlich nur aus Gründen der Provokation eingebaut. In dem ebenfalls auf der DVD zu findenden „Making-Of“ spricht Q davon, dass „Baise-Moi“ von Virginie Despentes zu seinen Lieblingsfilmen gehört. Und ebenso, wie die Hardcore-Szenen dort zu gewollt und aufgesetzt wirkten, ist es auch bei „Gandu – Wichser“ der Fall.
Trotzdem ist „Gandu“ ein interessanter Film, wenn auch aufgrund seiner vielen formalen Sperenzien nicht der harte Magensschwinger, der er hätte sein können. Dafür ist er einfach zu verspielt und selbstverliebt. Es bleibt aber spannend, wie es zukünftig mit dem Regisseur Q weitergeht.
Die DVD aus dem Hause Bildstörung besticht durch eine wie immer liebevolle Aufmachung und interessante Extras. Neben einem informativen 15-seitigen Booklet mit Texten Filmjournalisten Jochen Werner (Splatting Image, Deadline, Schnitt u.a.), findet sich hier auch ein interessanter Text von Martin Gobbin (Blogville). Kernstück ist aber ein 30-minütiges Making-Of, welches nicht nur die Dreharbeiten dokumentiert, sondern auch aktuelle Interviews mit allen Beteiligten und Ausschnitte der „Gandu“-Vorführung auf der Berlinale 2011. Dabei kommt Regisseur Q allerdings nicht besonders sympathisch, sondern recht narzisstisch rüber. Vor allem erfährt man aber interessante Details über die Dreharbeiten, bei denen die Filmcrew aus Geldmangel Wohnungen der Schauspieler und Freunden benutzte, sowie erhellende Hintergründe zur Entstehung der Filmidee.
Überraschenderweise bleibt der Film Bollywood auf die Weise treu, dass Hauptdarsteller Anubrata Basu nicht selber die Raps vortrug, sondern in den Musikszenen Regisseur Q höchstpersönlich die „Stimme“ von Gandu war. Nach den Dreharbeiten ging Q dann auch als Rapper „Gandu“ auf Tournee, wovon ein weiteres 10-minütiges extra erzählt. Zwei Episoden über den Berlinale-Besuch (quasi die „Extended Version“ der diesbezüglichen Szenen aus dem Making Of), ein Musikvideo und zwei kurze Werbeclips zur „Gandu“-Tournee runden diese gelungene Veröffentlichung ab.
Klingt nach einem guten Film-Tipp, sehr künstlerisch und irgendwie auch sehr schräg. Mal anschauen.