Rezension: „Jerichow“

Der Nordosten der Republik. Weites Land, ein bisschen Wald und das Meer. Thomas war Zeitsoldat in Afghanistan, wurde unehrenhaft entlassen, hatte dann in Hamburg mit zwielichtigen Gesellen zu tun und ist nun in das Dorf zurückgekehrt in dem er aufgewachsen ist. Er schlägt sich mit Hilfsarbeiten durch, um das Haus seiner verstorben Mutter zu renovieren und sich ein kleines Zuhause aufzubauen. Ali, der mit 2 Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam, hat sich hier mit einer Kette von 45 Imbissen eine Existenz aufgebaut. Dabei hat es zwar zu Wohlstand, nicht aber zum Glück gebracht. Er ist paranoid, neigt zu Gewaltausbrüchen und wird von seinen Angestellten regelmäßig betrogen. Seine schöne Frau, Laura, hat er nur bekommen, weil er ihre Schulden übernommen hat und sie so an sich fesseln konnte. Laura hasst ihr Leben mit Ali und würde ihm nur allzu gerne entfliehen. Als Ali seinen Führerschein verliert und Thomas als seinen Fahrer einstellt, verliebt sich dieser in Laura.

Christian Petzolds neuer Film ist klar von James M. Cains Roman „The Postman Always Rings Twice“ (verfilmt 1946 mit John Garfield und Lana Turner, sowie 1981 mit Jack Nicholson und Jessica Lange, auch Vorlage für Viscontis „Ossessione„) inspiriert. Die Thriller-Handlung ist aber nur Vorwand für eine Charakterstudie dreier Menschen, die sich noch immer an das bisschen Hoffnung klammern, dass ihr kleines Glück irgendwann doch noch in Erfüllung gehen könnte.

Petzolds Film beeindruckt (mal wieder) mit einer ungeheuer präzisen Schauspielerführung und Bildgestaltung. Es ist kein Film der großen Reden. Es wird zurückgenommen agiert und doch erzählen Körperhaltung und kleine Gesten mehr über das Innenleben der Protagonisten, als es weitschweifige Dialoge oder ein expressionistisches Spiel vermögen könnten. Man empfindet einfach eine tiefe Freude, den Schauspielern bei ihrer Arbeit zuzusehen.

Nina Hoss spielt wie immer sehr souverän. Petzold schenkt ihr dabei eine stumme Szene, in der sie im Fußraum des Beifahrersitzes kauert, einfach nur aufschaut und dem von Benno Fürmann gespielten Thomas einen langen wütend-resignierten Blick zuwirft. Allein diese kurze Szene lohnt schon den Eintritt.

Die wahren Offenbarungen sind aber Benno Fürmann und der furios aufspielende Hilmi Sözer. Fürmann spielt den Thomas stoisch und meistens ohne große Regungen. Allerdings versteht er es, die Zuschauer die ganze Zeit über die gewaltige innere Spannung spüren zu lassen, unter der seine Figur steht. Auch hier teilt Petzolds präzise Bildsprache weitaus mehr über den Charakter mit, als es tausend Worte könnten. So gibt es in der Mitte des Filmes eine Totale, in der man Fürmann einsam an einer dunklen Bushaltestelle sitzen sieht. Ein einfache, statisches Einstellung, welche allerdings alles sagt und dies rein über das Bild.

Besonders hervorzuheben ist Hilmi Sözer, der sich am Anfang seiner Karriere noch als komischer Türke (bzw. Italiener in „Voll normaaal“ oder Mexikaner in „Schuh des Manitus„) verheizen lies. Seinen Ali gibt er als beeindruckend vielschichtige Figur. Man fürchtet ihn, verachtet ihn und hat doch gleichzeitig ein tiefes Mitgefühl für ihn. All diese widersprechenden Gefühle gelingt es Sözer mit traumhafter Sicherheit im Zuschauer zu wecken.

Wunderbar auch, wie Petzold es versteht, seine Figuren nicht ihrer Geheimnisse zu berauben. Über niemanden erfährt man mehr, als das für die Handlung unbedingt Nötigste. Warum z.B. Thomas unehrenhaft entlassen wurde, in welche Geschäfte er in Hamburg verwickelt war und ob Ali seine Drohungen gegenüber seinen Mitarbeitern wirklich wahr machen würde… der Zuschauer wird nicht bevormundet, sondern muss sich anhand subtiler Hinweise selber Gedanken machen, was den Figuren eine zusätzliche Tiefe verleiht.

Die einzige Schwäche des Filmes liegt in der Thriller-Handlung, die zwar effektiv aufgebaut ist und gerade zum Ende hin eine ungemeine Spannung erzeugt, aber vor einigen Klischees nicht ganz gefeit und zudem ein alter Hut ist. Andererseits lässt Petzold die ganze, zuvor sorgfältig aufgebaute, Suspense dann auch so plötzlich verpuffen, dass man wieder ganz auf die Charaktere und die Konsequenzen ihres Handels zurückgeworfen wird. Von daher unterstelle ich hier einfach einmal Kalkül.

Obwohl der Film im Kern ein 3-Personen-Stück ist, möchte ich noch auf einen vierten Schauspieler hinweisen. Der vor allem aus TV-Serien bekannte André Hennicke taucht zwar nur am Anfang als Thomas alter Kontakt aus Hamburg auf, versprüht aber in kleinen Rolle eine Vitalität und Präsenz, dass ich gerne mehr von ihm gesehen hätte.

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