Aldo (Joe Dallesandro) ist ein kleiner Zigaretten-Schmuggler. Als er beim Verticken der Ware in seine eigene Tasche wirtschaftet, wird er dafür von der Bande des Neapolitaner Gangsterchefs Don Enrico (Raymond Pellegrin) zusammengeschlagen, seine geliebte Harley verschrottet und er selbst aus der Stad gejagt. Auch sein nächster Coup endet katastrophal, als er von einem schmierigen Auftraggeber übers Ohr gehauen wird und sich unwissend wieder mit Don Enrico anlegt. Dies kostet seinem einzigen Freund das Leben. Aldo sinnt auf Rache und beginnt sich selbst eine schlagkräftige Bande zusammenzustellen und Don Enrico Konkurrenz zu machen.
Die deutsche Titelschmiede führt einen zunächst auf eine falsche Spur. HARLEY RIDERS – SIE KANNTEN KEIN ERBARMEN hat weder etwas mit einer Rockerbande zu tun (d.h. indirekt vielleicht schon, aber nicht in der Art und Weise, wie man es aus dutzenden sogenannten Biker-Movies kennt) – noch spielt es im Rennzirkus (auch wenn es hier eine spektakuläre Szene während mit einem Motorcross-Rennen gibt). HARLEY RIDERS heiß im Original „L’ambizioso“ und in der englischen Übersetzung „The Climber“. Es handelt also um jemanden, der große Ambitionen hat und in den Rängen der Mafia aufsteigt.
Dieser Aufstieg findet recht rasant statt, da das kleine Licht Aldo schnell seine eigene Bande gründet und damit in Konkurrenz zu Don Enrico, dem Unterweltchef von Neapel tritt. Dies ist nur möglich, da Aldo weder Angst noch Respekt und vor allem keine Skrupel kennt.
Andy-Warhol-Entdeckung Joe Dallesandro passt hervorragend in die Rolle des Aldo. „Little Joe“ wirkt trotz seines guten Aussehens immer etwas schmierig und aus der Gosse kommend. Dallesandro hielt sich seit seinen Rollen in ANDY WARHOLS FRANKENSTEIN (Flesh for Frankenstein) und ANDY WARHOLS DRACULA (Blood for Dracula) in Europa auf, wo er in Frankreich und vor allem Italien vor die Kamera trat. Gerade in Italien hatte er diverse Hauptrollen, wie beispielsweise in Vittorio Salernos zynisch-brutalem Meisterwerk DIE GRAUSAMEN DREI (Fango bollente). Dallesandro ist kein klassisch ausgebildeter Schauspieler. Eher jemand, der instinktiv aus dem Bauch heraus agiert und eher unter- als überagiert. Auch hier schleicht und schlurft er durch den Film, nur um in plötzlichen Gewaltexzessen zu explodieren. Sein Stil erinnert an Klaus Kinski, der ebenfalls häufig wie desinteressiert vor der Kamera herum lümmelt, aber gerade dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Auch Dellesanadro hat diese Präsenz und bildet völlig unangestrengt den Blickmagneten des Filmbildes.
Regisseur Pasquale Squitieri hat als Regieassistent beim großen Francesco Rosi gelernt. Viele seiner Filme beschäftigten sich gerade in seiner frühen Karriere mit den gesellschaftlichen Missständen in seinem Heimatland, und er bezeichnete sich als überzeugten Kommunisten. Dass er sich 1994 für eine postfaschistische Partei in den Senat wählen ließ, passt da nicht recht ins Bild. Doch solche „Karrieren“ sind auch in anderen Ländern leider nicht ungewöhnlich. Als er 1974 HARLEY RIDERS dreht, war von diesen Tendenzen noch nichts zu spüren. Squitieri hat einen strengen dokumentarischen Blick auf die Stadt Neapel und deren in der sozialen Unterschicht lebenden Bewohnerinnen und Bewohner. Hier wird nichts beschönigt. Squitieri führt vom Leben gezeichnete Gesichter vor. Wenn Aldo am Anfang geschmuggelte Zigaretten an eine Prostituierte verkauft, hat dies nichts von Erotik oder Sozialromantik, wie es vielleicht in anderen Filmen der Fall gewesen sein könnte, sondern von knallhartem Realismus. Pittoresk ist hier nichts, und Neapel wird von einer erschreckt hässlichen Seite gezeigt.
Die Figur Aldo dominiert die Geschichte. Neben ihm kommt kaum eine Figur zum Tragen. Mit Ausnahme seiner Freundin Luciana, die von Stefania Casini gespielt wird und von der gleich noch die Rede sein wird. Seine Bande bleibt gesichtslos, auch wenn ihre Rekrutierung einen Teil der Handlung ausmacht. Doch kaum sind die Spezialisten für Verbrechen engagiert, verlieren sie schon ihre Persönlichkeit. Die einzige Ausnahme stellt Bernard dar. Ein Mann, der nicht redet, nur handelt, wenn es die Situation erfordert, und der immer einen geheimnisvollen Beutel mit sich führt. Diese Figur, die scheinbar niemanden etwas beweisen muss, hätte durchaus einen größeren Platz im Film verdient. Lorenzo Piani spielt ihn überzeugend und mit einer bedrohlichen Lässigkeit. Und einer tödlichen Präzision, wenn er dann seine Waffe auf dem Beutel holt.
Die Actionszenen sind gut getimt und steigern sich während des Filmes immer mehr. Wobei HARLEY RIDERS kein Actionfilm ist, sondern sich mehr auf den Weg der Figur Aldo konzentriert. Die ist nicht unbedingt sympathisch und voller Widersprüche. Mit jemanden wie Aldo kann man sich nicht identifizieren. Ganz im Gegenteil. Skrupellos und brutal sucht er den Weg nach oben und die Rache an Don Enrico, der ihn einst in die Schranken wies und für den Tod seines einzigen Freundes verantwortlich ist. Natürlich besitzt Aldo auch Charme, doch nutzt er diesen vor allem, um an seine Ziele zu kommen.
Darunter leidet die Beziehung zu seiner Geliebten. Luciana, eine gutgläubige, für die brutale Gangsterwelt viel zu zarte Frau, die Aldo vielleicht einen Tick zu schnell verfällt. Sie ist das Herz des Films. Zwar hat Schauspielerin Stefania Casini nur vergleichsweise wenige Szenen, diese brennen sich aber ins Gedächtnis. Besonders zum Ende hin, wenn sie mit dem Leben, zu dem sie Aldo zwingt, nicht mehr klarkommt. Dann ist die Verzweiflung, die Stefania Casini hier spielt, mit beiden Händen greifbar und ihre Luciana ist die einzige Person in einem gefühlskalten Film, die man in den Arm nehmen möchte. Und die eklige Weise wie Aldo mit ihr umgeht, stößt einen nur noch mehr von ihm ab.
Das Finale kommt dann sehr schnell und vorhersehbar. Squiriti spielt hier mit religiösen Motiven. Zumindest kann man dies so interpretieren. Mit einer Party als letztes Abendmahl und der Suche nach Erlösung.
Hervorzuheben ist auch die Musik von Franco Campanino, der normalerweise eher im Commedia sexy all’italiana zuhause war, im selben Jahr aber auch nochmal Joe Dallesandro in dem bereits erwähnten, finsteren DIE GRAUSAMEN DREI musikalisch begleitete. Ist es im Poliziottesco normalerweise der hart durchgreifende Kommissar Eisen oder ein Gangster mit eigenem Ehrencodex, welcher die Hauptrolle innehat, so muss man Aldo diesen Ehrencodex oder auch das goldene Herz absprechen. Vielmehr orientiert sich HARLEY RIDERS an den klassischen US-Gangsterfilmen der frühen 30er, wie DER KLEINE CÄSAR (Little Caesar), SCARFACE oder DER ÖFFENTLICHE FEIND (Public Enemy). Und mit Joe Dallesandros Aldo haben Cagney, Robinson & Co. auch ihren perfekten Nachfolger gefunden.
Die Blu-ray von filmArt ist ungeschnitten und mit 107 Minuten genauso lang, wie das britische Pendant von Arrow. Worauf hier besonders hingewiesen werden muss, denn bei beiden Veröffentlichungen stimmen die Cover-Angaben nicht. Während die Laufzeit bei filmArt mit 83 Minuten viel zu gering angeben ist, hat Arrow mit 113 ein paar Minuten zu viel auf der Uhr. Die Bildqualität der filmArt-Bluray ist wieder sehr gut und wirkt sehr natürlich mit vernünftigem Filmkorn. Es liegt eine gute deutsche Kino-Synchronisation vor, anderen Sprachfassungen leider nicht. Die auf dem Backcover angekündigte deutsche Kinofassung fehlt, ebenso wie nennenswerte Extras. Das Booklet besteht aus den Aushangfotos der deutschen Kinofassung.