Filmbuch-Rezension: Ingo Strecker „Gorillawood – Das große Buch der Hollywood-Gorillas“

Manchmal merkt man gleich, wenn es die große Liebe ist. Mir erging es so, als ich Ingo Streckers wundervolles Buch „Gorillawood“ aus dem Briefumschlag zog. Ein dicker, großformatiger Schinken, der den Einen vielleicht an ein Telefonbuch, mich jedoch augenblicklich an Michael Weldons „The Psychotronic Video Guide“- erinnert hat. Noch so ein Buch, welches mein Herz im Sturm eroberte – damals bevor ich Internetzugang hatte und damit (fast) alle Informationen aus der Welt des merkwürdigen Films auf einen Knopfdruck.

„Gorillawood“ handelt von den Männern, die sich vor allem ab den 30er Jahren in Hollywood wortwörtlich zum Affen machten. Die Gorillamänner, die unter schweren Kostümen schwitzten und ackerten, damit Tarzan gegen einen „waschechten“ Gorilla kämpfen konnte oder diverse Komiker voller Panik davonrennen. Oder wie ein Kollege von mir kopfschüttelnd meinte: „Das ist ja nun wirklich ein Buch für die Nische in der Nische“. Das stimmt wohl auch – und es ist großartig. Mir war zuvor nie bewusst gewesen, dass es wirklich Männer gab, die zusammen mit ihrem Kostüm von Filmproduktionen quasi ausgeliehen wurden. Und dass diese Männer mit ihren markanten, leicht zu unterscheidenden und damit gut wiederzuerkennende Kostümen dann in mehrere Filmen auftraten. Irgendwie hatte ich die seltsame Vorstellung, für jeden Film wäre ein neues Kostüm genäht worden, welches dann irgendein unbekannter Stuntman übergeworfen bekam. Aber weit gefehlt. „Gorillamann“ war damals ein Beruf und die Kostüme, die sich allesamt im Besitz der Darsteller befanden, wurden von diesen nicht nur gehegt und gepflegt, sondern teilweise auch erstellt. Sie waren ein kostbares Arbeitsmaterial, welches den Broterwerb sicherte. So musste z.B. Emil Van Horne seine Karriere beenden, als sein Kostüm von seiner Vermieterin, der er Geld schuldete, einfach als Pfand einbehalten wurde.

Die Männer unter dem Fell sind so unterschiedlich, wie ihre Schöpfungen. Da ist der Filipino Charles Gemora, der König der Gorillamänner“, der von der Filmaustattung und Make-Up kam, und die herrlichsten Gorillakostüme für sich und andere entwarf. Ray Corrigan – ein veritabler B-Western-Star, der teilweise auch in Filmen, in denen er eine „menschliche“ Hauptrolle spielte, ins Fell schlüpfte. Emil Van Horne, der nebenbei auch in Burlesque-Shows den Affen markierte. Steve Calvert, der eigentlich Barkeeper in Hollywood war. Und dann gab es noch andere. Ihre teilweise unglaublichen Lebensgeschichten hier werden nacherzählt und ihre Kostüme – und vor allem auch ihre Art die Affen zu spielen – ausführlich vorgestellt.

Und das Fantastische an diesem Buch ist es, dass Ingo Strecker tatsächlich jeden Film, in dem die Gorillamänner mitgewirkt haben, bespricht. In seinen reichlich und absolut wundervoll bebilderten Besprechungen, liegt sein Augenmerk natürlich zunächst einmal auf dem Gorillamann. Auf dessen Darstellung, wie er an die Rolle kam und natürlich das Kostüm, welches er benutzte. Aber Ingo Strecker hält sich nicht nur damit auf. Er gibt auch die Handlung der größtenteils seltenen und hierzulande unbekannten Filme detailliert wieder, und schreibt viel über dessen Einordnung in der Filmgeschichte, über die Studios und die „menschlichen“ Darsteller. So lernt man eine Menge über Serials, heute nahezu vergessene Komiker und über die Schauspieler in A-, B- und C-Filmen und ihre Geschichten. So schafft es Ingo Strecker mal eben im Vorbeigehen, gleich eine ganze Geschichte des mittlerweile untergegangen, klassischen Hollywoods in all seinen unterschiedlich budgetieren Ausprägungen von A bis Z auf Papier zu zaubern. „Gorillawood“ ist nicht nur eine Geschichte der „Gorillamänner“ sondern auch eine des B-Films, so wie es ihn heute nicht mehr gibt.

Die beeindruckende Recherchearbeit, die hinter diesem Buch steckt, ist wahrlich enorm. Dazu ist es auch ein unfassbares Wunder, welch grandioses Bildmaterial Ingos Strecker für sein Buch zusammengetragen hat. „Gorillawood“ lädt herzlich ein zum Schmökern, Staunen und darin versinken. Ich habe „Gorillawood“ in einem Rutsch verschlungen und konnte mir danach kaum noch vorstellen, dass es auch gute Filme ohne Gorillas geben soll. Oder frei nach Loriot: „Ein Film ohne Gorillamänner ist möglich, aber sinnlos“.

Ingo Strecker Gorillawood – Das große Buch der Hollywood-Gorillas“, tredition, 516 Seiten, € 34,80

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Eine Antwort zu Filmbuch-Rezension: Ingo Strecker „Gorillawood – Das große Buch der Hollywood-Gorillas“

  1. Wunderbar! Ich wusste schon von irgendwoher, dass in dem Gorilla, der Stan & Ollie in den Schweizer Bergen begegnet, ein Filipino steckt (besagter Charles Gemora, wie ich jetzt in der IMDb gelesen habe), aber sonst ist mir das Thema auch neu. Und spätestens bei deiner Schwärmerei für die Bilder habe ich mich zum Kauf entschlossen.

    Mal sehen, ob ich jetzt den Titel eines Serials aus (vermutlich) den 30er Jahren herausfinde, das ich vor Jahrzehnten gesehen habe. Da ging es um eine Expedition nach Afrika auf der Suche nach einem Affenmann, der mehr wie ein Gorilla als wie Tarzan aussah. Mit vielen schönen Cliffhangern etc.

    So musste z.B. Emil Van Horne seine Karriere beenden, als sein Kostüm von seiner Vermieterin, der er Geld schuldete, einfach als Pfand einbehalten wurde.

    Das ist ja tragisch wie in FAHRRADDIEBE! :-Þ

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