Blu-ray-Rezension: „Die Erde ist ein sündiges Lied“

Der Norden Finnlands, kurz nach dem 2. Weltkrieg. Die 18-jährige Martta (Maritta Viitamäki) lebt in einem kleinen Dorf mit ihren Eltern Juhani und Alli (Pauli Jauhojärvi und Milja Hiltunen), sowie ihrem Großvater Äijä (Aimo Saukko) zusammen. Ihr Leben ist gekennzeichnet von Armut und den harten Lebensbedingungen. Als sie sich in den samischen Rentierhirten Oula (Niiles-Jouni Aikio) verliebt, bahnt sich eine Katastrophe an.

Wenn gleich in einer der ersten Szenen ein Hund getreten wird, dann ahnt man schnell, dass es in Rauni Mollbergs Film „Die Erde ist ein sündiges Lied“ nicht unbedingt heiter zugehen wird. Mollberg selber hat den Ruf ein sehr unangenehmer Mensch, aber genialer Regisseur gewesen zu sein. Einer der gerne zu weit ging. Verbal übergriffig und verletzend. Manchmal auch physisch. Seine Schauspieler und Schauspielerinnen vor sich her treibend, brutal und manipulativ. Jemand, der seine Wut, Ungeduld und Frustration auch gerne an der Crew ausließ. Seltsamerweise wird er von eben jenen Opfern seiner Taten zwar konsequent als „Arschloch“ bezeichnet, trotzdem sprechen sie mit großem Respekt von ihm und scheinen im Nachhinein seine Untaten herunter zu spielen – so als ob man über den verstorbenen, zu Lebzeiten immer etwas peinlichen Onkel spricht, der sich bei den Familienfeiern immer sinnlos betrunken und die Anwesenden angepöbelt hat – , da doch am Ende große Meisterwerke entstanden. Beides merkt man „Die Erde ist ein sündiges Lied“ an: Das raue, brutale Meisterwerk und die sicherlich nicht angenehmen Umstände, wie es entstanden ist.

Sicherlich lag es auch in der Intention Mollbergs, dem Film durch die so entstanden Spannungen und Grenzsituationen die Aura einer ungeschönten Dokumentation geben. Szenen wie jene, in der die Geburt eines Kalbes auf grauenvolle Weise schief geht und es im Leib der Mutter zerstückelt werden muss, sind hart mit anzusehen. Und in einem Interview mit dem Szenenbildner und rechte Hand Mollbergs wird erzählt, dass sie ungestellt war. Es bleibt zu hoffen, dass dies eine Übertreibung war. Die eingangs erwähnten Tritte gegen den Hund sind es aber nicht. Auch ist es kein Special Effect, wie vor der Kamera zahlreiche Rentiere mit einem gezielten Stich ins Herz getötet werden, und ihnen anschließend das Fell abgezogen wird. Mollbergs Film wimmelt von solchen Bildern, die einem eine brutale, grausame Welt zeigen, in der ein Leben schnell beendet werden kann, Alkohol und Armut die Gesichter und Leben der Menschen zerstören und echte Liebe keine Chance hat. Ja, man nicht einmal sicher sein kann, dass Liebe überhaupt existiert. Die Menschen sind derb und derb ist auch ihre Sprache und ihr Umgang miteinander. Auch wenn die karge, aber beeindruckend schöne Landschaft Südlapplands das Zeug zur Romantisierung hat, so scheint sie irgendwo getrennt von den Menschen zu existieren. Wenn diese durch sie hindurch stapfen, wirken sie wie Fremdkörper.

Sein Darsteller fand Mollberg nicht in Casting-Agenturen, sondern auf der Straße, an Tankstellen, beim Vorsprechen an der Schauspielschule. Dementsprechend rau sind seine Figuren. Die Gesichter verwittert und oftmals vor Dreck starrend, die Zähne schief, die Haare struppig oder strähnig. In zerschlissener Kleidung. In Worten und Gesten primitiv. Aber eben auch „echt“ und charismatisch. Damit auch sehr lange in Erinnerung bleibend. Mollbergs Entdeckung Maritta Viitamäki, die hier das erste Mal vor der Kamera stand, spielt mit einer entwaffnenden Natürlichkeit. Ihre Martta ist keine klassische Schönheit, aber im Dorf (oder sollte man eher sagen, der Ansammlung von ärmlichen und heruntergekommenen Höfen) das einzige junge Mädchen, welches quirlig, lebensbejahend und lebendig wirkt. Ihre Freundin ist zwar ebenfalls hübsch, aber in ihrem jungen Alter bereits so verhärmt, dass sie viel älter und lustfeindlich wirkt. Bis in einer fast schon surrealen Szene ein Geistlicher die örtliche Kirche besucht. Ein auf den ersten Blick abstoßender Mann, der sich in seiner Predigt wortstark über die Unmoral und Wertlosigkeit der Leute ereifert. Und sich in eine Rage redet, welche seltsam ansteckend wirkt und seine Zuhörer in eine beunruhigende Ekstase versetzt. Die Stimmung ist dadurch am Ende derart sexuell aufgeheizt, dass die sich Männlein und Weiblein übereinander hermachen und Marttas Freundin am nächsten Morgen nackt im Bett des angeblich so moralischen und reinen Priester erwacht.

Im Gegensatz zu ihrer Freundin lebt Martta ihre Sexualität ohne Reue aus. Sei es mit dem Nachbarn, dem „fremden“ Samen aus dem Norden oder mit ihrem eigenen Adoptivbruder. Sex ist für sie etwas natürliches, etwas was ihr Freude bereitet und ein wenig Geborgenheit gibt. Und dies wäre wahrscheinlich auch kein Problem (ein Nachbarin hat unzählige uneheliche Kinder und ist trotzdem Teil der Gemeinschaft), doch sie lässt sich mit dem Falschen ein. Der nicht zur Gemeinschaft zählende Same Oula, der in der Natur wohnt, traditionelle Tracht trägt und Rentierhirte ist, ist in den Augen der Dörfler verfemt. Gut genug, um einmal im Jahr die Rentiere ins Dorf zu treiben, aber nicht gut genug für ihre Töchter. Eine Beziehung zum Fremden wäre eine Schande. Auch wenn sich Oula weitaus anständiger verhält, als das grobe Dorfvolk um Martta herum, welches Martta bei jeder sich bietenden Gelegenheit begafft und versucht anzutatschen. Die Figur des Oula ist ein leider noch immer aktueller Kommentar zur Ausländerfeindlichkeit und der sture Einkapselung in die eigene Blase. Man kann sich allerdings nicht vorstellen, dass ein Film wie „Die Erde ist ein sündiges Lied“ heute noch einmal so gedreht werden könnte. Mollbergs Film ist ein kraftvolles Unikum. Nicht schön anzusehen. Grausam und brutal. Mit einem zutiefst pessimistischen Blick auf den Menschen. Eine messerscharfe Sezierung des nackten Menschen mit seinen Trieben, Schwächen, Unzulänglichkeiten und ungefilterten Emotionen.

Wie gewohnt hat das Vorzeige-Label Bildstörung wieder ein absolut vorbildliche Edition zusammen geschnürt. An der Bildqualität lässt sich nichts aussetzen, ebenso am Ton. Dieser liegt lediglich auf Finnisch vor mit deutschen Untertiteln. Was der Authentizität und dem dokumentarischen Charakter des Filmes nur förderlich ist. Würden die Finnen auf einmal Deutsch sprechen, so käme einen dies falsch vor. Die Extras zum Film befinden sich auf einer zweiten Scheibe, die nur als DVD vorliegt, was aber nichts ausmacht. Diese bestehen aus einem relativ aktuellen Interview mit der Hauptdarstellerin Maritta Viitamäki, die sich gut an die Dreharbeiten erinnert und eine sympathische, fröhliche Person ist. Auch wenn ihre Erfahrungen mit Mollberg nicht die Besten waren. Das zweite Interview findet mit Seppo Heinonen statt, der lange Zeit Mollbergs rechte Hand war und einen guten Einblick in die Person Mollberg gibt, den er als „Arschloch“ und ebenso film- und detailbesessen, wie unberechenbar bezeichnet. Teil dieses Interviews findet man auch im wichtigsten Extra wieder: Den 90-minütigen Film „Dinosaurier“, den sein Schüler und zeitweiliger Co-Autor Veikko Aaltonen inszenierte, der mittlerweile selber zu den bedeutenden Regisseuren Finnlands zählt. Der Film geht auf Mollbergs Werdegang ein, seine extrem schwierige Persönlichkeit, die Dreharbeiten für seine Filme, insbesondere „Die Erde ist ein sündiges Lied“ und „Der unbekannte Soldat“ und die Geschichte der finnischen Filmindustrie in den 60ern, 70er, 80ern und der Gegenwart. Gerade letzteres ist sehr spannend und zumindest mir eher unbekannt. Bei den Interviews mit Mollbergs Mitstreitern bleibt mir zu viel im Ungefähren. Zwar hört man von allen, dass Mollberg seine Schauspieler und Crew ausgenutzt und gepeinigt hat. Doch davon, was konkret vorgefallen ist, erfährt man nur wenig. Muss vielleicht auch nicht und ist dem Respekt der Interviewten vor dem verstorbenen „Genie“ geschuldet. Doch durch die vagen Information und dem gleichzeitigen relativeren mit dem Argument, dass am Ende aber ja immer ein Meisterwerk herausgekommen sei, schleicht sich ein Gefühl von „so schlimm wird es schon nicht gewesen sein“ ein, welches sicherlich nicht im Sinne der Macher war. Oder doch? Die Extras werden abgerundet durch einen Audiokommentar der Regieassistentin Pirjo Honkasalo und dem Kameramann Kari Sohlberg (auf Finnisch mit deutschen Untertiteln), sowie einem Booklet mit einem längeren, sehr gut geschriebenen und informativen Text von Olaf Möller und einem kürzeren von Heikki Huttu-Hiltunen zur Sprache im Film „Die Erde ist ein sündiges Lied“.

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