Bericht vom 29. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 3

Kulturetage

Mein dritter und letzter Tag beim 29. Internationalen Filmfest Oldenburg war dann der Tag der Überraschungen. Allzu hohe Erwartungen hatte ich an keinen der drei Filme, die ich mir ausgesucht hatte. Lediglich auf „The Gravity” war ich (und das auch noch aus den falschen Gründen, wie ich später noch ausführen werde) gespannt. Doch weiter gefehlt. Unterhaltsam waren sie alle drei und vor allem „Alma Viva“ vermochte mich sehr begeisterten.

Los ging es wieder im Casablanca 2, wo mich ein französischer Film mit Sophie Marceau erwartete. Der dann auch relativ viel Publikum zog.

A Woman
Inhalt: „Juliane Verbeck ist Polizistin in Paris – eine kühle, klardenkende Frau, die ihren Job so gut beherrscht, dass sie es nebenbei sogar schafft, erfolgreiche Bücher zu schreiben. Doch obwohl sie in der Lage ist, Fälle von rein beruflicher Natur schnell aufzuklären, ist ihr die Untreue ihres Ehemannes lange Zeit entgangen. Nachdem sie aber angefangen hat, dessen Spur aufzunehmen, gibt es für sie kein Halten mehr. Aus der gesetzeskonformen Polizistin wird ein mörderischer Racheengel.“ (zitiert aus dem Programm des Internationalen Filmfest Oldenburg)

Natürlich ist „A Woman“ ein hochkonstruierter Film. Da ist die Hauptfigur nicht nur erfolgreiche Romanautorin, sondern auch gleich Kommissarin bei der Mordkommission. Und selbstverständlich wohnt sie nicht irgendwo, sondern gleich in einer beeindruckenden Villa mit riesigem Garten. Und man hat noch ein geräumiges Apartment in der Mitte von Paris. Woher kommt der Reichtum? Vom Ehemann, der Luxusobjekte vermarkelt? Wie man sieht: „A Woman“ spielt nicht unbedingt in der realen Welt, auch wenn er so tut. Dementsprechend hinterfragt man dann aber auch nicht die drastischen Reaktionen, die die Untreue des Ehemannes bei Juliane hervorrufen. Akzeptiert man diese artifizielle Filmwelt der Schönen und Reichen (wie man sie ja auch aus den Filmen Chabrols kennt, der hier möglicherweise Pate stand), kann man sich aber zurücklehnen und sich von der abstrusen Handlung unterhalten lassen. Diese lebt von der souveränen Darstellung Sophie Marceaus, die im Alter eine gewisse Ähnlichkeit mit Charlotte Gainsbourgh entwickelt, die hier auch gut gepasst hätte.

Die Handlung schlägt dann mal hier, dann dort ein wenig über die Stränge und Regisseur Jean-Paul Civeyrac packt immer mehr in den Film, als diesem eigentlich guttuen würde. Da kommt plötzlich ein Mutter und ihre Tochter zusammen mit ihrem prügelnden und vielleicht auch missbrauchenden Ehemann aus dem Nichts ins Spiel, und das Ende erinnert an einen Exploitationfilm der 70er. Das alles ist sehr professionell gefilmt und macht auch Spaß, wenn man das alles nicht zu ernst nimmt. Interessanterweise ist „A Woman“ einer der ganz wenigen Filme des Festivals, in dem die Corona-Pandemie thematisiert wird. Wobei die Maskenpflicht sehr inkonsequent und unlogisch gezeigt wird. Da wird sich die Maske aufgesetzt, wenn mit einer Zeugin gesprochen wird, aber gleich wieder abgesetzt, wenn man inmitten der Kollegen steht. Da die Pandemie aber auch so immer wieder angesprochen wird, kann man mit viel guten Willen „A Woman“ auch als Metapher darauf sehen: Nach einem unvorhergesehen, nicht selbst verschuldeten Ereignis, wird das Leben nie wieder so sein wird, wie zuvor. Muss man aber nicht.

Danach verabschiedete ich mich für dieses Jahr aus dem Casablanca und lief zum Theaterhof zurück. Dem ich an dieser Stelle ein dickes Kompliment aussprechen muss. Der Theaterhof war in den Jahren zuvor nie meine Lieblingsspielstätte des Festivals gewesen. Eher im Gegenteil. Und auch in diesem Jahr hatte ich mich eigentlich bemüht, den Theaterhof zu meiden. Weshalb? Weil die Projektion dort immer suboptimal war. Viel zu blass und mit etwas zu wenig Kontrast. Ganz anders dieses Jahr. Hier wurde anscheinend in einen richtig guten Projektor investiert. Die Probleme der vergangenen Jahre waren Vergangenheit, das Bild knackig scharf mit intensiven Farben und knackigen Schwarztönen. Ganz wunderbar. So macht Kino Spaß.

Alma Viva
Inhalt: „Ein kleines Dorf in den portugiesischen Bergen. Eine tote Großmutter. Und die Entdeckung ihrer übersinnlichen Fähigkeiten. Was als normale Sommerferien begonnen hat, wird für Salomé zu einer Reise in die Vergangenheit. Während ihre Verwandten die Beerdigung ihrer Großmutter planen, wird das Mädchen von ihrem Geist besucht. Ein beunruhigendes Vermächtnis, das Salomé vererbt wurde, denn die Großmutter galt im Dorf als Hexe.“ (zitiert aus dem Programm des Internationalen Filmfest Oldenburg)

„Alma Viva“ war für mich die schönste Überraschung des Festivals. Befürchtet hatte ich einen sehr zähen, unspektakulären Familienfilm. Ein Familienfilm ist Alma Viva auch, aber was für einer. Einer in dem das Leben pocht und der ein solch vitales Bild einer Familie und der Dorfgemeinschaft zeichnet, dass man sich fast augenblicklich als Teil der sich streitenden, feiernden, hass-liebenden und dann doch füreinander einstehenden Familie fühlt. Die einzelnen Typen und die Darsteller sind so natürlich, dass man das Gefühl hat, sie alle gut zu kennen. Dazu wird dann noch eine gesunde Portion magischer Realismus mit in den Mix geworfen.

Erzählt wird die Geschichte durch die großen Augen der jungen Salomé, die nie Gefahr läuft „niedlich“ oder „keck“ zu sein, sondern wirklich „nur“ das Kind von nebenan ist, mit all seinen positiven und negativen Facetten. Nie fühlt sich der Film falsch an, nie gibt es falsche Sentimentalität. Nichts wird romantisiert. Und doch fühlt man sich zu diesen Leuten hingezogen. Das einzige, was man der französisch-portugiesischen Filmemacherin Cristèle Alves Meira vorwerfen könnte ist, dass sie ihr starkes Schlussbild dadurch schwächt, dass er den Abspann über die beeindruckende Landschaft laufen lässt, statt das letzte Bild einfach für sich stehen zu lassen.

Da der Sonntag beim Festfest immer davon geprägt ist, dass die Gäste schon abgereist sind und somit keine Q&A mehr stattfindet. Dadurch fangen die Filme aber auch immer pünktlich an und enden auch pünktlich. Sodass erstmals in drei Tagen auch genug Zeit blieb für das leibliche Wohl zu sorgen. Den Hinweg zum bekannten Dönerladen am Hauptbahnhof konnte ich noch trockenen Fußes zurücklegen, auf dem Rückweg schüttete es wieder so, dass ich völlig durchnässt wieder am Theaterhof ankam. Da ich aber noch genügend Zeit hatte, konnte ich mich in den bequemen „Kuschelecken“ im Foyer trocknen und einfach mal die freie Zeit genießen. Was in den letzten beiden Tagen nicht so oft vorgekommen war. Dann ging es in den letzten Film, der mich überraschenderweise wieder nach Frankreich brachte.

The Gravity
Inhalt: „In wenigen Tagen kommt es zu einem einmaligen Ereignis: Alle acht Planeten des Sonnensystems werden in einer Reihe stehen. Niemand weiß, wie sich das auf die Gravitation auswirken wird. Das Thema dominiert die Nachrichten. Während der Himmel über Frankreich sich bereits rot verfärbt, versuchen Daniel und sein Bruder Joshua, sich mit Drogenhandel in den Elendsvierteln von Paris über Wasser zu halten. Eine jüngere Generation aus dem Ghetto stört sich jedoch am Treiben der Beiden. Sie nennen sich die »Ronin« und beginnen eine harte Konkurrenz mit den beiden Brüdern – und sie sind besessen von der bevorstehenden Reihung der Planeten.“ (zitiert aus dem Programm des Internationalen Filmfest Oldenburg)

Scheinbar hatte ich die Inhaltsangabe im Katalog des Festivals (die auch nicht ganz korrekt ist, bzw. die Schwerpunkte etwas verschiebt) zu diesen Film falsch gelesen oder mit einem anderen Film durcheinandergebracht, denn ich erwartete eine absurde amerikanische Komödie und war daher überrascht mich in einem französischen Film über das harte und Kriminalität geprägte Leben in den Betonburgen der Pariser Vorstadt wiederzufinden. Da spielt das Gimmick mit den sich in bald in einer gerade Linie befinden Planeten zunächst auch eher eine Nebenrolle, auch wenn die Konstellation und der sich zunehmend rot färbende Himmel immer wieder auf nahendes (kosmisches?) Unheil hinweist. Bis es aber dazu kommt (oder auch nicht), begleiten wir erst einmal den frisch entlassenen Sträfling Christophe dabei, wie er sich im Alleingang die Herrschaft über den mittlerweile von der mysteriösen und sehr jungen „Ronin“-Gang beherrschten Block wiederholen will. Daneben gibt es seinen alten Freund aus Kindertagen Daniel, der mittlerweile ein sportlich erfolgreicher Läufer geworden ist und aus dem Viertel fliehen will, sowie dessen seit einem tragischen Unfall an den Rollstuhl gefesselten Bruder Joshua.

Der Film konzentriert sich zunächst darauf, wie Christophe Pläne schmiedet, um sich „sein“ Viertel zurückzuholen und sein lukratives Drogenhandel wieder aufzunehmen. Und darauf, wie Daniel widerwillig seinem Bruder hilft, hinter dem Rücken der „Ronin“ als Kleindealer ein paar Euro zu machen, während er gleichzeitig seine Abreise mit Frau und Kind nach Kanada plant. Doch dann verliert der Film seine „Gravität“, die ihn zuvor geerdet hat. Die Ereignisse werden immer geheimnisvoller. Die Ronin, welche zuvor als eine Art Robin-Hood-Gang gezeichnet wurden, entpuppen sich plötzlich als Anhänger eines seltsamen Kults. Komplett mit unterirdisch-labyrinthischen Geheimorten, die die drei „Alten“ ihrer „Religion“ als Opfer darbieten wollen. Joshua ist ein genialer Erfinder, der seinen Rollstuhl in eine Transformers-ähnliche Waffe umfunktioniert hat. Daniel und Christophe sind brutale Kämpfer, die sich ihren blutigen Weg durch immer größer werdenden Reihen von Ronin pflügen müssen. An dieser Stelle hat „La Gravity“ dann die Milieu-Studie verlassen und sich in einen seltsamen Action-Horror-Hybrid unter dem roten Himmel der schicksalhaften Planetenkonstellation verwandelt. Das kann man bis zum mysteriösen Ende dann auch als Gleichnis lesen, dass es beinahe übermenschliche Kräfte braucht, die Anziehung des Ortes an dem man aufgewachsen ist und des Milieus zu dem man gehört zu entziehen.

Vielleicht übertreibt es Regisseur Cédric Ido auch mit seinen Metaphern und hätte sich auf die eine oder die andere Geschichte konzentrieren sollen. Andererseits ist das sanfte, fast unmerkliche Abgleiten in Chaos und Gewalt auch ausgesprochen spannend und mit einem immer mehr anziehenden Tempo in Szene gesetzt, sodass der Film auch ohne Metaebene recht gut als Mischung aus Milieu-Studie, Action und Horror funktioniert.

Damit endete „mein“ 29. Internationales Filmfest Oldenburg. Von den Filmen her war das wieder ein ganz hohes Niveau. Ausfälle gab es keine. Bis auf den eher mittelmäßigen „Chaguo“ bewegte sich alles zwischen gut und ausgezeichnet. Mein Kompliment an diejenigen, die für die Filmauswahl zuständig sind. Guter Job! Ich freue mich schon sehr auf die 30. Auflage und hoffe sehr, diese dann wenigstens ab und zu wieder in Begleitung erleben zu können. Das ist schon schöner. In diesem Sinne: Tschüss Oldenburg und bis zum nächsten Jahr!

 

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