Bericht vom 29. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 2

Am meinem zweiten Tag des 29. Internationalen Filmfest Oldenburg rutschte ich von Bremen ohne Probleme nach Oldenburg durch und fand wieder einen Parkplatz ganz nah an dem Kino, indem ich meinen Samstag verbringen sollte: Dem Studio K in der Kulturetage. Heute liefen dann auch die Filme, an die ich im Vorfeld die höchsten Erwartungen gehabt hatte. Und um es vorweg zu nehmen: Ich wurde nicht enttäuscht.

Parsley
Inhalt: „Die junge Haitianerin Marie lebt mit ihrem dominikanischen Ehemann Frank im Jahr 1937 nahe der Grenze der Dominikanischen Republik zu Haiti. In der Nacht nach der Beerdigung ihrer Mutter werden sie von Schreien aus dem Dorf geweckt, Unruhe eskaliert in Gewalt und Panik. Frank verlässt die Hütte, um herauszufinden, dass etwas gestern noch Unfassbares geschieht. Die Regierung hat die sofortige Hinrichtung aller Haitianer auf dominikanischem Land angeordnet. Mit ihrer kleinen Schwester im Schlepptau flieht Marie in den Wald, um Frank zu finden. Im 9. Monat schwanger und ohne Versteck, muss sie im dichten Hinterland ums Überleben kämpfen und wird Zeugin der Gräueltaten eines kurzen, aber umso grausameren Genozids, vor dem es kein Entrinnen zu geben scheint.“ (zitiert aus dem Programm des Internationalen Filmfest Oldenburg)

„Parsely“ erzählt von einer blutigen und unmenschlichen Episode in der Geschichte der beiden Nachbarstaaten Dominkanische Republik und Haiti. Eine Episode, die – wie José María Cabral in der Q&A erzählte – auch heute noch gerne totgeschwiegen wird und ihm viele Anfeindungen einbrachte, weil er sie mit seinem Film versuchte aufzuarbeiten. Der Film spielt in einer grausamen Nacht und wir folgen unserer hochschwangeren Protagonistin durch die Schrecken eines Genozids. Dabei gelingt Regisseur José María Cabral der Spagat, einerseits die Brutalität und die Auswirkungen der Gewalt zu zeigen, andererseits trotz durchaus harter Effekte die Drastik der Darstellung für ein typisches Festivalpublikum gerade noch erträglich zu halten. Zwar schnürt einem manches den Hals zu, aber die schlimmsten Szenen werden dann doch aus der Distanz gefilmt. Der Film lebt von der sehr guten Darstellung der Hauptdarstellerin Cyndie Lundy, welche die Marie wie betäubt durch eine immer unmenschlicher werdende Hölle stolpern lässt. Am Ende bereit, sich für die Freiheit ihres Ungeborenen selbst zu verstümmeln. Das eng auf 4:3 begrenzte Bild sorgt für eine permanent klaustrophobische Stimmung. Und Cabral weiß, wann und wie er seinen Film beenden muss. Ein Happy End kann es in einer solchen Welt nicht geben, aber einen Funken der Hoffnung möglicherweise schon. Ambivalent das letzte Bild, und die Geschichte gehen im Kopf des Zuschauers weiter.

José María Cabral, Cyndie Lundy

 

 

The Prank
Inhalt: „Ben braucht gute Noten, um ein Stipendium zu bekommen. Seine verwitwete Mutter Julie ist nicht in der Lage, das Schulgeld für ihn zu bezahlen. In der Schule droht seine Physiklehrerin Mrs. Wheeler damit, die gesamte Klasse durchfallen zu lassen, nachdem sie herausgefunden hat, dass jemand bei der Zwischenprüfung geschummelt hat. Frustriert schmieden Ben und sein bester Freund Tanner den Plan, Mrs. Wheeler online zu diskreditieren, indem sie ihre Lehrerin des Mordes an einem vermissten Schüler bezichtigen. Doch der »Prank« nimmt mehr Fahrt auf, als Ben und Tanner sich ausgemalt haben.“ (zitiert aus dem Programm des Internationalen Filmfest Oldenburg)

Mit „The Prank“ ist Regisseurin Maureen Bharoocha ein wirklich schöner Film gelungen, der stark an Joe Dantes wunderbaren „Meine teuflischen Nachbarn“ erinnert. Vorgestellt als Highschool-Comedy-Hitchcock-Thriller, trifft der Film die Erwartungen. Wobei „Hitchcock“ dann doch etwas hochgegriffen ist, aber Bill Castle wäre auch eine schöne Referenz. Brillant ist die Besetzung des typischen, schlurfig-chaotischen Best-Buddy-Sidekick mal nicht mit einem Jungen, sondern einem Mädchen. Das bringt dieser eher stereotypen Rolle, die man so seit den 80ern unzählige Mal gesehen hat, tatsächlich eine völlig neue Qualität. Natürlich waren die Schauspieler, die diese Rollen verkörperten, immer schon die „Scene stealer“ gewesen. Interessanter und witziger als der nominelle Hauptdarsteller. Aber eben auch immer nie auf Augenhöhe, sondern „Mittel zu Zweck“. Der Nerd, der gut genug ist, die Probleme des „Normalen“ zu lösen, aber am Ende eben auch nur die zweite Geige spielen und allein nach Hause gehen darf. Der Nerd hat seine Schuldigkeit getan, der Nerd kann gehen.

Ganz anders hier. Tanner ist definitiv auf Augenhöhe mit Ben. Auch wenn Ben noch immer als Hauptfigur durchgeht, so ist Tanner weitaus mehr als die lustige Nebenrolle. Zwischen zwei Jungen hätte es so etwas wie eine Rangordnung gegeben, die hier durch die Besetzung von Tanner mit der wundervollen Ramona Young dankenswerterweise völlig fehlt. Was einem auch bezüglich Rollenklischees und typischen Geschlechterbildern zu denken gibt. Davon abgesehen, besitzt „The Prank“ aber auch eine höchst unterhaltsame Geschichte, die nebenbei einen klugen Kommentar zu Fake News und die Schnelllebigkeit der Sozialen Netzwerke abgibt. Das As im Ärmel ist natürlich Rita Moreno, die mit unglaublichen fast 90 Jahren sichtbar Freude an ihrer bösen Rolle hat und der die Spiellust förmlich aus den Augen sprüht. Da verzeiht man auch gerne eine paar Übertreibungen im letzten Akt. Aber das hat man ja bei dem oben erwähnten „Meine teuflischen Nachbarn“ auch getan.

Maureen Bharoocha

Moderatorin, Maureen Bharoocha, Produzent

Aberrance
Inhalt: „Erkhmee and Selenge ziehen in eine Hütte in der mongolischen Wildnis, um sich von dem stressigen Leben in der Großstadt zu erholen. Ihre Ehe ist mit Problemen befrachtet. Selenge hat Panikattacken, während Erkhmee beim Versuch sich um sie zu kümmern, sein gewalttätiges Temperament nicht im Zaum halten kann. Als ein neugieriger Nachbar sich einmischen will, setzt er eine Kettenreaktion in Bewegung.“ (zitiert aus dem Programm des Internationalen Filmfest Oldenburg)

Bevor ich auf den Film selber bespreche, muss ich kurz auf ein Gespräch eingehen, welches ich leider hinter mir mitverfolgen musste. Da sprachen zwei (ältere, weiße Männer) darüber, was sie den jetzt in diesem mongolischen Film erwarten würde. Scheinbar hatte keiner von Beiden die Inhaltsangabe im Kopf. Uns so kreiste das Gespräch dann um Dschingis Khan, der ja nur bis Wien kam (ja, genau. Da ist wohl etwas durcheinander geraten..), die weite Steppe in der der Film wohl spielen würde plus die Vorstellung, dass die Leute da dann stundenlang durch laufen müssten. Alles mit einem „Hahaha, die Mongolen.. wollen auch Filme drehen. Na, das kann ja etwas werden“ im Unterton. Dann wurde sich noch über einen koreanischen Film im Festival unterhalten (es muss sich dabei um Park Chan-wooks (!) „Desicion to Leave“ aus Südkorea handeln, ein anderer südkoreanischer Film lief dort nicht). Auch hier ein: „Naja, die Koreaner wollen ja jetzt auch Filme drehen“. Eine Ignoranz, ein Kulturchauvinismus der wirklich weh tut. Das ist die Art von Publikum, die ich kenne, wenn irgendwo ein schönes Festival mit europäischen Genreklassiker der 70er und 80er läuft, und die Leute sich daran berauschen wollen, wie schlecht und „trashig“ doch diese alten Schinken sind. Hier hat das alles aber auch noch einmal eine ganz andere Qualität. Fürchterlich.

Ganz und gar nicht fürchterlich (in dem Sinne) war dann der mongolische Slasher/Thriller „.Aberrance“. Ein Erstlingswerk des begnadeten Kameramannes Baatar Batsukh, der vor zwei Jahren schon den nicht ganz so gelungen „The Steed“ in schöne Bilder kleidete. Hier nun tut er das, was ein Kameramann so tut, wenn ihm niemand mehr sagt, was er zu tun und zu lassen hat. Er experimentiert, jagt die ungewöhnliche Einstellung und birst förmlich vor kreativer Spielfreude. Und das muss man ihm hier zu Gute halten: Nie zum völligen Selbstzweck, sondern immer auch der Handlung verbunden. Hinzu kommt ein überwältigendes Sounddesign, wodurch der sichtbar preisgünstige „.Aberrance“ zu einem audio-visuellen Erlebnis wird. Die Story schlägt einige nette Haken, indem einige Genre-Stereotypen durchgespielt werden, um dann immer wieder einen anderen – nicht weniger stereotypischen, aber eben anderen – Weg einzuschlagen. So teilt sich der Film in drei unterschiedliche Thriller-Typen auf, um am Ende beim Slasher zu landen und letztendlich auf einer bitterbösen, zynischen Note zu enden. Das ist ausgesprochen kurzweilig, spannend und manchmal dann doch auch überraschend.

Solide Darsteller, blutige Effekte und vor allem das bereits angesprochene hochgelungene Bild-Ton-Design machen „.Aberrance“ eigentlich zu einem idealen Kandidaten für auf moderne Genre-Ware spezialisierte Labels wie Pierrot Le Fou, die ihren Kunden auch mal etwas „Exotisches“ bieten wollen. Wobei „Exotisch“ nicht so recht passt, da man diese Art von Film schon häufig gesehen hat (er hätte auch aus Frankreich oder Spanien stammen können), und man von der Mongolischen Landschaft nicht so viel zu sehen bekommt. Aber der Film ist sehr gut gemacht, macht Freude, und man kann schon sehr auf den nächsten Film des vielversprechenden Herrn Batsukh gespannt sein. Gerne wieder ein Genreausflug.

Moderator Buddy Giovinazzo, Produzentin, Baatar Batsukh, Produzent

Baatar Batsukh

Nach diesem sehr befriedigenden Festivaltag, überlegte ich noch kurz, ob ich nicht doch noch die Mitternachtsvorstellung im Theaterhof mitnehme und mir den deutschen „Subjekt 101“ – auf den ich eigentlich recht gespannt war – ansehen sollte. Doch dann gewann die Vernunft die Oberhand (mehr als drei Filme hintereinander schaffe ich kaum noch aufzunehmen, und die Aussicht später völlig übermüdet über die Autobahn zu juckeln fand ich auch nicht so prickelnd), und ich setzte mich ins Auto. Die Rückfahrt wann dann so unproblematisch und angenehm, dass ich mich selber wunderte, als ich recht flott wieder vor der eigenen Haustür stand.

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5 Antworten zu Bericht vom 29. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 2

  1. Tobias sagt:

    Dieser Bericht hat viele meiner Fragen zum zweiten Tag des „29. Internationalen Filmfests Oldenburg“ beantwortet. Ich habe den Artikel sehr gerne gelesen und interessante Ideen daraus schöpfen können. Macht weiter so und schreibt interessante Artikel über Filmfeste.

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