DVD-Rezension: „o.k.“

Im Bayrischen Wald wird von einer Gruppe Schauspieler auf Bayrisch der reale, sogenannte „Incident on Hill 192“ (auch Grundlage des Films „Die Verdammten des Krieges“ von Brian de Palma), nachgestellt, bei dem im November 1966 ein Trupp US-Soldaten die junge Vietnamesin Phan Thi Mao kidnappte, vergewaltigte und ermordete.

Endlich ist Michael Verhoevens legendärer „Berlinale-Sprenger“ „o.k.“ auf einem Heimkino-Medium erhältlich. Ob es eine VHS-Auswertung gab, entzieht sich meiner Erkenntnis. Eine spontane Internet-Recherche ergab kein Ergebnis. Laut OFDb.de und Booklet lief der Film immerhin 2002 einmal auf VOX. Um 0:15 Uhr. Auf DVD war dieses provokative Antikriegs-Manifest bisher aber nicht zu bekommen. Und ich hätte tatsächlich eher damit gerecht, dass sich Bildstörung oder Subkultur mit seiner Edition Deutsche Vita dem Thema annehmen würde. Letztendlich ist „o.k.“ nun bei der Edition filmmuseum herausgekommen. Sicherlich nicht der schlechteste Ort dafür. Auch wenn man sich hier auch eine Blu-ray gewünscht hätte. Aber die Edition filmmuseum passt auch deshalb hervorragend, da der Film in Bayern spielt und auch auf Bayrisch (wobei, einem auch für norddeutsche Ohren verständlichen Bayrisch) gedreht wurde. Und die Edition wird ja vom Filmmuseum München herausgeben. Zudem haben auch die bisherigen Filme innerhalb der Edition gezeigt, dass hier mit viel Liebe, Akribie und Sachverstand vorgegangen wird.

Seinen legendären Ruf erhielt „o.k“, da der Film tatsächlich die Berlinale 1970 zum vorzeitigen Abbruch gebracht hat. Der damalige Jury-Präsident empfand den deutschen Wettbewerbsfilm als zutiefst anti-amerikanisch und beleidigend, so dass innerhalb der Jury beschlossen wurde, den Film aus dem Wettbewerb zu kegeln. Als das bekannt wurde, war der Skandal da. Die genauen Abläufe der damaligen Ereignisse werden im Begleitmaterial dieser DVD vorbildlich aufgearbeitet. Der Skandal half scheinbar nicht viel. Im Interview erzählt Produzent Rob Houwen, dass der Film gerade mal drei Wochen in deutschen Kinos lief. Eine kleine Anekdote am Rande: Wie ich verstellte, lief „o.k.“ in der Woche meiner Geburt im Bremer Kino „Filmstudio“ an. Wie man auf der zeitgenössischen Kinoanzeige lesen kann, wurde „der Film der die Berlinale sprengte“ (Werbetext) dort – obwohl gerade erst angelaufen mit den Worten „Auf dem Weg zum Film-Hit des Jahres“ beworben. Daraus ist dann scheinbar nichts geworden. Leider.

Denn „o.k.“ ist ein kleines Meisterwerk. Verhoeven war vor allem als Sohn des großen Paul (nein, nicht DER Paul, der deutsche) Verhoeven und als Schauspieler bekannt. Ab 1967 widmete er sich aber auch der Regie. Sein erster Film war die Strindberg-Verfilmung „Paarungen“ beruhend auf dem Theaterstück „Totentanz“, für die Verhoeven auch das Drehbuch schrieb. Es folgten die leichten Schwabing-Komödien „Engelchen macht weiter – hoppe, hoppe Reiter“ und „Der Bettenstudent oder: Was mach’ ich mit den Mädchen?“. All diese Filme wurden von Rob Houwen produziert. Und keiner bereitet einen darauf vor, dass Verhoevens vierter Film ein in schwarz-weiß gedrehter, Brechtsche Verfremdungstechniken anwendender, politischer und kompromissloser, den Krieg anklagender Film werden sollte. Wobei im „Bettelstudent“ der spätere RAF-Terrorist Christof Wackernagel die Hauptrolle spielte. Vielleicht ist dort eine Verbindung zu sehen.

„o.k.“ beginnt damit, dass sich die Schauspieler einfinden, in sich kurz vorstellen und ihre Kostüme raus suchen. Manche Sachen werden wiederholt, weil sie am Anfang nicht geklappt haben. So wird der Zuschauer durch die dokumentarische Herangehensweise einerseits in den Film hineingeholt, andererseits distanziert er sich vom Geschehen. Und dadurch kommt es zu einem interessanten Effekt. Einerseits ist völlig klar, dass hier nichts „echt“ ist. Die Schauspieler sprechen direkt mit dem Publikum, es wird hinter die Kulissen geblickt, Kamera und Techniker sind im Bild. Der Bayrische Wald sieht eben aus wie der Bayrische Wald – nicht im Geringsten wie Vietnam. Eva Mattes spielt zwar die Vietnamesin Phan Ti Mao, bleibt aber durch und durch Deutsch. Und die Soldaten haben zwar amerikanische Namen, sprechen aber eben Bayrisch. Auf der anderen Seite wirkt das Ganze aber gerade auch dadurch, dass dem Zuschauer dies bewusst ist und man weniger „lebensechte“ Figuren vor sich hat, als vielmehr Schauspieler, die sich in ihre Rollen hineingefunden haben, und diese nun leben, eben doch sehr wahrhaftig. Was man hier sieht, scheint sich tatsächlich in diesem Moment zwischen den Schauspielern zu entwickeln. Vieles wirkt improvisiert, obwohl es dies wahrscheinlich gar nicht ist. Ein wenig hat man das Gefühl, als würde man einem Reality-TV-Format zuschauen, das irgendwann aus dem Ruder läuft.

Für mich persönlich weckt „o.k.“ viele Erinnerungen an die eigene Bundeswehrzeit. 1993 hatte man mich tatsächlich noch zum 12-monatigen Grundwehrdienst eingezogen. Mir war es so ein wenig ergangen, wie Herrn Lehmann in Sven Regeners „Neue Vahr Süd“. Zwar hatte ich nicht vergessen zu verweigern, war aber wirklich bis zum letzten Moment der festen Überzeugung, dass ich nach meinen nicht gerade optimalen Ergebnissen bei der Musterung und meinem damaligen Alter eh nicht genommen und irgendwie davonkommen würde. Das glaubte ich tatsächlich bis zu dem Moment, als ich dann ganz wahrhaftig auf einmal vor einigen uniformierten Herren stand, die mich zwangen mich anständig in eine Reihe mit anderen Unglücklichen zu stellen. Versuche während der Grunddienstzeit doch noch ausgemustert zu werden schlugen ebenfalls fehl, sodass ich mich irgendwann in mein Schicksal ergab und hoffte, die 12 Monate gingen schnell herum. Besonders der Grunddienst kam mir jetzt beim Betrachten von „o.k“ wieder in den Sinn. Diese Zwangsgemeinschaft, wo der Schwächste im Glied kein leichtes Leben hat. Diese prollige Männergesellschaft, wo sich über möglichst geschmacklose Witzchen mit sexuellen Anspielungen definiert wird. Dieser bekloppte Aktionismus, wo tatsächlich – wie im Film – befohlen wird, sich zu tarnen. Nur weil den Oberen augenscheinlich sonst nichts einfiel, um die gelangweilten Wehrpflichtigen auf Trab zu halten. Und die sinnlose Befehle, nur um zu zeigen, dass die mit etwas mehr Streifen auf der Schulter diejenigen sind, die das eben können. Und alle anderen müssen auf ein – ihr! – Wort hin springen. Dieses Dahinleben in einer hermetisch abgeschirmten Blase, wo es nur die „Kameraden“ und sonst nichts gab. Wo man tatsächlich in der Woche in einer völligen Parallelwelt, die nichts mit dem wahren Leben zu tun hat, vegetiert – und es am Wochenende in der Zivilwelt dann perverser Weise auch nur noch ein Thema für einen gibt. Wo sich Werte und Prioritäten völlig verschieben.

Dies soll keine Entschuldigung für die grausame, grauenvolle Tat der Soldaten in „o.k.“ sein. Doch gerade in der ersten Hälfte konnte ich dieses pubertär-machohafte Gehabe doch wiedererkennen. Ebenso wie die ständig vorhandene, latente Aggressivität, die einen da umgibt und die einen irgendwann selber durchdringt. Kaum zu glauben, dass die Schauspieler tatsächlich alle „ungedient“ sind, wie sie am Anfang sagen. Allzu gut fangen sie die Atmosphäre „beim Bund“ ein. Nein, man muss nicht nach Vietnam sehen, um zu verstehen, wie diese seltsame Gesellschaft genannt Militär tickt. Und man soll nicht glauben, dass solche Übergriffe nur dort möglich sind. Deshalb zielt der Vorwurf des „Antiamerikanismus“, der gegen „o.k.“ auf der Berlinale erhoben wurde, auch vollkommen daneben. „o.k.“ zeigt, was militärische Strukturen und Ausnahmesituationen aus den Menschen machen. Aber auch, was in jedem einzelnen an Aggressivität, Mitleidlosigkeit gegenüber Schwächeren und Gewaltpotential schlummert. Das macht „o.k.“ zu einem wichtigen und auch schmerzhaften Film.

Verstärkt wird dies nicht nur von der hervorragenden Leistungen der damals noch unbekannten Schauspielern in den Hauptrollen (von denen neben Verhoeven nur Friedrich von Thun, Hartmut Becker und natürlich Eva Mattes Karriere machten), sondern auch von der herausragenden Kameraarbeit von Igor Luther. Diese umkreist zunächst fast verspielt die Protagonisten, doch später – gerade in den Szenen mit Eva Mattes – zieht sie immer enge ihre Kreise und lässt ein klaustrophobisches Gefühl in einem aufsteigen. Neben den Genannten haben auch Gustl Bayrhammer (ganz weit weg von den gemütlichen Ur-Bayern wie Meister Eder, für die er später berühmt wurde – allerdings die Abgründe dieser sonst mit ihm verbundenen Figuren spürbarmachend) und der große Rolf Zacher (in einer viel zu kleinen Rolle) starke Auftritte. „o.k.“ ist ein Film, den man gesehen haben sollte. Ein überraschend experimentelles, intensives Stück von Michael Verhoeven, welches es verdient hat, mehr zu sein als der „Berlinale-Sprenger“. Und ein Beweis dafür, dass ein frisches, intellektuell anspruchsvolles, aber gleichzeitig auch packendes und mitreißendes Kino in Deutschland möglich war (und auch noch immer ist, aber das ist eine andere Diskussion). Schön, dass man „o.k.“ endlich wieder sehen kann.

Wie gewohnt bei den DVD-Veröffentlichungen der Edition filmmuseum, sind die Extras eine wunderbare Ergänzung zum Film. Gerade bei „o.k.“ fallen sie auch recht üppig aus. Das Booklet besteht aus einem sehr lesenswerten und interessanten Essay von Stefan Drößler, in dem er auch viele zeitgenössische Quellen und Statements einarbeitet. Der 13-seitige Text (inklusive Bilder und Abbildungen) bietet einen ausführlichen und höchst spannenden Überblick über die Ereignisse auf der Berlinale 1970, der damaligen Rezeption des Filmes und den weiteren Problemen, mit denen sich Houwer konfrontiert sah und die beinahe in seinem Bankrott gemündet hätten. Eben dazu findet sich auf der DVD auch ein 34-minütiges Interview mit Verhoeven und Houwer, in dem sie sich dann die Dreharbeiten und vor allem natürlich die Berlinale-Geschichte lebhaft erinnern. Hier spürt man auch, wie diese Erfahrungen scheinbar einen Keil in ihre Freundschaft getrieben haben. Ebenfalls auf der DVD befindet sich Verhoevens Kurzfilm „Tische“ (10 Minuten), der das Thema Vietnam bereits ein Jahr vor „o.k.“ aufgenommen hat. Hierzu sollte man aber vorher den im Booklet befindlichen Text von Michel Verhoeven zu diesem Kurzfilm lesen, da er ohne das Vorwissen um die damaligen Geschehnisse bei der Friedenskonferenz von Paris nicht mehr ganz nachvollziehbar ist. Ein Trailer für „o.k.“ und zwei Zusammenfassungen von Drößlers Text ins Englische und Französische im Booklet runden die Extras ab. Bild und Ton der DVD sind soweit gut. Allerdings scheint es ein kleines Problem beim Transfer gegeben zu haben. Bei einigen Kamerabewegungen erscheint kurz ein waagerechtes Streifenmuster. Dies passiert aber nur sehr selten und wurde von mir nicht als störend empfunden.

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