Vorschau: Das 27. Internationale Filmfest Oldenburg

Was für ein seltsames Jahr so ganz ohne Festivals. Wobei zumindest was die Musik angeht, das Überseefestival bei uns in Bremen bewiesen hat, dass man mit Enthusiasmus, tollen Helfern und guten, kreativen Ideen ja immerhin ein abgespecktes Alternativprogramm auf die Beine stellen kann, welches den größten Schmerz lindert und den Menschen etwas Zuversicht und Hoffnung gibt. Auch wenn es nicht „the real thing“ ist.

Bei dem Internationalen Filmfest Oldenburg (16. bis 20. September) sieht es ähnlich aus. Auch hier ließ man sich von Corona nicht in die Knie zwingen und entschloss sich früh, ein hybrides Filmfestival anzubieten, welches einerseits die Möglichkeit bietet, Festivalatmosphäre vor Ort zu schnuppern und anderseits moderne Technik zu nutzen, um auch die am Filmfest teilhaben zu lassen, die nicht ins Kino möchten/können. Ich bin selber kein großer Freund davon, selber ganze Filmfestivals zu streamen. Das wäre für mich immer eine zweite Option, da das Kinoerlebnis und das „Weggucken“ auf dem kleinen Laptop-Screen zwei ganz unterschiedliche Dinge sind, wobei letzteres dem Werk der Künstler meistens nicht gerecht wird. Doch das ist mein persönliches Gefühl und ich freue mich, dass das Filmfest Oldenburg solch eine Möglichkeit anbietet.

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich dieses Jahr nach Oldenburg fahren werde. In diesem Jahr werden nur drei Kinos bespielt und diese haben natürlich aufgrund der Hygeniemaßnahmen nur begrenzte Kapazitäten. Daher ist das Risiko nach Oldenburg zu fahren und dann mit leeren Händen dazustehen und unverrichteter Dinge wieder zurück nach Bremen fahren zu müssen recht groß. Zwar werden wohl Lounges eingerichtet, in denen man (also die Presse) die Filme auf dem Laptop streamen kann, aber das kann man auch ohne den Aufwand Zuhause machen und das hat – siehe oben – für mich nicht viel mit Festivalstimmung zu tun. Andererseits bin ich seit 2009 treuer Gast des Festivals und großer Fan. Das Filmfest Oldenburg gehört für mich immer zu den Höhepunkten des Jahres und darauf in 2020 verzichten zu müssen, würde schon stark schmerzen. Wie gesagt – noch schwanke ich.

Das hat mich aber nicht davon abgehalten, mich ausführlich mit dem diesjährigen Programm auseinanderzusetzen. Hier meine Tipps für dieses Jahr bzw. die Filme, die ich mir gerne ansehen würde. Die Texte habe ich aus den Pressemitteilungen übernommen.

ALONE, USA 20, von John Hyams (Internationale Premiere)
Seine Filme setzen zur Zeit den Maßstab im amerikanischen Actionkino. In »Alone« erzählt John Hyams eine atemlose Jagd, in der jede Punchline und jeder Twist die Suspenseschraube anziehen und den Zuschauer nicht mehr vom Haken lassen. Ein echter Wirkungstreffer.

AMERICAN THIEF, USA 20, von Miguel Silveira (Internationale Premiere)
Eine geheime Verschwörung, die die Präsidentschaftswahlen 2016 zum Scheitern bringen soll, ist das Bindeglied zwischen einem jungen Hacker, einem abtrünnigen Verschwörungs-Vlogger und einem mysteriösen Programmierer künstlicher Intelligenz. Miguel Silveiras hybrider Spielfilm wurde von 2015 bis 2018 um wahre Ereignisse in New York City herum gedreht. Die fiktionale Welt kollidiert hier mit der Realität, da die Schauspieler als ihre fiktionalen Figuren Zeugen der realen Ereignisse werden und auf diese reagieren. Das Ergebnis ist ein elektrisierender Thriller, der einen Blick auf einen polarisierenden Moment in der amerikanischen Geschichte wirft.

BLACK JADE, USA 20, von Guy Longstreet (Weltpremiere)
Die höchsten Ideale und tiefsten Schrecken Amerikas verflechten sich im Debütfilm von Guy Longstreet. Darin spielt Gareth Koorzen Raymond Sykes, einen Schriftsteller mit großen Träumen, der für einen Neuanfang mit seiner Frau Dorothy nach Los Angeles gezogen ist. Doch alte Wunden und Ressentiments werden wieder aufgewühlt, als Dorothys Schwester Adel den beiden einen unerwarteten Besuch abstattet. Ein Abstieg in Rays innere Welt voller Angst, Fantasie und Paranoia, wo die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit sich aufzulösen beginnt.

THE FIVE RULES OF SUCCESS, USA 20, von Orson Oblowitz (Europäische Premiere)
»X« hat zwar keinen Namen, aber dafür fünf Regeln – und jede Menge Probleme. Gerade aus dem Gefängnis entlassen, legt ihm eine feindselige Gesellschaft Steine in den Weg. Mit den Stilmitteln des Undergroundkinos entwirft Oblowitz ein Höllengemälde voller Unsicherheit und Ungerechtigkeit. Wildes Kino zwischen Underground und Genre.

HAPPY TIMES, USA/ITA/ISR 19, von Michael Mayer (Deutschlandpremiere)
Mit »Happy Times« erschafft Regisseur Michael Mayer eine kurzweilige Splatter-Komödie, die im absolut richtigen Maße übertreibt. Es gelingt dem Film perfekt, die Symptome einer saturierten Gesellschaft darzustellen und weit in die dunkelsten Ecken der menschlichen Psyche vorzudringen.

THE JESUS ROLLS, USA 19, von John Torturro (Deutschlandpremiere)
Eine kurzweilige und unwiderstehlich charmant aus der Zeit gefallene Hommage an das wilde Kino der 70er Jahre und die Auferstehung vom Bowling-Anarchisten »The Jesus«, der schrägsten Figur aus dem an Absurditäten nicht armen Oeuvre der Coen Brothers.

THE LONG WALK, LAO 19, von Mattie Do (Deutschlandpremiere)
Mattie Do ist eine der aufregendsten Filmemacherinnen unserer Zeit und ihr dritter Film eine magische Geistergeschichte, die sich traumwandlerisch an die Seite von Peter Weirs »Picknick at Hanging Rock« gesellt: ein Film so schön, dass er süchtig macht.

THE LONGEST NIGHT, ARG 20, von Moroco Colman (Weltpremiere)
Moroco Colman kehrt nach Oldenburg zurück, um die Weltpremiere seines herzzerreißenden zweiten Spielfilms zu feiern. Inspiriert von wahren Begebenheiten erzählt der Film die Geschichte des berüchtigsten Serienvergewaltigers in der Geschichte Argentiniens, der in der Universitätsstadt Córdoba lebte, wo er zwischen 1985 und 2004 mehr als 93 Frauen vergewaltigte, während er ein Doppelleben als engagierter Ehemann und Vater führte. Die Tapferkeit einer jungen Frau, die 20 Jahre lang in der Öffentlichkeit verborgen war, wird ein Raubtier fangen, das sich der Polizei entzog und eine Revolution inspirierte.

THE MADNESS INSIDE ME, USA 20, von Matthew Berkowitz (Weltpremiere)
Madison arbeitet als forensische Psychiaterin in New York. Nachdem ihr Mann ermordet wird, gelingt es ihr, den Täter zu identifizieren, doch im letzten Moment zieht sie ihre Aussage zurück. Von nun an verfolgt sie den inzwischen freigelassenen Mörder auf eigene Faust.

MIRACLE FISHING, USA 20, von Miles Hargrove (Internationale Premiere)
Nur mit den Bildern der alten VHS Videokamera zusammengestellt, ist »Miracle Fishing« berührender und packender als alles, was Hollywood mit seinen Megabudgets fertigbringt. Das Tagebuch einer Entführung und das Portrait einer wunderbaren Familie und ihrer Freunde.

PRECARIOUS, USA 20, von Weston Terray (Internationale Premiere)
Ein filmisches Juwel, das der Story und seinen Figuren so viel Raum im noch kleinsten Tunnel gewährt, dass man nur zu gerne mit ihnen durch die fantastischen Labyrinthe irren und sich durch die düstersten Gänge zwängen möchte.

SAVAGE STATE, FRA/CAN 19, von David Perrault (Deutschlandpremiere)
Ein feministischer Western, so sinnlich und erzählerisch ungezähmt wie Sam Fullers Klassiker »Forty Guns«. Eine französische Familie auf dem Ritt ostwärts. David Perrault wirbelt das Western Genre auf und legt den Colt in Frauenhände.

SHE DIES TOMORROW, USA 20, von Amy Steimetz (Internationale Premiere)
Schlimmer als die Angst ist nur die Angst vor der Angst. Und Angst ist vor allem eines: ansteckend. Amy ist fest davon überzeugt, dass sie morgen sterben wird und langsam aber sicher infiziert der destruktive Gedanke ihr gesamtes Umfeld wie ein bösartiger Virus.

SHORTA, DEN 20, von Frederik Louis Hviid & Anders Ølholm (Deutschlandpremiere)
Die Polizeibeamten Jens und Mike sind auf Routinepatrouille im Ghetto von Svalegården, als die Nachricht vom Tod eines jungen Mannes in Polizeigewahrsam über das Radio eintrifft und die aufgestaute Wut der örtlichen Jugend enfesselt. Plötzlich sind die beiden Polizisten Freiwild und müssen um einen Ausweg aus dem Ghetto kämpfen.

DIE STIMME DES REGENWALDES, SUI 19, von Niklaus Hilber (Deutschlandpremiere)
Ein leidenschaftlicher Kampf gegen die Zerstörung des Regenwaldes und ein Umweltaktivist, der zur Zielscheibe eines ganzen Landes wird.

UNTIMELY, IRN 20, von Pouya Eshtehardi (Europäische Premiere)
Hamin ist ein junger Gefreiter, der seinen Militärdienst auf einem Wachturm an der Grenze zwischen Iran und Pakistan leistet. Ungeduldig wartet er auf einen freien Tag, um an der Hochzeitsfeier seiner Schwester teilzunehmen und gerät in einen Streit mit seinem Kommandanten. Oben im Wachturm lässt Hamin die vergangenen Jahre und die Dinge, die ihm und seiner Schwester seit ihrer Kindheit widerfahren sind, Revue passieren.

Die Retrospektive ist in diesem Jahr Wilhelm Friedkin gewidmet. Hierzu interessant:

Live-Gespräch mit William Friedkin
Als besonderes Highlight wird William Friedkin im Rahmen eines großen virtuellen Live-Gesprächs nach Oldenburg zugeschaltet. Das Gespräch wird ohne Paywall allen Interessierten zugänglich gemacht werden.

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