Filmbuch-Rezension: „Anthony Mann – Kino der Verwundung“

Anthony Mann war einer der ersten Regisseure, dessen Name mir geläufig war und dessen Filme ich immer auf dem Schirm hatte, wenn sie dann mal auf einem der drei deutschen Fernsehsender lief. Was in den frühen 80ern öfter mal der Fall war. Gerade „Meuterei am Schlangenfluss“ habe ich geliebt und gefühlt wurde der auch mindestens zweimal im Jahr gezeigt. Und jedes Mal saß ich dann wieder vor der Glotze und war ganz in den Film hineingezogen. Aber auch die anderen Mann/Stewart-Western habe ich verschlungen. Für mich war Mann damals DER Western-Regisseur, zusammen mit Howard Hawks und seinen John-Wayne-Western. Mit John Ford konnte ich damals noch nicht so viel anfangen. Und dann kamen mir schon bald die Italo-Western unter die Nase und der klassische amerikanische Western wurde in den Hintergrund gedrängt. Doch Anthony Manns Western blieben mir bis heute eine wunderbare Erinnerung, auch wenn ich seine Filme leider schon länger nicht mehr gesehen habe. Aber das wird sich sicherlich bald wieder ändern.

Der Bertz+Fischer-Verlag setzt seine Reihe mit wirklich überragenden Büchern fort, die Regisseure in den Fokus rücken, die seltsamerweise hierzulande noch nicht in dieser in gebührenden Form gewürdigt wurden. War es vor einiger Zeit noch das hervorragende Buch von René Ruppert über Helmut Käutner, welches mich begeisterte, so steht Ines Bayers umfassendes Werk über Anthony Mann diesem in keiner Weise nach. Ines Bayer wählt eine eher ungewöhnliche, aber zwingend logische Herangehensweise. Im ersten Teil des Buches, genannt „The Mann“, geht sie sehr detailliert auf Manns speziellen Stil und die Themen ein, die in Manns Werk immer wieder auftauchen. Auf 65 Seiten werden dieser Stil und die Themen zusammengefasst und mit den entsprechenden Filme verknüpft. Immer wieder weißt Ines Bayer auch darauf hin, dass Mann in erster Linie ein Handwerker im Studio-System war – dass es ihm aber gerade dadurch gelungen ist, relativ unbehelligt immer wieder Dinge, die ihm wichtig waren, in seinen Filmen unterzubringen. Auch unterfüttert sie diese bei Mann immer wieder auftauchenden Themen mit biographischen Details, so dass sich ein rundes und logisches Bild ergibt. Dabei fällt auf, dass Mann selber hier recht häufig in Form von Interviews zu Wort kommt, um über seine Art zu Arbeiten zu sprechen. So hat man oftmals zwei Blickwinkel: Den analytischen von Ines Bayer und den persönlichen von Mann selber.

Im zweiten, mit 200 Seiten deutlich längeren Teil „Die Filme“ wird auf Manns filmisches Werk eingegangen. Dabei wird aber nicht chronologisch ein Film nach dem anderen abgehakt, sondern seine Werke in größere, thematisch zusammenhängende Abschnitte gegliedert. Das beginnt mit einem mir völlig unbekannten Anthony Mann. Nämlich den Regisseur von Komödien und Musicals. Gerade dadurch, dass man Mann damit heute überhaupt nicht in Verbindung bringt, ein hochspannendes Kapitel. Weiter geht es mit den Kriminalfilmen und Film Noirs, dann folgen die Western, die mit 60 Seiten den größten Raum einnehmen. Und die einem mit all ihren verletzten Körpern und Seelen ja auch beim Untertitel des Buches „Kino der Verwundung“ als erstes in den Sinn kommen. Der vierte Abschnitt dieses Teil beschäftigt sich mit Manns Sicht auf Amerika. Hier werden Filme wie „The Glenn Miller Story“ oder „God’s Little Acre“ abgehandelt. Danach folgt ein Abschnitt, in dem jene Filme zu finden sind, die in Europa spielen (und größtenteils auch gedreht wurden) und sich mit der Europäischen Geschichte beschäftigen, wie „El Cid“, „Der Untergang des Römischen Reichs“ oder sein letzter Film, der in Berlin gedrehte Spionage-Thriller „A Dandy in Aspic“.

Statt eines Fazits, nimmt sich Ines Bayer Anthony Manns unheimlich intensiven Kriegsfilm „Men in War“ vor, und klopft diesen auf die im Vorfeld aufgestellten Thesen ab und analysiert ihn als Quintessenz eines Mann-Films. Es folgt noch ein biografischer Abriss, eine Filmografie und ein extrem umfangreiches, neun-seitiges Literaturverzeichnis. Und diesen Fleiß in der Recherche und Analyse merkt man auch. Ines Bayers Buch ist sehr fundiert geschrieben, jederzeit nachvollziehbar, klar strukturiert und präzise in seinen Aussagen. Obwohl eine wissenschaftliche Dissertation ist das Buch zwar anspruchsvoll, aber nicht abgehoben verkompliziert geschrieben. Auch Nicht-Wissenschaftler können es bedenkenlos in die Hand nehmen und sich von Ines Bayer in die Welt des Anthony Mann führen lassen. Vor allem macht das Buch auch neugierig, selber in dessen Kosmos einzutauchen und endlich mal wieder die alten Filme (vielleicht sogar mit neuen Augen) zu sehen. Eine ganz dicke Empfehlung.

Ines Bayer „Anthony Mann – Kino der Verwundung“, Bertz+Fischer, 304 Seiten, € 36,00

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