Blu-ray-Rezension: „Luz“

Seltsame Dingen gehen vor sich. Ein junge Taxifahrerin (Luana Velis) kommt verletzt in ein Polizeirevier. Sie leidet unter Gedächtnisverlust. In einer Bar begegnet der Polizeipsychologe Dr. Rossini (Jan Bluthardt) in einer Bar der geheimnisvollen Nora (Julia Riedler), die ihm seltsame Geschichten über ihre alten Freundin Luz erzählt, die vor Jahren auf einer chilenischen Klosterschule in Teufelsbeschwörungen verwickelt war. Dann wird Dr. Rossinis von der Polizei um Hilfe im Fall der mysteriösen Taxifahrerin gerufen. Wie sich herausstellt, hört diese ebenfalls auf den Namen Luz.

Mittlerweile habe ich den deutsche Hochschulabschlussfilm „Luz“ von Tilman Singer bereits drei Mal innerhalb eines Jahres gesehen. Anlässlich des ersten Males bei der Aufführung beim 25. Internationalen Filmfest in Oldenburg schrieb ich noch, dass „Luz“ ein zweischneidiges Schwert sei. Seine wunderbare Optik und sein grandioses Tondesign nahm mich bereits damals für „Luz“ ein. Ebenso einige wunderschöne Ideen und eine sehr einfallsreich mit den arg limitierten Ressourcen umgehende Regie. Ich bemängelte allerdings, dass das Drehbuch stark herum schlingern würde und man merkt, dass hier noch kein routinierter Profi am Werk war. Gerade die Dialoge fand ich doch größtenteils ausbaufähig. Und besonders stieß mit auf, dass die Figurenzeichnung oftmals auf übertriebene Klischees zurückgreift. Besonders schlimm erschien mit dies bei der Figur der Kommissarin, die im schwarzen Abendkleid und Schulterhalfter herum rennt und ihre Befehle brüllt. Da kippt der Film für meinen Geschmack dann bedenklich in Richtung Schmierentheater. Sehr hart ging ich mit der schauspielerischen Leistung von Julia Riedler ins Gericht. Ich schrieb: „Dies mag in diesem Falle vielleicht sogar gewollt sein (sie ist immerhin von einem Dämon besessenen und kann sich darum „anders“ verhalten), wirkt aber wie Amateurtheater auf niedrigstem Niveau („Bisssu Narzt?“).“

Trotz allem überzeugten mich die Stärken des Filmes mehr, als die Schwächen. Er überzeugte meinen Kollegen Stefan und mich sogar so sehr, dass wir ihn im April innerhalb unserer Kinoreihe „Weird Xperience“ zeigten. Und beim zweiten Sehen waren die Stärken des Filmes noch weitaus intensiver (was sicherlich auch daran lag, dass das Soundsystem im Cinema Ostertor und die Projektion weitaus besser waren, als im provisorisch zum Kino umgestellten Theaterhof mit seinem schwachen Beamer, der immer alle Schwarztöne verschluckt und grünlich abbildet und über einen miserablen Ton verfügt). Auch empfand ich die oben angemerkten Schwächen, als weitaus weniger störend. Ja, mit Julia Riedels, nennen es wir mal eigenwilligen, Darstellung habe ich noch immer meine Probleme. Akzeptiere aber – im Wissen um die weitere Handlung – dass sie sich dabei etwas gedacht hat und das dann konsequent durchzieht. Allein die Figur der Kommissarin liegt mir weiterhin schwer im Magen. Aber das verzeihe ich dem sympathischen – und ebenfalls sehr eigenwilligen – Film gerne.

Auch was das Drehbuch herum schlingern würde muss ich nach der wiederholten Sichtung zurücknehmen. Tatsächlich ist die Geschichte an sich recht gradlinig und nachvollziehbar, wenn auch Ansätze zur Interpretation bleiben. Die ganze Hintergrundgeschichte setzt sich erst nach und nach zusammen, wobei der Zuschauer die einzelnen Hinweise nicht chronologisch serviert bekommt, sondern erst nach Ende des Filmes im Kopf zu einem vollständigen Bild puzzeln kann. Das irritiert zunächst und sorgt für so manches Aha-Erlebnis, wenn man den Film ein zweites Mal sieht. Irritiert ist man wahrscheinlich auch, weil die Figur der Luz überhaupt nicht dem entspricht, was man erwartet. So geht man bei der Erstsichtung noch davon aus, dass Luz ein (wenn auch recht wehrhaftes) Opfer ist. So wird sie auch inszeniert. Tatsächlich verbindet sie aber weitaus mehr mit dem Dämon, als auf den ersten Blick ersichtlich. Was manche zunächst als „schräg“ oder schlimmstenfalls als „unlogisch“ empfundene Sprünge erklärt. Auch hier hilft es sehr, sich entweder im Vorfeld von jeglichen Erwartungen frei zumachen – oder sich mit dem Wissen der Erstsichtung offen einer Zweitsichtung zu nähern. Ein sehr lohnendes Erlebnis, in dem man den Film nicht nur mit anderen Augen sieht, sondern auch viele Details und Hinweise entdeckt, die einem beim ersten Mal entgangen sind.

Während im Vorfeld der Film immer in die „70er“ und „Neo-Giallo“-Ecke gesteckt wurde (und sogar Mario Bava als Reverenz herhalten musste), ist er doch meilenweit davon entfernt und erinnert mit seinem körnigen Bild und der grau-beige-blauen Farbgebung stattdessen sehr angenehm an die rauen, unbehauenen 80er Jahre Horrorfilme mit Underground-Wurzeln. Insbesondere punktet „Luz“ auch mit der sehr guten Hauptdarstellerin Luana Velis, der wirklich atemberaubend tollen Ausstattung, sehr gelungenen Soundtrack und einem Sounddesign, welches auf dem Punkt den Puls schneller schlagen lässt. Gedreht wurde auf 16mm-Film, was noch einmal Sympathiepunkte bringt.

Weiterhin absoluter Höhepunkt ist weiterhin die Szene, in der eine Taxifahrt nur mithilfe von einigen Stühlen und der Tonspur nachgestellt wird, Das ist schlichtweg brillant und zeigt, dass mit Phantasie, Kreativität und dem richtigen Gespür für Film aus ein paar hingeworfenen Requisiten ganz großes Spannungskino gezaubert werden kann. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass Singer seit langem mit Set Designer Dario Mendez Acosta (der hier schier unfassbares zaubert) , dem hochtalentierten Kameramann Paul Faltz und Komponist Simon Waskow zusammenarbeitet. Dieses eingespielte Team kreativer Köpfe hat gemeinsam einen Film geschaffen, der sich sehr angenehm von dem abhebt, was man häufig als „Neuer Deutscher Genrefilm“ vorgesetzt bekommt: Nämlich ein Nachhecheln von US-amerikanischen Erfolgsmustern oder eine provinzielle Gaudi-Parodie derer. „Luz“ gehört daher eher in das von Tobias Haupts in dem empfehlenswerten Buch „Fantastisches in dunklen Sälen – Science Fiction, Horror und Fantasy im jungen deutschen Film“ neu definierte Gerne des „German New Weird“ und ist zusammen mit „Der Samurai“, „Der Bunker“, „Der Nachtmahr“ und „Wild“ zu den Beweisen, dass es nicht viel großes Geld, sondern Mut, Radikalität und Kreativität braucht, um einen Film zu drehen, der beeindruckt und sich langfristig ins Gehirn eingräbt.

Ich bleibe bei meiner Aussage nach der ersten Sichtung vor einem Jahr: Tilman Singer sollte man unbedingt im Auge behalten. Da kann noch Großes kommen. Ich freue mich jetzt schon drauf!

Bildstörung hat dem Film innerhalb seiner Drop-Out-Reihe eine wahre Deluxe-Behandlung angedeihen lassen. Bild und Ton, die für diesen Film so wichtig sind, liegen ist hervorragender Qualität vor. Man darf dabei nicht vergessen, dass „Luz“ auf 16mm-Filmmaterial gedreht wurde, dementsprechend „dreckig“ aussieht. Dies ist für die Blu-ray-Auswertung dankenswerterweise übernommen worden und auch Materialfehler wurden nicht beseitigt, was den Ganzen ein echtes Filmgefühl gibt und ihn weit vom klinischen HD-Look abhebt. Auch was die Extras angeht, schöpft Bildstörung wieder aus dem Vollen. Das sehr interessante „Making of“ indem alle Phase der Entstehung, Vorbereitung, Dreh, Postproduktion und letztendlich Premiere unter die Lupe genommen werden und alle am Film beteiligten ausführlich zu Wort kommen, ist mit 74 Minuten länger als der Film selber. Wie bei der vorherigen Drop-Out-Veröffentlichung „The Friendly Beast“ sind auch wieder frühere Kurzfilme des Regisseurs mit dabei. „The Events at Mr. Yamamoto’s Alpine Residence“ ist eine bildgewaltige Fingerübung in Sachen Kamera und Stimmung. „‚El Fin Del Mundo“ (17 Minuten) zeigt wiederum eine ganz andere Seite des Regisseurs. Den Audiokommentar bestreitet Tilman Singer zusammen mit seinem kongenialen Production Designer Dario Mendez Acosta. Das dicke Booklet enthält ein Essay des kanadischen Drehbuchautoren und Journalisten Ariel Esteban Cayer, sowie Ausschnitte aus dem Drehbuch. Wer direkt beim hauseigenen Shop bestellt, kann auch die Limited Edition mit der Soundtrack-CD erwerben.

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1 Antwort zu Blu-ray-Rezension: „Luz“

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