Bericht vom 26. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 3

Der letzte Tag in Oldenburg. Wieder mit Stefan, der diesmal die Fahrerdienste übernahm. Den letzten Tag finde ich immer am Schönsten, da hier immer eine sehr entspannte Atmosphäre herrscht, die Kinos nicht mehr so voll sind und man selber den Tag quasi als „Absacker“ mitnimmt. Nachteil: Oftmals sind schon viele Gäste abgereist. Aber irgendwas ist ja immer. Sehr positiv fiel mir auch auf, dass an diesem Tag der organisatorische Ablauf wie am Schnürchen klappte. Lag es daran, dass offensichtlich einige alte Hasen dafür zuständig waren, deren Gesichter man aus den Vorjahren schon kannte? Oder daran, dass alle abends nach knapp einer Woche Festival pünktlich Feierabend machen wollten? Egal. Auf jeden Fall: Sehr angenehm.

The Gasoline Thieves – Der intensive „The Gasoline Thieves“ führt den Zuschauer nach Mexiko. Aber nicht in die Großstadt, sondern in eine kleine Stadt irgendwo in der Ödnis. Erzählt wird die Geschichte des 14-jährigen Lalo. Dieser geht vormittags in die Schule und verkauft nachmittags gestohlenes Benzin. Dieses stammt aus den endlosen Pipelines, die durch Mexikos Erde laufen und nachts von den „Gasoline Thieves“ angebohrt werden. Dass dies Geschäft ein sehr gefährliches ist, in dem tödliche Konkurrenz herrscht und man sein Leben riskiert, erfährt man beim brutalen Auftakt gleich am Anfang.

Lalo hat nur davon gehört, weiß aber nicht worauf er sich eigentlich einlässt, als er sich einer Bande von „Gasoline Thieves“ anschließt. Grund dafür ist einerseits, dass er Geld braucht, damit er einem Mädchen aus seiner Schule ein cooles Handy zu kaufen, um sie für sich zu gewinnen. Zunächst genießt es Lalo dazuzugehören und viel Geld zu verdienen. Am glücklichsten Tag seines Lebens verbringt er einen tollen Stunden mit dem Mädchen seiner Träume. Doch das ist bereits der Anfang vom Ende und Lalo steuert direkt auf die Hölle zu.

„The Gasoline Thieves“ nimmt sich viel Zeit seine Geschichte aufzubauen. Man folgt Lalo und lernt ihn so gut kennen, dass man sich um ihn sorgt und einem sein Schicksal nicht egal ist. Subtil lässt Regisseur Edgar Nito dabei immer wieder Szenen einfließen, die zeigen, dass der Benzindiebstahl ein tödliches Geschäft ist, und die Banden über Leichen gehen. Man möchte Lalo zurufen, er solle sich von Dieben fern halten, gleichzeitig versteht man aber auch seine Motivation, kennt die Umstände, in denen er lebt und weiß, dass er nichts Böses im Schilde führt. Er ist eben nur ein Junge, der seine große Liebe beeindrucken und seine geliebte Mutter unterstützen möchte, welche in Armut lebt und das bisschen Geld, was sie hat, an einen todkranken Onkel verschenkt. Nachdem man Lalo liebgewonnen hat, geht es dann steil bergab und ein Schock folgt auf den anderen. Der Schluss ist dann von einer unerträglichen Spannung und ein gemeiner Schlag in die Magengrube. Für mich der stärkste Film des Festivals.

Weiter ging es die halbe Treppe hoch im cineK Studio, wo die beiden Regisseurinnen des folgenden Films in bunten Kostümen eine tolle Einleitung gaben.

Greener Gras – Die zwei Stand-Up-Comedians Jocelyn DeBoer und Dawn Luebbe zeigen uns ihre Version der Vorstadt-Hölle in den USA. Und da wird jedes Klischee aufgegriffen und auf die Spitze (und drüber hinaus) getrieben. Das ist vollkommen absurd – z.B. wenn zwei Hausfrauen ihre Ehemänner verwechseln. Oder die eine zur anderen sagt, wie süß ihr Baby sei und diese es ihr dann gleich schenkt – weil es ihr doch so gut gefällt.

Die Handlung von „Greener Gras“ wiederzugeben fällt schwer, da der Film eine satirische Nummern-Revue ist, die immer wieder Haken schlägt und zwischen subtiler Übertreibung und schriller Farce pendelt. Da gibt es einen Jungen, der sich in einen Hund verwandelt, um den hohen Erwartungen seines Vaters zu genügen – welcher daraufhin auch schwer begeistert ist, wie schnell und sportlich sein sonst eher kränklicher Sohn nun auf einmal ist. Oder einen etwas wirren Subplot, um einen Serienkiller (oder Killerin, ich habe das nicht so recht durchblickt). Alles in quietschbunten Farben oder Pastelltönen aus dem Fegefeuer.

Die beiden Regisseurinnen Jocelyn DeBoer und Dawn Luebbe zeichnen sich nicht nur auch für das Drehbuch verantwortlich, sondern übernehmen auch Hauptrollen. Entsprechend enthusiastisch sind sie bei der Sache, und selbst wenn sie sich ab und zu verzetteln und man nicht immer das Gefühl hat, sie hätten einen Plan, was und vor allem wie sie eigentlich erzählen wollen, so ist macht dies den Film grundsympathisch. Mehr als einmal gleitet er auch ins Surreale ab. Irgendwie fühlt man sich wie in einen wilden Mix aus John Waters und Quentin Dupieux geworfen. Ich bin gespannt was von den beiden Regisseurinnen – die auch in der Q&A ausgesprochen amüsant waren – noch kommt. „Greener Gras“ ist auf schon einmal eine sehr kurzweilige und recht genau beobachtete Persiflage auf das Leben in Suburbia.

Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und Hauptdarsteller Jocelyn DeBoer und Dawn Luebbe

Noch einmal Jocelyn DeBoer und Dawn Luebbe im tollen Outfit

Die beiden noch einmal – zusammen mit der souveränen Moderatorin

Auch das folgende Q&A war höchst amüsant, aufschlussreich und vor allem sehr gut und souverän moderiert. Dadurch, dass auch auf die Zeit geachtet wurde, hatte ich auch gar keinen Stress, ins Casablanca zu laufen. Wenn das immer so wäre…

Initials S.G. – „Intitials S.G.“ wanderte nur als Verlegenheitslösung in mein Programm, da mich die Alternativen auf der entsprechenden Zeitschiene nicht ansprachen. Doch eine Geschichte über einen Kleindarsteller, Porno-Darsteller, Frauenheld und Gainsbourg -Fan, der schon bessere Zeiten gesehen hat, klang ganz vielversprechend.

Wie „Patrick“ wurde der Film als Komödie angekündigt und entpuppte sich als zutiefst pessimistischer Blick auf das Argentinien von heute, welches immer noch glaubt, die alte, unwiderstehliche Größe zu besitzen. Und als Portrait eines liebesunfähigen Mannes, der sich und sein Leben nicht im Griff hat. Der nicht realisiert, dass seine große Zeit vorbei ist. Der nur noch für das nächsten kleine Abenteuer lebt und sich dabei nicht zu schade ist, die Freundin eines Mannes, den er in einer unglücklichen Situation getötet hat, auf plumpe Art anzubaggern.

Nein, dieser Sergio ist kein Sympathieträger. Aber gerne hat man ihn mit seiner großkotzig-selbstverliebten Art dann aber doch irgendwie. Trotz seine Skrupellosigkeit in Liebesdingen, seinen unbeherrschten Wutausbrüchen und seiner Unzuverlässigkeit. Wie Argentinien eben, mit dessen Nationalmannschaft sich Sergio auf übernatürlich Weise verbunden fühlt. Dass der Film zur Weltmeisterschaft 2014 spielt, ist da für uns Deutsche natürlich ein besonders Schmankerl, da das legendäre Spiel gegen Brasilien und das Finale eben gegen Argentinien hier eine größere Rolle spielen.

Ansonsten begleitet man Sergio durch ein paar Wochen seines Lebens, in denen er mit einer amerikanischen Produzentin widerwillig eine recht einseitige Affäre beginnt, sich von den Folgen eines schweren Radunfalls erholen muss (was ihm recht zu schaffen macht) und eben das Opfer eines Totschlags verschwinden lässt. So bleibt man Sergio immer an der Seite, lernt ihn besser kennen und ja, zum Lachen gibt es hier und da auch etwas.

Das gemischte Regie-Duo Rania Attieh und Daniel Garcia schafft es den ganzen Film über einen sowohl locker-heiteren Ton zu halten, der auf einer sehr dunkel-pessimistischen Grundierung aufgebracht wurde. Ein guter Film mit einem tollen Soundtrack, der vor allem aus ins spanische übersetzte Songs von Serge Gainsbourg besteht, welche vom großartigen Hauptdarsteller Diego Peretti (der wirkt wie eine Mischung aus Rolf Zacher, Al Pachino und Herbert Fux) höchstselbst interpretiert werden.

Nach diesem kurzen Abstecher zum Pferdemarkt ging es zurück in die Bahnhofstr. ins cineK Studio, welches merkwürdigerweise auch in den letzten Jahren immer das Kino war, in dem ich meinen letzten Film des Festivals sah. In der Kulturetage wartete auch schon Stefan, der – nach dem Bericht eines Freundes, der den Film bereits am Donnerstag sah – ebenso große Erwartungen an „Jesus Shows You the Way to the Highway“ hatte, wie ich und dem – soviel sei vorweg genommen – , der Film auch weitaus besser gefiel als mir.

Jesus Shows You the Way to the Highway – Oh, was wollte ich diesen Film doch lieben. Und tatsächlich zauberte er mir hier und dort ein breites Lächeln ins Gesicht. Doch dann verlor er mich immer wieder. „Jesus“ handelt von amerikanischen Agenten, die sich matrix-mäßig in eine virtuelle Welt begeben können, in der alle Fotos als Masken vor dem Gesicht tragen. Unsere beiden Helden haben dann die Fotos von Robert Redford und Richard Pryor vor dem Gesicht, während der Bösewicht das von Stalin trägt.

Etwas geht schief, einer der Agenten bleibt zurück und stirbt scheinbar in der realen Welt. Der andere hat eine Affäre mit der Freundin seines Kollegen. Ein weiterer Schurke im billigen Batman-Kostüm taucht auf. Es gibt böse Russen und Verräter. Liebe und Hass, Jesus, Transvestiten-Superagenten, Menschen in tragbaren Fernsehern. Ach, alles mögliche. Der Film zerbirst fast vor Einfällen. Davon sind wie erwähnt einige großartig, wie beispielsweise die Szenen in der „Matrix“, welche stark an die surrealen Bilderwelten Jan Svankmajers erinnern. Andere wirken nicht verstörend, sondern eher albern. Und gerade dann, wenn so etwas wie eine Handlung etabliert werden soll, zieht sich das ganze etwas.

Mit fast zwei Stunden ist der Film auch deutlich zu lang. Nichtsdestotrotz ist der billige Do-it-yourself-Ansatz natürlich höchst sympathisch und von der Machart her fühlt man sich häufig an den schmerzlich vermissten Christoph Schlingensief erinnert. Auch, weil der Held der Geschichte von einem verkrüppelten Kleinwüchsigen ohne Angst vor Nacktheit dargestellt wird und seine große, blonde Freundin auch nicht unbedingt gängigen Schönheitsidealen entspricht. Auch das experimentieren mit unterschiedlichem Filmmaterial und die Nutzung der estnischen und äthiopischen Drehorte (ja, der Film ist tatsächlich eine estländisch- äthiopischen Co-Produktion) macht Freude. Unter guten Umständen folgt man all dem wilden Trieben mit großen Augen, unter schlechten ist man irgendwann erschlagen und genervt.

Leider war der Regisseur Miguel Llansó schon abgereist, denn wir wussten, dass er sich am Donnerstag bei der Q&A als sehr unterhaltsamer und enthusiastischer Freigeist entpuppt hatte. So war dann für uns nach dem Film auch gleichzeitig das 26. Internationale Filmfest Oldenburg zu Ende. Ein guter Jahrgang, der ohne größere Ausfälle („In Full Bloom“ ist ja kein wirklich schlechter, sondern eben nur ein mittelmäßiger Film, der aber auch seine Momente hatte) daherkam und durch die Bank weg ein hohes Niveau hatte. Wenn auch der absolute, alle Grenzen sprengende Kracher nicht dabei war. Aber dafür gab es eben auch keine Ausreißer nach unten.

Mir hat es auf jeden Fall wieder viel Freude bereitet in Oldenburg zu sein und im Nachhinein ärgere ich mich höchstens ein wenig darüber, dass ich auf „Magnetic Pathways“ und „The Science of Fiction“ verzichten musste, die wie ich hörte, ausgesprochen interessant waren. Aber so ist das eben. Das Grass ist immer grüner auf der anderen Weide. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf Ausgabe 27. und bin jetzt schon positiv gespannt, welche Filmerlebnisse ich dann haben werde.

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