Bericht vom 26. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 2

Am Samstag machte ich mich erst einmal alleine nach Oldenburg auf. Da ich am Vortag schon alle Karten für die drei Tage besorgt hatte, war das auch alles herrlich entspannend. Erst einmal einen Kaffee und Proviant in der Kulturetage geholt, dann ins cineK Muvi. Das kleinste Festivalkino, und wie ich finde, das gemütlichste. An diesem Tag war ich zweimal dort, was mich sehr freute.

Tito – Tito, ein junger Mann mit Agoraphobie lebt in einem Haus irgendwo in einem Vorort. Eines morgens sitzt sein gutgelaunter Nachbar bei ihm in der Küche und bereit ihm ein Frühstück. Er habe gemerkt, dass Tito nicht so gut drauf sei und wolle ihn aufheitern. Bald schon weicht der Nachbar Tito nicht mehr von der Seite und quartiert sich in seinem Haus ein. Tito macht tatsächlich neue Erfahrungen und scheint das erste Mal glücklich und entspannt zu sein. Was auch an den Drogen liegen könnte, die der freundliche Nachbar ihm reicht.

Grace Glowickis Regiedebüt ist eine Geschichte darüber, wie jemand schleichend und immer unter dem Vorwand, doch nur das beste für den anderen zu wollen, die Kontrolle übernimmt. Wie er den Gegenüber ausnutzt und – psychisch – missbraucht. Die junge und ausgesprochen sympathische Regisseurin Grace Glowicki erzählte in der sehr gut moderierten Q&A, das sie selber in solch einer toxischen Beziehung gelebt hatte, was zu Drogenproblemen und seelischen Verletzungen führte. Dies habe sie mit „Tito“ aufgearbeitet. Daher hat sie in der Rolle des Tito mit viel Mut zur Hässlichkeit auch gleich selber übernommen.

Tito ist ein Slacker in zu großen, schwarzen T-Shirts, langen, schwarzen ungewaschenen Haaren, und ungepflegten Koteletten, die sein blasses Gesicht und die dunkel unterräderten Augen einrahmen. Er bewegt sich stets linkisch und scheu. Der Nachbar, hervorragend gespielt von Grace Glowickis real-life-boy-friend Ben Petrie, ist mit seiner ausgestellten Fröhlichkeit und überschäumenden Aktionismus schlichtweg zum Kotzen, dann man spürt zu jeder Sekunde, dass hinter dieser Happy-Happy-Happy-Fassade ein durch und durch egozentrisches Arschloch steckt, dem das Gegenüber scheißegal ist und nur Mittel zum Zweck.

Glowicki würzt ihren Film mit zahlreichen surrealistischen Einsprengseln, wodurch er eine beklemmende, ungesunde Stimmung erhält. Gerade das Ende gibt einem noch lange zu denken und lässt Tito nicht so schnell ins Nichts verschwinden. Ein starkes Debüt.

Grace Glowicki mit der sehr guten Moderatorin

Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin Grace Glowicki

Weiter ging es etwas die Straße hoch im Theaterhof. Ist das cineK Muvi eins meiner beiden Lieblingskinos, so ist der Theaterhof der Ort, den ich eigentlich vermeiden möchte. Das für das Festival in ein Kino umgewandelte Theater hat nicht nur unbequeme Stühle und man darf keine Getränke mit rein nehmen, die Projektion ist auch wirklich übel. Schwarz ist nicht schwarz, sondern grünlich und tiefe Farbtöne werden einfach verschluckt. Dazu kommt ein blechern scheppernder Sound. Aber gut, was will man machen. Irgendwoher müssen die Abspielstätten ja kommen und zumindest braucht man keine langen Fußmärsche einzuplanen, wenn man zwischen Kulturetage und Theaterhof pendelt. Was die Sache deutlich entspannt.

Auch hier hieß es erst einmal: Warten. Diesmal auf die Crew, die dann auch irgendwann eintraf, schnell „Viel Vergnügen“ wünschte und dann wieder verschwand. Das hätte man auch anders lösen können, indem man kurz darauf hinweist, dass die Crew nach dem Film für eine Q&A zur Verfügung steht und dann den Film pünktlich startet. Aber gut…

In Full Bloom – Für mich der schwächste Film, den ich dieses Jahr in Oldenburg sah. Dass dann ausgerechnet „In Full Bloom“ sowohl den Publikumspreis als auch den für das beste Regiedebüt erhielt ist mir ein ewiges Rätsel.

Nicht, dass „In Full Bloom“ ein totaler Ausfall war. Er hat seine Momente. Eine solide Inszenierung durch das Regie-Dou Reza Ghassemi und Adam VillaSenor mit dem Blick für schöne Bilder und ein toll choreographierter Schlusskampf. Doch der Rest? Völlig belanglos und vor allem strotzend vor Pathos und Klischee. Die Schauspieler deklamieren ihre bedeutungsschweren Monologe mit dem Ernst eines Burgschauspielers. Völlig ungebrochen, dabei stammen sie aus dem Baukasten der Marke „Wie setzte ich mir einen Boxerfilm zusammen“. Teilweise hohl, teilweise in x vergleichbaren Filmen ausgelutscht,aber mit heiligem Ernst vorgetragen.

Der Film spielt kurz nach dem 2. Weltkrieg und handelt von zwei Boxern. Ein Amerikaner, der nach Japan eingeladen wurde, um hier gegen den japanischen Meister zum ersten Mal ein amerikanisch-japanisches Duell auszutragen. Der Amerikaner trägt natürlich ein Trauma mit sich herum, denn im Krieg diente er in der Armee und musste zusehen, wie seine Truppe von japanischen Soldaten niedergemetzelt wurde. Der Japaner ist einst in einem winterlichen Wald bei einem alten Box-Meister unter die Fittiche genommen worden, der ihm erst einmal Demut lernen musste. Selbstverständlich besitzen beide den größten Respekt voreinander. Der Amerikaner muss sich mit einem korrupten Manager und Klischee-Yakuzas auseinander setzen. Denn diese wollen ihn zwingen zu verlieren. Der Japaner wiederum muss sich seinem inneren Selbst stellen.

Für einen B-Film aus den 80ern mit Michael Dudikoff oder Jean-Claude Van Damme ein unterhaltsames Szenario, welchem es gut gut getan hätte, wenn es sich nicht so fürchterlich ernst genommen hätte, sondern einfach auf die Zwölf gehauen hätte. So wirkt vieles pseudo-philosophisch und man fragt sich ständig, ob das Regie-Duo nicht gemerkt hat, dass diese Story schon dutzende Male erzählt wurde und ihre Helden klischeebeladene Abziehbilder der Filmgeschichte sind. Auf der Haben-Seite: Die Hauptdarsteller Tyler Wood und Yusuke Ogasawara besitzen Charisma und physische Präsenz, die insbesondere in dem beeindruckenden Kampf in Ring zur Geltung kommen. Ich hoffe, von beiden sieht man noch mehr. Und nicht unbedingt einen zweiten „In Full Bloom“.

Nachdem dem Film kam dann die Crew in beeindruckender Anzahl auf die Bühne. Beide Regisseur und vier Darsteller (u.a. Timothy V. Murphy, der auch am Vortag als Porno-filmender Ehemann in „Cuck“ zu bewundern war, wo er allerdings die weitaus beeindruckendere Rolle hatte). Alle waren sehr sympathisch und hatten viel zu erzählen. Ich vermute mal, die persönliche Präsenz hatte viel damit zu tun, dass der Film in Oldenburg abräumte. Dass ein Film gewonnen hat, wo kein Gast anwesend war, habe ich – soweit ich mich erinnere – bisher noch nie erlebt. Und ich sage mal – je sympathischer der Auftritt, desto höher die Chancen.

Regisseure Reza Ghassemi und Adam VillaSenor

Die „In Full Bloom“-Mannschaft

Hauptdarsteller Tyler Wood und Yusuke Ogasawara

Schauspieler Timothy V. Murphy

Drüben im cineK Muvi traf ich dann Stefan wieder, der an diesem Tag mit seiner werten Gattin zu Besuch in Oldenburg war.

Blood & Flesh: The Reel Life & Ghastly Death of Al Adamson – Ich frage mich, ob ich mittlerweile völlig nerdig bin. Denn die Behauptung im Programmheft, Al Adamson wäre selbst „Trash-Fans unbekannt“ deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen. Okay, vielleicht ist meine Filterblase auch recht speziell – aber hier kennt eigentlich jeder den guten Al. Zu meiner Schande muss ich allerdings gestehen, dass ich bisher nur eines seiner Werk auch wirklich gesehen habe: „Die Sadisten des Satans“. Ein Bikerfilm mit Russ Tamblyn (quasi zwischen seinen Rollen in„West Side Story“ und „Twin Peaks“), welcher mir aber gut gefallen hat. Auf „Die Sadisten des Satans“ wird in David Gregorys Dokumentarfilm auch ausführlich eingegangen. Wie überhaupt eine Welt beleuchtet wird, die es so nicht mehr gibt. Wo billige Filme gedreht wurden und dann für dutzende weitere Auswertungen unter immer spektakuläreren Titeln jedes Mal wieder neue Szenen hinzugefügt wurden.

Al Adamson war ein Meister dieser Art des Bahnhofskinos. Vielleicht kein Orson Welles, aber mit einem guten Gespür für die Vorlieben des Publikums, gelungenes Marketing und vor allem einem Augen für hervorragende Kameramänner (u.a. der spätere Oscar-Gewinner Vilmos Zsigmond!) , die seine Schnellschüsse sehr viel wertiger aussehen ließen, als sie es im Grunde waren. Die ersten zwei Drittel des Filmes erzählen dann auch von dieser wilden Zeit. Lässt viele ehemalige Weggefährten zu Wort kommen und ist ebenso vergnüglich, wie interessant.

Im letzten Drittel macht der Film dann eine Wendung hin zur True-Crime-Doku, wenn von Al Adamsons Ableben berichtet wird. Er wurde nämlich von einem Mann umgebracht, den er als Handwerker engagiert hatte, und dann in seinem eigenen Keller einbetoniert. Nachdem erst einige merkwürdige Verschwörungstheorien rund um Ufo-Sichtungen angedeutet werden, widmet sich der Film minutiös dem Ablauf des Verbrechens und der anschließenden Ermittlungen. Teilweise mit authentischen Material von den Sucharbeiten am Tatort. So bekommt man quasi zwei Dokumentationen zum Preis von einer. Alles sehr interessant, auch wenn das finstere letzte Drittel nicht so recht zum vorangegangen, eher amüsant-lockeren Film passen möchte.

Danach trennten sich unsere Wege wieder und ich sah mir allein den letzten Film des Tages an. Weit laufen musste ich nicht, nur eine halbe Treppe hoch zum cineK Studio.

Donnybrook – Was für einen weiten Weg hat Jamie Bell doch zurückgelegt, seit er Billy Elliot war und tanzen wollte. Tanzen möchte seine Figur Jarhead Earl hier nicht, sondern bei einem illegalen Boxkampf ohne Regeln soviel Geld gewinnen, dass er seiner Trailer-Trash-Familie eine neue Zukunft finanzieren kann. Earl ist dann auch die einzige positive Figur in diesem düsteren Film, der einem mehr als einmal mit vollem Anlauf in die Weichteile tritt.

Earl ist allerdings kein Heiliger. Gleich zu Beginn raubt er einen Waffenladen aus, um sich das Startgeld für den „Donnybrook“zu beschaffen. Er hält sich aber von Alkohol und Drogen fern – ganz im Gegensatz zu seiner süchtigen Frau. Sein einziges Ziel ist es, seiner Familie eine neue, bessere Existenz zu ermöglichen, besonders seinen beiden geliebten Kindern. Gerade zu seinem Sohn hat er eine sehr tiefe, sehr liebevolle Beziehung. Man merkt ihm jeder Zeit an: Sie zu enttäuschen ist keine Option – auch wenn er dabei draufgeht.

Seine Pläne werden von dem örtlichen Drogenhändler und dessen Schwester Delia (Andy MacDowells Tochter Margaret Qualley, die gerade in Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ eine prägnante Rolle spielte und auch hier zeigt, das sie eine der interessantesten jungen Schauspielerinnen ist) durchkreuzt. Frank Grillo als Chainsaw Angus ist die vielleicht hassenswerteste und furchterregendste Figur, die ich in den letzten Jahr auf der Leinwand gesehen habe. Skrupellos, brutal, ohne den Funken von menschlichem Mitgefühl mordet sich dieser Todesengel aus der Hölle durch den Film. Bis es seiner Schwester zu viel wird, sie vor ihm flieht und sich Earl auf dem Weg zum Donnybrook anschließt. Doch Angus ist ihr bereits auf den Versen – mit tödlichen Konsequenzen.

Es ist Regisseur Tim Sutton hoch anzurechnen, dass er der Versuchung widersteht, zwischen Earl und Delia mehr als Sympathie zu entwickeln. Es gibt keine klassische Liebesgeschichte (was die Figur des Earl auch verraten hätte), sondern nur zwei Seelen, die sich finden. Für Delia ist Earl der Bruder, den sie sich gewünscht hätte. Sie ist für ihn ein emotionaler Anker auf dem schweren Weg ins Fegefeuer. Auf dem Donnybrook dann führt Sutton seine Geschichte mit einer erstaunlichen und grausamen Konsequenz zum Ende. Am Ende verließ ich erschüttert und mit einer Träne im Auge den Kinosaal, um an der frischen Luft erst einmal ganz tief durchzuatmen. Ein Film, der noch sehr lange nachhallt und mir jetzt, da ich diese Zeilen tippe, noch einmal eine Welle von blanker Wut und Trauer durch den Körper jagt. Ein Höhepunkt.

Aufgewühlt stieg ich dann ins Auto, um nach Bremen zu fahren. Normalerweise fahre ich nachts nicht mehr gerne allein. Vor allem nicht, nach einem anstrengenden Tag mit vier Filmen. Doch „Donnybrook“ spukte noch in meinem Kopf herum und das Adrenalin war noch nicht ganz abgebaut. So kam ich dann hellwach in Bremen an und brauchte lange, bis ich in den Schlaf kam.

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