Blu-ray-Rezension: „The Friendly Beast“

Im Restaurant La Barca möchte man langsam schließen. Doch noch sitzt ein letzter Gast über seinem Essen und zum Verdruss des Personals kommt noch das angeschickerte, aber zahlungskräftige Pärchen Bruno (Jiddu Pinheiro) und Verônica (Camila Morgado) durch die Tür und verlangen bedient zu werden. Restaurantbesitzer Inhaber Inácio (Murilo Benício) setzt sein freundlichstes Gesicht auf, befiehlt seinem maulenden Personal zu bleiben, was zu Spannungen zwischen ihm und dem ohnehin schon genervten Koch Djair (Irandhir Santos) führt. In dieses explosive Gemisch platzen plötzlich zwei maskierte Räuber mit Pistolen. Sie verlangen die Tageseinnahmen und beginnen Verônica und die Inácio treu ergebene Kellnerin Sara (Luciana Paes) sexuell zu attackieren. Doch dann nimmt das Szenario plötzlich eine unerwartete Wendung…

Wer schon einmal im Dienstleistungsgewerbe oder Verkauf gearbeitet hat, der kennt das. Der ersehnte Feierabend rückt näher, man ist gedanklich schon im Bett oder zumindest raus aus dem Hamsterrad, da schneit in letzter Sekunde noch ein Gast/Kunde rein und macht die schöne Aussicht auf ein baldiges Arbeitsende zunichte. Minuten dehnen sich unendlich und die Ungeduld wächst, trotzdem muss man eine gute Mine zum nervigen Spiel machen.

Dies ist auch die Ausgangssituation in Gabriela Amarals „The Friendly Beast“. Alle wollen nach Hause, doch das eklige Yuppie-Pärchen benimmt sich als gehöre ihm der Laden und alle darin. Doch man bleibt freundlich. Aber hinter der lächelnden Fassade regt sich das Biest. So wie der Titel es verspricht. Die brüchige Zivilisation hält alles noch zusammen, aber wehe, wenn die Maske fällt. Dann bricht sich das Biest seine Bahn. Wer es nicht glaubt, der kann ja mal die Kommentarspalten bei Spiegel Online oder der einer beliebigen Tageszeitung lesen. Der nackte Mensch, der sich ganz seinen niedrigsten Empfindungen, seinem aufgestauten Hass und seinem egozentrischen Weltbild hingibt ist das pure Grauen. Wenn sich Inácio in „The Friendly Beast“ seiner freundlichen Maske entledigt und alle zivilisatorischen Schranken niederreißt, dann ist es da: Das Biest, welches nur noch sich selbst kennt und alle anderen seiner eigenen Person unterordnet. Mit allen Konsequenzen.

Regisseurin Gabriela Amaral exerziert den Zerfall von Zivilisation und Macht desjenigen der die (Waffen)Gewalt sein eigen nennt, auf kleinstem Raume durch. Niemals verlässt die Kamera das kleine Restaurant, alles eskaliert in der Enge des Gastraums, der Küche, ein paar Gängen, der Toiletten. Ein eigener Kosmos in dem die Gäste zunächst wie Fremdkörper, wie Eindringlinge wirken, die das sowieso schon fragile Gebilde der Angestellten noch mehr ins Wanken bringen. Da ist auf der einen Seite der Besitzer der Bar. Inácio (dessen Aussehen mich entfernt an Glenn Danzig erinnert) spielt ihn als ruhig lächelnden Vulkan vor dem Ausbruch. Einmal telefoniert er mit seiner Frau, deren Beschimpfungen (man hört sie nicht, sondern ist ganz auf Inácios Reaktionen angewiesen) er mit sanften Beschwichtigungen pariert. Nur um dann nach dem Auflegen in einem Akt plötzlicher Gewalt den Seifenspender von der Wand zu schlagen. Danach informiert er seine Kellnerin auf dieselbe unaufgeregte Weise mit der er vorher sein Telefonat geführt hat, dass jemand den Seifenspender beschädigt habe. So möge sich doch bitte darum kümmern. Inácio ist manisch auf sein Restaurant fixiert und definiert sich als Person ganz über dessen Erfolg, Entsprechend traumatisiert ist er von einem früheren Überfall, der für ihn offensichtlich eine gewaltsames Eindringen in sein Innerstes, seine Seele war – ein Art der Vergewaltigung war. Als sich dies nun wiederholt, die Täter nicht nur Geld wollen, sondern auch seine Gäste (von denen er annimmt, sie könnten seinem Restaurant nutzen) sexuell drangsalieren, reicht dies aus, um Bestie aus ihrem Versteck zu befreien.

Inácios Schutzpanzer fällt. Er will sich rächen, es allen zeigen: Den Tätern, die seinen Traum von einem erfolgreichen Restaurant zerstören und in seinen Rückzugsort eindringen. Den Gästen mit ihren unverschämten Forderungen, die auf ihn hinab blicken und deren Launen er hilflos ausgeliefert ist – so denn er eine gute Bewertung bekommen möchte. Und dem Koch, den er schon lange verdächtigt einen geheimen Krieg gegen ihn und sein Restaurant zu führen. Ihn allen zeigt er es. Er, der immer nur sein freundlichen Gesicht zeigen darf und der sich doch von allen angegriffen und bedroht fühlt: Seiner Frau, dem Koch, den Gästen, den kriminellen Eindringlingen.

Ihm zur Seite wird die interessanteste Figur des Filmes gestellt: Die Kellnerin Sara, kongenial gespielt von Luciana Paes. Von der ersten Sekunde liest man in ihrem Gesicht ihre ganze Geschichte. Unzufrieden mit sich und ihrer Umwelt. Feststeckend in einem Job, den sie hasst. Indem sie sich jeden Tag verbiegen muss und ebenfalls eine Maske aufziehen. Auch sie ist ein „friendly beast“ hinter dessen Fassade Abgründe lauern. Als die Situation eskaliert muss sie sich entscheiden :Solidarität mit den Opfern oder ein Pakt mit der Macht. Mit demjenigen, der diese aufgrund der Waffe in seiner Hand ausüben kann. Derjenige, der sie ebenfalls ermächtigen kann. Sie entscheidet sich für letzteres, wird aber nicht selber mächtig, sondern weiterhin unterdrückt von dem Mann mit der Waffe. Doch die Ausnahmesituation im Restaurant lässt sie wachsen, ihre innere Stärke finden, Entscheidungen treffen. Am Ende wird sie mächtiger sein als der Typ, der die Befehle gibt. Sie wird sich mit allen Konsequenzen nehmen, was sie will. In einer der bizarrsten Sexszenen der letzten Jahren wird sie neu geboren, übernimmt die Kontrolle, arbeitet ihren Frust ab. Ermächtigt sich selber. Und dafür braucht sie keine Waffe. Man muss hier an Eckhart Schmidts „Der Fan“ denken, der eine ganz ähnliche Geschichte erzählt. Ein direkter Vergleich wäre interessant,

Neben Murilo Benício und Luciana Paes ist es vor allem der wunderbare Irandhir Santos, welcher den Film trägt. Als offen homosexueller Koch Djair scheint er für den betont maskulinen Inácio von Grund auf eine Gefahr darzustellen. Immer wieder verdächtigt …ihn, hinter dem Überfall zu stecken. Oder sein Restaurant sabotieren zu wollen. Und in einer der prägnantesten Szenen kommt es noch zu einer symbolischen Kastration, mit der Inácio Djair seiner sexuellen Macht berauben will. Diese Angst Inácios dass seine Männlichkeit in Frage gestellt wird von diesen „weibischen“ Wesen ist eine weitere Ebene, auf der „The Friendly Beast“ operiert.

Bildstörung hat mit „The Friendly Beast“ endlich die Nummer 033 seiner Drop-Out-Reihe veröffentlicht. Und dies in gewohnt hoher Qualität und mit viel Liebe. Das Bild ist gewohnt gut, der Ton räumlich und lebhaft. Eine Synchronisation gibt es nicht, der Film liegt auf Portugiesisch mit deutschen Untertiteln vor. An Extras wurde nicht gegeizt. Auf der Blu-ray enthalten sind zwei Kurzfilme von Gabriela Amarala Almeida. In „Die helfende Hand“ (19 Minuten), einem seltsamen Albtraum von einem Kindergeburtstag, gibt es ein Wiedersehen mit der Luciana Paes, der Darstellerin der Sara. In dem mit 25 Minuten etwas längeren „Keine Bewegung!“, übt Almeida das Spiel mit unterschwelliger Bedrohung und subtilen Andeutungen, wenn ein schwangeres Kindermädchen an ein seltsames, kleines Mädchen gerät. Ferner gibt es noch einen Audiokommentar der Regisseurin (auf Portugiesisch mit dt. Untertiteln) und ein hochinteressantes, 20-seitiges Booklet mit Texten von Kat Ellinger und Shelagh Rowan-Legg.

Der nur über den Bildstörung-Shop erhältlichen Limited Edition liegen neben Blu-ray und DVD auch eine Soundtrack-CD bei, auf der man Rafael Cavalcantis wunderbar dichte und bedrohliche Synthie-Musik noch einmal auf der heimischen Stereo-Anlage genießen kann.

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1 Antwort zu Blu-ray-Rezension: „The Friendly Beast“

  1. thefreelenser sagt:

    Danke für diese auf den Punkt gebrachte Rezension. Und besonderen Dank für den Glenn Danzig Vergleich – das habe ich mir auch mehrmals gedacht! Vor allem das Blut auf nacktem Oberkörper erinnert an die Samhain-Ära.

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