Filmrezension: „A Thought of Ecstasy“

August 2019. Der Deutsche Frank (RP Kahl) glaubt in dem neu erschienenen Buch „Desert LA“ von einem Ross Sinclair die Geschichte seiner ehemaligen Geliebten Marie wiederzuerkennen. Hat sie dieses Buch geschrieben? Wie kann es sein? Marie ist doch tot? Als er für einen Job nach Los Angeles kommt, macht er sich auf die Suche nach Marie. Die Verlegerin des geheimnisvollen Buches (Deborah Kara Unger) bringt ihn auf eine Spur, die ihn in die kalifornische Wüste führt. Hier trifft er auf Nina (Ava Verne), die ihn auf merkwürdige Weise in ihren Bann zieht..

A Thought of Ecstasy“ ist ein Film, der das Publikum radikal spalten wird. Man kann ihn für prätentiös, gestelzt und mit gewagten Sexszenen krampfhaft auf Provokation gebürstet halten und dafür sicherlich auch gute Argumente vorbringen können. Man kann sich aber auch einfach in den Fluss der Bilder gleiten lassen, sich fortziehen lassen in diese ebenso karge, wie geheimnisvolle Gegend, die irgendwo in diesem seltsamen Riss zwischen Traum und Wachen, Leben und Tod liegt. Sich hypnotisieren lassen, von der dunklen, rauen Stimme Deborah Kara Ungers, die das Geschehen nicht nur aus dem off mit Passagen des mysteriösen, scheinbar von einer Toten unter dem Pseudonym Ross Sinclair geschrieben Romans „Desert LA“ kommentiert, sondern auch sonst wie eine der Nornen die Fäden in der Hand hält und den Helden der Geschichte dahin lockt, wo er sich seiner Vergangenheit und seinem Schicksal stellen muss.

Egal, wie man den Film letztendlich rezipiert, die formidable Kameraarbeit von Markus Hirner (interessanterweise erst seine erste Spielfilmarbeit) kann man nicht zur Diskussion stellen. Hirners Kamera fängt die karge Wüsten-Landschaft ebenso unvergesslich ein, wie es Filme wie „Twentynine Palms“ oder „Zabriskie Point“ tun. Man spürt die Hitze, den Staub und die sandigen Felsen unter den Füssen. Sie erforscht nächtliche Ecken am Rande von Los Angeles, die wie erträumt wirken und einen Einsamkeit und Stille fühlbar machen. Sie verwandelt Räume in beinahe schon lebende Organismen in irrealem Rotlicht. Begleitet wird dies von einem kongenialen, grandiosen elektronischen Soundtrack für den sich Matti Gajek und Sebastian Szary  verantwortlich zeichnen. Musik, die einen mitnimmt auf diese geheimnisvoll-erotische Reise in jene Welt, welche sich Frank langsam als seine ganz eigene offenbart.

RP Kahls Film wird oft mit dem Werk David Lynchs verglichen. Was beiden gemein ist, sind die nächtlichen Fahrten durch ein Amerika, welches wie eine Traumlandschaft wirkt. Auch das Spiel mit Identitäten, welches an „Lost Highway“ erinnert. Die mysteriöse Gestalt im Hintergrund, die das Schicksal der Figuren lenkt. Hier Deborah Kara Ungers, dort Robert Blake. Überhaupt ist Kahl ein Filmbesessener, der seinen Film mit Zitaten und Verweisen füllt. Da findet sein Held im Apartment der geheimnisvollen Schönen eine (deutsche!) DVD von Peter Lorres „Der Verlorene“ (in dem es auch um das Thema Schuld geht, wie auch in „A Thought of Ecstasy“, in dem Frank ein ebensolcher Verlorener ist, wie der von Lorre gespielte Mörder, der von den Nazis gedeckt wurde). Aber auch Filme wie „OldBoy“ oder „Carnival of Souls“ schweben über „A Thought of Ecstasy“. In einer wundervollen Einstellung telefoniert Unger vor einer Leinwand, auf der gerade Radley Metzgers wunderschöner „Therese und Isabell“ läuft. Dem großen Meister des erotischen Films ist „A Thought of Ecstasy“ auch gewidmet und man freut sich einerseits, dass jemand dem leider 2017 verstorbenen Metzger auf diese Weise gedenkt, andererseits wird einem das Herz schwer, dass sein Werk bis heute in Deutschland so stiefmütterlich behandelt wird und es hierzulande bisher keine vernünftige Auswertungen seines großartigen Werkes gibt.

Wie bei Metzger stehen auch bei RP Kahl starke, schöne Frauen (wie die faszinierende Ava Verne) im Vordergrund, die Kahl in teilweise hocherotischen Bildern einfängt. Dabei wird mehr als einmal (zumindest im „Director’s Cut“) die Grenze zum Hardcore überschritten. Dieser fügt sich aber harmonisch ein und wirkt wechselweise erregend oder einfach nur beiläufig natürlich. Dabei verfängt sich der Protagonist in einem Strudel von Voyeurismus und Obsessionen, bei denen BDSM eine Rolle spielt. Dass Protagonist Frank dabei zum Filmemacher wird, der das sexuelle Treiben mit der Kamera einfängt, legt nahe, dass „A Thought of Ecstasy“ auch ein hochpersönlicher Blick in den Kopf des Filmemachers RP Kahl darstellt. Und das jene Szenen, in denen Frank als kleine, nackte Gestalt eine Sanddüne irgendwo im Nirgendwo herunter taumelt, dem Zuschauer zurufen soll:  Sieh her, hier bin ich. Nackt. Ich entblöße mich vor Dir. Das sind meine Seele, meine Obsession, meine Leidenschaft. Ich habe Euch alles gezeigt, jetzt verschwinde ich aus dieser Welt, die ich Euch gezeigt habe. Am Ende des Filmes existiert ein Buch namens „A Thought of Ecstasy – A Diary From the Realm of the Dead“ welches aus der Zwischenwelt von Leben und Tod, Realität und Traum gefallen scheint. In der realen Welt existiert ein Film namens „A Thought of Ecstasy“. Einer, der einem vielleicht nicht gleich all seine Geheimnisse offenbart, den man sacken und dann ein zweites und drittes Mal ansehen muss, um immer wieder Neues zu entdecken und zu dechiffrieren. Ein Film, der wächst.

“A Thought of Ecstasy” ist bei Koch Media in zwei  Ausführungen als Director’s Cut mit FSK18 erschienen: Als normale Ausgabe mit Audiokommentar und Interview, und noch einmal als Special Edition im Mediabook mit sehr viel mehr Extras und Booklet.

Wer einmal unverbindlich hineinschauen möchte, der kann dies auch am übermorgen, Donnerstag den 10. Januar um 22:45 Uhr auf 3SAT tun, wo die entschärfte FSK16 Fassung läuft.

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