Auch der zweite Tag in Oldenburg gestaltete sich sehr angenehm. War ich am Vortag fast ausschließlich im Theaterhof gewesen, dessen Bestuhlung für einen längeren Aufenthalt nicht gerade ideal ist, war ich diesmal zunächst im sehr viel bequemeren cineK/Studio.
The Boat – Eine sehr, sehr langsam erzählte, von Petrus Cariry inszenierte Metapher aus Brasilien, über den Einbruch der Zivilisation in ein eigentlich glückliches, sorgenfreies Leben und der damit einhergehenden Verlockung der Moderne und Sehnsucht nach der Ferne. Das ist toll fotografiert mit einem wunderbar suggestiven Soundtrack. Die Bilder des an den Strand klatschenden Meeres, der Männer die ein Fischernetz durch die Gischt ziehen – überhaupt die Landschaft, das Meer – sind überwältigend schön und kraftvoll. Allerdings trägt diese ganze Metapher im Grunde nur einen Kurzfilm von maximal 20 Minuten, danach läuft sich der Film auf der inhaltlichen Ebene tot. Dadurch ziehen sich die 72 Minuten Spielzeit an vielen Stellen gewaltig.
Darauf muss man bereit sein, sich einzulassen und die inhaltliche Ebene weitgehend außer Acht lassen. Denn die ständigen Wiederholungen, das langsame Erwachen der Hauptfigur und die immer wieder eingestreuten Erzählungen einer geheimnisvollen, zu Beginn aus dem Meer an den Strand gespülten Frau, wissen dem Werk nicht viel hinzuzufügen. Ich hatte mir da mehr, aber auch etwas ganz anderes erwartet. So fielen mir doch ein ums andere Mal die Augen zu, und ich war froh als der Film nach gefühlten drei Stunden zu Ende war. Ich muss an dieser Stelle allerdings auch erwähnen, dass es nach den Film viele positive, ja begeisterte Kommentare nicht nur von der typischen Weinschwenker-Fraktion, sondern auch von meinem geschmackssicheren Weird-Xperience-Mitstreiter Stefan den Film (welchen er am Vortag gesehen hatte) sehr mochte. Mir wollte sich das aber an diesem Nachmittag nicht erschließen.
Love Express. The Disappearance of Walerian Borowczyk – In ebenfalls knackigen 72 Minuten widmet sich dieser polnische Dokumentar-Film dem wunderbaren Walerian Borowczyk, den die Meisten ausschließlich als Regisseur von „La Bete“ und „Unmoralische Geschichten“ kennen dürften. Die Doku des Borowczyk-Experten Kuba Mikurda bietet einen sehr guten und unterhaltsamen Überblick über das Werk Borowczyks. Von seinen frühen Animationen in Polen bis zu seinem vorletzten Film, dem desaströsen „Emanuelle V„. Sein letzter Film „Love Rites“ wird interessanterweise nicht mehr erwähnt, wahrscheinlich hätte dies das Narrativ vom Aufstieg und Fall gestört, denn „Emanuelle V“ kann wirklich als Tiefpunkt seiner Karriere angesehen werden, bei dem er wahrscheinlich auch nur einen Bruchteil gefilmt hat, man aber mit seinem Namen noch Werbung machte.
Als Startpunkt seiner Reise hat Kuba Mikurda das Jahr 1968 gewählt, als Borowczyk während der Studentenunruhen seinen ersten Spielfilm „Goto“ drehte. Es kommen Borowczyk-Fans wie Terry Gilliam und Neil Jordan zu Wort, Weggefährten und Vertraute. Das ergibt ein rundes und stimmiges Bild über Boro und seine Obsessionen und Fetische. Zudem kann man an seiner Karriere auch gut das Dilemma des europäischen Film in den 80er Jahren festmachen. Zum Ende hin drückt der Film etwas zu sehr auf das Gaspedal. Während Borowczys Filmgraphie zuvor recht minutiös abgehandelt wurde (wenn auch einige Titel lediglich erwähnt wurden), fallen die Filme zwischen „La Marge“ und „Emanuelle V“ komplett unter den Tisch. Als erster Einblick in ein faszinierendes Werk und eine ganz andere Zeit ist der Film allerdings ausgesprochen gelungen und sehr kurzweilig geraten. Ein idealer Startpunkt für alle, die sich näher mit Borowczyk befassen wollen. Der sehr sympathische Regisseur war auch anwesend und hatte nach dem Film noch sehr viel interessante Dinge zu erzählen.
Ich hatte übrigens das ganz besondere Vergnügen, den Film mit einem ausgewiesenen Borowczyk-Kenner zu sehen, der extra für diesen Film aus Braunschweig angereist war und Mikurda von der Fachliteratur her kannte, die er für eine wissenschaftliche Arbeit über Borowczyk genutzt hatte. Und auch unter seinen kritischen Augen konnte der Dokumentarfilm bestehen. Wenn das kein Ritterschlag ist.
Luz – Der deutsche Hochschulabschlussfilm „Luz“ von Tilman Singer ist ein zweischneidiges Schwert. Wunderschöne Ideen und eine sehr einfallsreich mit den arg limitierten Ressourcen umgehende Regie nimmt einen sehr stark für den sympathischen Film ein. Während im Vorfeld der Film immer in die „70er“ und „Neo-Giallo“-Ecke gesteckt wurde (und sogar Mario Bava als Reverenz herhalten musste), ist er doch meilenweit davon entfernt und erinnert mit seinem körnigen Bild und der grau-beige-blauen Farbgebung stattdessen sehr angenehm an die rauen, unbehauenen 80er Jahre Horrorfilme mit Underground-Wurzeln.
Das Drehbuch schlingert allerdings stark herum und man merkt, dass hier noch kein routinierter Profi am Werk war. Gerade die Dialoge sind doch größtenteils ausbaufähig. Wie generell die Figurenzeichnung oftmals auf übertriebene Klischees zurückgreift. Besonders schlimm tritt dies bei der Figur der Kommissarin in Erscheinung, die im schwarzen Abendkleid und Schulterhalfter herum rennt und ihre Befehle brüllt. Da kippt der Film dann bedenklich in Richtung Schmierentheater. Zumal auch die Schauspieler nicht durchgängig gut sind. Sehr schlimm hier die junge Frau am Anfang. Dies mag in diesem Falle vielleicht sogar gewollt sein (sie ist immerhin von einem Dämon besessenen und kann sich darum „anders“ verhalten), wirkt aber wie Amateurtheater auf niedrigstem Niveau („Bisssu Narzt?“).
Doch dann punktet „Luz“ auch wieder mit einer sehr guten Hauptdarstellerin Luana Velis, einen grandiosen Ausstattung und einem sehr gelungenen Soundtrack. Gedreht wurde auf 16mm-Film, was noch einmal Sympathiepunkte bringt. Und die Szene, in der eine Taxifahrt nur mithilfe von einigen Stühlen und der Tonspur nachgestellt wird, ist schlichtweg brillant. Wie gesagt: Im Grunde zwiespältig, aber trotz aller erwähnten Mängel, überwiegt der positive Eindruck. Tilman Singer sollte man unbedingt im Auge behalten. Da kann noch Großes kommen.
Nach „Luz“ stellt sich die Frage, ob unsere diesjährige Oldenburg-Gruppe noch in der Mitternachts-Schiene „Mandy“ schaut. Den Horrorfilm von Panos Cosmatos, dessen „Beyond the Black Rainbow“ mir bereits öfter ans Herz gelegt wurden. „Mandy“ ist bei Genre-Fans in diesem Tagen überall im Munde und jeder ist gespannt auf den Film. Bei uns wurde allerdings schnell beschlossen, statt „Mandy“ lieber die Heimfahrt anzutreten. Einerseits war da die Müdigkeit, dann war einer von uns noch nicht aus dem Casablanca zurückgekehrt, wo er von Paul Schraders „First Reformed“ überwältigt worden war… und dann saßen wir so schön bequem auf den einladenden Sofas im Foyer des cineK und waren am Schnacken. Was wir dann noch länger taten, weshalb die Abreise sich trotz Filmverzichts doch noch etwas zog. Aber das muss einfach auch mal sein. Mit dem Wissen, dass wir die Entscheidung gerade „Mandy“ sausen zu lassen, niemanden plausibel erklären könnten, begaben wir uns aber irgendwann zum Auto. Vielleicht spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass eine gewisse Bremer Filmreihe den „Mandy“ schon mal ins Auge genommen hat.