Blu-ray-Rezension: „The Eyes of My Mother“

Die kleine Francesca (Olivia Bond, später Kika Magalhães) lebt mit ihrer Mutter (Diana Agostini) und ihrem Vater (Paul Nazak) auf einer Farm irgendwo im Nirgendwo, als eines nachmittags – der Vater ist gerade unterwegs – plötzlich ein Fremder (Will Brill) vor dem Haus steht. Was an diesem Nachmittag passiert ist unfassbar grausam. Aber mit diesem Nachmittag fängt alles erst an…

Mit „The Eyes of My Mother“ hat Regie-Debütant Nicolas Pesce auf dem Sundance Festival einen recht anständigen Erfolg gehabt. Kein Wunder, ist doch „The Eyes of My Mother“ einer amerikanischer Indie-Film par excellence. Sehr künstlerisch gemacht, mit dem Blick für schöne Bilder und dem Willen zur Provokation, wobei diese aber nur zartere Gemüter wirklich auf der Bahn werfen dürfte. Nicolas Pesce hält immer die Balance aus einer gewissen Wildheit und einem Hang, es dem Zuschauer dann doch irgendwie erträglich zu machen. Das ist alles nicht schlecht, aber man hat das Gefühl, dass hier mit Blick auf ein typisches Arthouse-Klientel, welches zwar gerne mal schockiert, aber nicht in seinen Grundfesten verstört werden möchte. Da kann man sich dann des Eindrucks der angezogenen Handbremse nicht gänzlich erwehren. Vielleicht hätte etwas weniger Stilwillen und etwas mehr Mut zu einer völligen Befreiung seiner schönen Bilder gut getan. So bleibt der Film zwar trotz seinen teilweise recht unangenehmen Bilder merkwürdig keusch.

Nicolas Pesce arbeitet bei „The Eyes of My Mother“ viel mehr Leerstellen, die immer wieder Unaussprechliches andeuten, es aber vor dem Blick des Zuschauers verstecken. Manche Schnitte überspringen dann auch größere Zeitraume, was zu einem Gefühl der Desorientierung führt. Trotzdem hat man immer das Gefühl, Pesce hätte – vielleicht unbewusst – beim Dreh die Schere im Kopf gehabt, um ein Sektglas-schwenkendes Arthouse-Publikum nicht zu verprellen. Ähnlich wie Danny Boyle bei seinem „wasch mich, aber mach mich nicht nass“-Melodram „Slumdog Millionaire“. Vielleicht hätte sich Pesce da etwas mehr von dem jungen mexikanischen Bilderstürmer Emiliano Rocha Minter abgucken sollen, der gerade mit „We Are the Flesh“ für Furore sorgt und gerade nicht irgendwelche Kompromisse eingeht. Ein echter Tabu-Brecher ist „The Eyes of My Mother“ jedenfalls nicht geworden. Auch wenn der größte Horror immer im Kopf entsteht, hat man dann doch das Gefühl, dass Pesce seine Auslassungen, Andeutungen immer auch als Schlupfwinkel nutzt, um es „nicht so schrecklich schlimm“ werden zu lassen. Stichworte: Kannibalismus, Nekrophilie und sexuelle Ausbeutung. All dies kann man sich denken – oder eben in einer Art Abwehrmechanismus auch nicht. Ideales Futter für Leute, die sich mal hübsch schockieren lassen möchten – aber bloß nicht zu viel.

Man muss Pesce aber zugestehen, dass er am Ende seines Filmes einige bemerkenswerte Bilder findet, die nicht nur an guten J-Horror (den modernen japanischen Horrorfilm seit „Ring“) erinnert, und seine Geschichte zu einem konsequenten Ende zu führen. Gerade in den Momenten, in denen Pesce nicht halbherzige Geschmacklosigkeiten ausprobiert, sondern sich ganz auf seine umwerfende Hauptdarstellerin Kika Magalhães konzentriert und in ihre Gefühlswelt eintaucht, wird „The Eyes of My Mother“ sehr stark. Und selbstverständlich muss man Pesce und seinem Kameramann Zach Kuperstein attestieren, dass sie einen sehr guten Blick für Bilder und vor allem Ausstattung haben. Das zeitlose Haus in dem Francesca lebt, ist ein förmlich der zweite Hauptdarsteller in diesem Film. Optisch sieht „The Eyes of My Mother“ einfach wunderschön aus, auch wenn vielleicht eine grobschlächtigere, realistischere Bildgestaltung eine noch stärkere Wirkung erzählt hätte. Hier stehen die attraktiven Bilder zwar in einem angenehmen Kontrast zum Inhalt, schwächen diesen aber auch etwas ab, da der Zuschauer auf eine artifizielle Ebene gelockt wird.

Am Ende dieser Besprechung möchte ich noch etwas ergänzen. Diese Review der Blu-ray hatte ich schon vor einigen Wochen geschrieben und lasse sie auch so stehen, da sie meinen ersten Eindruck des Filmes widerspiegelt. Vor einigen Tagen hatte ich allerdings das Vergnügen „The Eyes of My Mother“ ein zweites Mal, diesmal im Kino, zu sehen und muss diesen ersten Eindruck leicht revidieren. Im dunklen Saal und auf der großen Leinwand entwickelt der Film noch einmal eine ganz andere Kraft, die einen – im Zusammenspiel mit einem fantastischen Sounddesign – doch weitaus mehr in den Sitz drückt, als es bei der „Sofa-Session“ der Fall war. Auch kam mir der Film hier sehr viel unangenehmer vor, als bei der ersten Begutachtung vor dem Fernseher. Ob es nun daran liegt, dass man als Zuschauer dem Film im dunklen Kinosaal sehr viel mehr „ausgeliefert“ ist, dass man auf der Leinwand mehr garstige Details entdeckt oder generell die Erwartung aufgrund des Vorwissens eine andere war, kann ich nicht sagen. Tatsache ist aber, dass „The Eyes for My Mother“ ein Film ist, den man unbedingt im Kino gesehen haben sollte. Schade, dass bei uns in Bremen gerade mal eine Handvoll Zuschauer diese Chance wahrnahmen.

„The Eyes of My Mother“ ist ein in prächtig-elegante Bilder gehüllter Film, bei dem man allerdings das Gefühl hat, dass einiges an Potential auf der Strecke bliebt, da er sich eher nach dem typischen Indie-Sundance-Publikum ausrichtet, anstatt ungebremst durchzuziehen. Nichtsdestotrotz hat der Film einige erinnerungswürdige Momenten, die vor allen vor der wundervollen Hauptdarstellerin Kika Magalhães und den eleganten, wenn auch künstlichen Bilderwelten des Kameramanns Zach Kuperstein getragen werden.

Die Bluray aus dem Hause Bildstörung lässt das Bild in all seiner Pracht erstrahlen. Die Qualität der schwarz-weiß Bilder ist makellos. Auch der Ton ist klar und sehr gut verständlich, die Untertitel hervorragend lesbar und gut übersetzt. Auch im Bonusbereich wird der von Bildstörung gesetzte hohe Standard gehalten. Neben einem Audiokommentar mit Regisseur Nicolas Pesce gibt es noch ein einstündiges, hochspannendes Interview mit dem Regisseur. Weitere Extras sind die dreiminütige „Behind the Scenes Galerie“ und das Musikvideo „Out of Touch“ von Iyves, bei dem Pesce bereits 2014 mit Kika Magalhães und Zach Kuperstein zusammenarbeitete. Nicht zu vergessen: Es gibt auch ein 16-seitiges Booklet mit einem Text von Thorsten Hanisch.

Dieser Beitrag wurde unter DVD, Film, Filmtagebuch abgelegt und mit , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.