Bericht vom 24. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 3

Erstmals war ich auch an einem Sonntag in Oldenburg. Die Jahre zuvor hatte ich auf diesen Tag immer verzichtet, um mich Zuhause von dem Film-Marathon zu erholen, bevor es Montags wieder ins Büro geht. Diesmal aber hatte ich den Sonntag schon für R.P. Kahls „A Thought of Ecstasy“ reserviert, für den es ja zu meiner großen Enttäuschung aber keine Karten mehr gab. Da jetzt der Sonntag schon einmal fest eingeplant war, disponierte ich eben um. Und als ich sah, dass noch einmal „Junk Head“ lief, den ich zuvor verpasst hatte, war klar, wie mein neuer Plan aussah. Unterwegs war ich wieder mit einem Weird-Xperience-Partner Stefan, der diesmal auch die Chauffeurs-Rolle übernahm. In Oldenburg trennten wir uns dann, den während ich mich für den irischen Gefängnisausbruchs-Film „Maze“ im cineK-Studio entschieden hatte, ging Stefan in den indonesischen Film „Marlina the Murderer in Four Acts“, was im Nachhinein auch die bessere Wahl war, obwohl „Maze“ nun wahrlich nicht schlecht war.

MAZE – „Maze“ beruht auf wahren Ereignissen und zeigt den Massenausbruch von 38 IRA-Kämpfern aus einem britischen Hochsicherheitsgefängnis. Wenn man so will, könnte man „Maze“ als so etwas wie das Sequel zu Steve McQueens preisgekrönten Drama „Hunger“ bezeichnen, denn er schließt direkt an die dort gezeigten Ereignisse an. Die Hauptfigur Larry Marley, welche in der Folge das Mastermind hinter dem Ausbruch werden soll, gehörte nämlich ebenfalls zu den IRA-Kämpfern, die sich in britischer Haft zu Tode gehungert haben. Nur, dass Marley diese Aktion überlebte, weshalb er an großen Schuldgefühlen leidet und Opfer gezielter Beleidigungen sowohl der britischen, als auch der irischen Seite wird. Denn nach seiner Einlieferung in das Hochsicherheitsgefängnis, muss er feststellen, dass britische und irische Häftlinge in einem Block untergebracht sind, was zu massiven Streitigkeiten und Spannungen führt.

Regisseur Stephen Burke nimmt dies aber nicht zum Anlass für spektakuläre und blutige Szenen, sondern inszeniert seine Geschichte ruhig und manchmal etwas unterkühlt. Dabei konzentriert er sich ganz auf die Beziehung zwischen dem brillant von Tom Vaughan-Lawlor verkörperten Larry Marley und dem Gefängniswärter Gordon Close, den Marley skrupellos für seine Zwecke ausnutzt. Wobei ich zugeben muss, dass ich nicht 100% verstanden habe, wie genau der große Plan am Ende funktioniert hat und wo auf einmal die Waffen hergekommen sind. Nur, dass eben der Wärter unwissentlich eine wichtige Rolle dabei gespielt hat. Das „verstanden“ meine ich übrigens wörtlich, da viele Informationen über den Dialog transportiert wurden und der Film eben aus Irland kam. Hiermit fordere ich eine Untertitelung für alle irische Filme, auch wenn dort angeblich „Englisch“ gesprochen wird! Aber dies nur am Rande.

Die Stärke des Filmes liegt in der Charakterisierung seiner beiden Hauptfiguren. Da ist der überzeugte IRA-Mann Marley, der sich noch immer schuldig fühlt, weil er seinen Protest überlebt hat und fürchtet, die Opfer seiner Kameraden könnten umsonst gewesen sein. Der sich in der Gefängnis-Hierarchie erst noch seinen Platz erkämpfen und die Anführer der gefangenen IRA-Kameraden davon überzeugen muss, dass er einen funktionierenden Plan besitzt, um aus dem als sicherstes Gefängnis Europas angepriesenen Hochsicherheitsgefängnis zu fliehen. Auf der anderen Seite haben wir den der britischen Regierung treu ergebene Wärter Gordon Close, den Barry Ward ebenfalls sehr überzeugend spielt. Kein Sadist, wie in anderen Gefängnisfilmen, sondern ein trauriger, melancholischer Mann, der an der Welt und seiner Loyalität zur Krone zweifelt. Einer Loyalität, die ihm und seiner Familie beinahe das Leben gekostet hätte, und die nun dafür verantwortlich ist, dass er von seinen geliebten Menschen verlassen wurde. Jemand, für den das Gefängnis ebenfalls einen Käfig darstellt, aus dem er nicht ausbrechen kann. Unter anderen Umständen wären Marley und Close sicherlich gute Freunde geworden. Dies schwingt in den Szenen, in denen sich Marley Closes Vertrauen erschleicht, immer auch mit. Aber die Zeiten und Umstände sind halt andere, und so bleibt am Ende nur Enttäuschung zurück. Für Close ebenso wie für Marley, wie die Texttafeln im Abspann verraten, die davon erzählen, wie es mit den wahren Teilnehmern der Flucht weiterging.

Nach dem Film traf ich dann Stefan wieder, der mir von „Marlina the Murderer in Four Acts“ vorschwärmte. Nach einem kurzen gemeinsamen Austausch, einem leckeren OL-Bier und ein paar Snacks, ging es direkt wieder zurück ins cineK Studio, wo jetzt der Film lief, der mich an diesem Sonntag noch einmal nach Oldenburg gelockt hatte.

JUNK HEAD – Um es gleich vorweg zu nehmen: „Junk Head“ ist großartig! Man könnte ihn vielleicht mit Quay Brothers meet Tetsuo beschreiben. Mit einer ordentlichen Prise „Doom 2“-Ego-Shooter. Zumindest fühlte ich mich immer wieder stark an dieses Spiel erinnert, welches mich zu Studenten-Tagen Mitte der 90er oft bis tief in die Nacht begleitet hatte. Ich bin mir sicher, dass die unterirdischen, labyrinthischen Gänge dieses Spiels, bei dem hinter jeder Ecke ein neuer Gegner stehen konnte, auch den Filmemacher Takahide Hori inspirierte. Hori Leistung kann man hier gar nicht genug loben. Acht Jahre hat er ganz alleine an dieser Welt gearbeitet und detailreich ausgestattet, um dann seine merkwürdigen Figuren und Monster mittels aufwändiger und wundervoll anachronistischer Stop-Motion-Technik zum Leben zu erwecken.

„Junk Head“ spielt in einer postapokalyptischen Welt. Ob in den Wolkenkratzern leben die Menschen, unten in den schier unendlichen Eingeweiden der Stadt die Mutanten. Eines Tages wird einer „von oben“ im Rahmen eines Forschungsauftrages mittels einer Art Container in die Tiefe geschickt. Das läuft allerdings nicht besonders glücklich ab und übrig bleibt am Ende nur der Kopf des Forschers, welcher in unterirdischen Laboren in eine Art Roboter verpflanzt wird. In dieser neuen Gestalt trifft er dann mutierte Maulwurfwesen, verrückte Wissenschaftler, gefräßige Würmer und allerlei weitere, seltsame, skurrile, kreuzunheimliche und gefährliche Wesen, die von Horis mit großer Liebe zum Detail animiert wurden. Man kann sich kaum sattsehen an dieser schrägen, düsteren und tödlichen Welt.

Gerade die erste halbe Stunde berauscht durch ein hohes Tempo und immer neuen Ideen. Diese halbe Stunde ist dann auch identisch mit dem Kurzfilm, den Hori nach vier Jahren Drehzeit 2013 fertiggestellt hatte und der ihm dazu diente, Geld für die Herstellung eines abendfüllenden Spielfilms zu akquirieren, den er nun nach nochmals vier Jahren beenden konnte. Lediglich die letzten Sekunden weichen vom Kurzfilm ab, um das Scharnier für die neuen Szenen zu bilden. Mit 115 Minuten ist der fertige Film insgesamt etwas zu lang geworden und weißt an einigen Stellen auch spürbare Längen auf. Aber nichts desto trotz ist Horis Werk wahnsinnig einfallsreich, schräg, lustig, unheimlich und visuell beeindruckend. Eine unbedingte Empfehlung und mein persönliches Highlight in den drei Tagen, die ich auf dem Internationalen Filmfest Oldenburg verbrachte.

Insgesamt kann ich eine ausgesprochen positive Bilanz ziehen. Nach dem Ärger am ersten Tag, erwies sich das Filmfest wieder so, ich ich es kenne und liebe: Gemütlich, familiär und wahnsinnig interessant. Bei den zehn geschauten Filmen gab es keinen einzigen Ausfall und die eingeladenen Filmemacher waren allesamt sympathisch und hatten interessante Dinge zu erzählen. Wobei ich das Gefühl hatte, dass in diesem Jahr weitaus weniger Filmemacher anwesend waren, als in den Jahren zuvor. Besonders schmerzlich habe ich Simon Rumley vermisst, der ja immerhin zwei Filme im Programm hatte. Aber der Eindruck kann täuschen und allein meiner Filmauswahl geschuldet sein.

Wie dem auch sein: Ich freue mich bereits auf die 25. Ausgabe und bin sehr gespannt, was Festivalleiter Torsten Neumann und seine Crew sich für dieses Jubiläum ausgedacht haben.

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