Nachrufe zu schreiben ist immer eine ebenso traurige, wie ungeliebte Aufgabe. Darum halte ich mich damit zumeist gerne zurück, es sei denn, es betrifft einen jener Leinwand-Heroen oder Menschen hinter der Kamera, die mir etwas ganz Besonderes bedeuten. Vorgestern verstarb Tomas Milian. Wer sich nur im Entferntesten für das italienische Kino der 60er und 70er Jahr interessiert, der kennt dieses Gesicht. Nun, vielleicht sogar nicht nur dieses eine, denn Milan war ein begnadetes Chamäleon, welches vollkommen mit seiner Rolle verschmolz.
Besonders schön ist dies in Umberto Lenzis „Die Kröte“ zu sehen, wo er eine Doppelrolle spielt. Einmal den langhaarigen Buckligen, aus dem ein aus jahrelangem Spott und Unterdrückung geborener Menschenhass herausbricht (unvergesslich die Szene, in der sich zunächst vor der „feinen Gesellschaft“ zum Clown macht, um sich dann langsam als furchterregender Springteufel zu entpuppen, der bereit ist jeden einzelnen von ihnen mit seiner MG zu durchsieben). Und dann spielte er auch noch den bärtigen, mit einem gewaltigen Lockenkopf versehenen „Monnezza“, der ständiger in er blaue Latzhose steckt und sich lautstark über alles und jeden beschwert. Diesen wild gestikulierenden, lauten und immer ziemlich assigen „Monnezza“ , kannte man bereits aus „Das Schlitzohr und der Bulle“ und „Die Gangster-Akademie“.
1976 transformierte Milian diese Figur in „Die Strickmütze“ in den unkonventionellen, an Al Pacinos „Serpico“ orientierten Polizisten Nico Giraldi. Dem „Hippie Nico von der Kripo“, dem „Superbullen“ und „Schlitzohr“ von dem die deutschen Filmtitel der zwischen 1976 und 1984 enstandenen, 11-teiligen „Nico-Geradi-Reihe“ künden. Hierzulande hieß Geraldi bald schon „Tony Marroni“, die Kastanie, und dürfte unter diesem Namen vielen ein Begriff sein, die sich in den 80ern die den Videotheken herumgetrieben oder Anfang der 90er viel frühes Privatfernsehen geschaut haben. Milians bekannteste Figur, zeigte ihn als sehr körperlichen Schauspieler. Überlebensgroß, schon jenseits der Grenze zum comichaften. Leinwandsprengend, mitunter auch etwas nervig.
Aber Milian konnte auch ganz anders. Still, grüblerisch und ernsthaft in Filmen wie „Der Todesengel“ oder „Don’t torture a duckling“. Bedrohlich als vollkommen außer Kontrolle geratener Giulio Sacchi in Lenzis intensivem „Der Berserker“ oder als sadistischer Chako in Lucio Fulcis „Verdammt zu leben – verdammt zu sterben“. Milian war im Arthouse-Kino eines Michelangelo Antonioni („Identifikation einer Frau“) und Luchino Visconti („Boccaccio 70“ ) ebenso Zuhause, wie in herrlichem Blödsinn wie „Stetson – Drei Halunken erster Klasse“, wo er einen verrückten Samurai verkörperte oder in „Bud, der Ganovenschreck“ als schmierige Gigolo an der Seite von Bud Spencer.
Bei mir hinterließ er den ersten großen Eindruck in Sergio Sollimas erstklassiger Italo-Western-Trilogie „Der Gehetzte der Sierra Madre“, „Von Angesicht zu Angesicht“ und „Lauf um Dein Leben“. Meilensteine des Genres, die auch von Milians fiebriger Darstellung leben. Und natürlich als stoischer Fremder in Giulio Questis surrealistischen Albtraum-Western „Töte Django“.
Mitte der 80er ging der auf Kuba geborene Schauspieler in die USA, wo er schon in den 50er Jahren lebte und sich wie James Dean in den legendären Actor’s Studios ausbilden ließ. Dort war er im Fernsehen in den Serien „Miami Vice“ und „Mord ist ihr Hobby“ zu sehen, aber auch in großen Produktionen wie Sydney Pollacks „Havanna“, Oliver Stones „JFK“ oder Steven Spielbergs „Amistad“. Meist in kleiner Nebenrollen. 2000 holte ihn Steven Soderbergh für „Traffic“ vor die Kamera, wo er noch einmal eine größere Rolle spielte. Dann wurde es still um diesen großen Schauspieler. 2014 hatte er nach neun Jahren Pause noch einmal einen Auftritt in der Komödie „Fugly!“ mit John Leguizamo in der Hauptrolle.
Nun ist die Legende am 22. März in Miami mit 84 Jahren gestorben. Uns aber bleiben seine Filme, die diesen Ausnahme-Schauspieler für immer lebendig halten werden.
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ich schaue mir eben einige Strickmützen-Filme mit ihm auf Prime an. Ich hätte nicht gedacht, dass er der gegelte Langfinger aus den Buddy-Filmen ist. Wirklich wandlungsfähig. Schöner Nachruf, guter Schauspieler, hoch leben die Schnodderdeutsch-Filme. Vielen Dank an Milian und Marco Koch.