Der Student (Pit Bukoswski) quartiert sich als Untermieter bei einer Familie ein, die in einem unterirdischen Bunker irgendwo im Wald lebt. Hier will er sich in Ruhe auf seine wissenschaftliche Arbeit konzentrieren. Doch schnell wird er von dem Vater (David Scheller) und der Mutter (Oona von Maydell) gezwungen, ihren acht-jährigen Sohn Klaus (Daniel Fripan) zu unterrichten, der ihrer Meinung nach hochbegabt ist und auf das Amt des Präsidenten vorbereitet werden muss.
Man soll mit Superlativen ja vorsichtig sein und es vermeiden, Filme vorschnell auf den Olymp zu jubeln oder in die ewige Hölle zu verdammen. Bei Nikias Chryssos‘ „Der Bunker“ fällt mir ersteres schwer, denn diese Film ist für mich in der Tat eine der besten deutschen Produktionen der letzten 2o Jahre. Wobei ich gestehen muss, von den anderen Filmen, die derzeit unter dem sperrigen und gänzlich unsexy klingenden Titel „New German Fantastic Cinema“ in eine Schublade gestopft werden, bisher nur „Der Samurai“ gesehen zu haben. Großen Nachholbedarf habe ich in puncto „Der Nachtmahr“ und vor allem „Wild“.
„Der Samurai“ sah ich vor zwei Jahren auf dem Internationalen Filmfest in Oldenburg. Endlich ein Genre-Film, der sich nicht krampfhaft an US-Vorbildern orientierte und für wenig Geld unbedingt auf ganz großes Hollywood machen will. Der seinen Figuren englische Namen gibt, um international zu wirken. Und vor allem ein Film, der eine ganz eigene Geschichte erzählt, und nicht zum x-ten Mal „Pulp Fiction“ oder irgendeinen 08/5-Zombie-Splatter durchkaut. Das ist es doch, was Filme wie diesen auf internationalen Festivals so erfolgreich macht. Die Menschen möchten gerne interessante, originäre Geschichten sehen, die auch in dem Land, aus dem sie stammen, verwurzelt sind. Nicht irgendwie Kopien, die auf Teufel komm raus amerikanisch wirken sollen und dann doch nur nach Hintertupfingen aussehen. Da ist es doch sehr viel spannender, gleich eine interessante Geschichte aus Hintertupfingen zu erzählen. So, wie es „Der Samurai“ macht.
Womit wir nach diesem etwas längeren Exkurs endlich bei „Der Bunker“ angekommen sind, dessen Hauptdarsteller Pit Bukowski ja auch der „Der Samurai“ war und völlig zu recht gerade sehr gefragt ist. In „Der Bunker“ spielt Pit Bukowski den namenlosen Studenten, der Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, um sich seiner Studien widmen zu können. Dabei ähnelt er einer Figur bei Kafka. Was er da eigentlich so fleißig studieren möchte bleibt unklar. Im Grunde besteht seine Arbeit darin, immer wieder wilde Kreise zu kritzeln. Der seltsamen Familie, bei der er unterkommt, steht er eher passiv gegenüber. Kaum einmal kommt es zur Auflehnung, auch wenn er schlecht behandelt wird und das ihm zugewiesene Zimmer so gar nicht dem entspricht, was ihm versprochen wurde. Die grotesken Umstände seines Aufenthalts nimmt hin und versucht sich so gut wie möglich anzupassen. Nicht einmal scheint ihm in den Sinn zu kommen, diesen seltsamen Ort zu verlassen. Hier spürt man Echos von Roman Polanskis wundervoll-verstörendem Meisterwerk „Der Mieter“. Wie dessen Hauptfigur Trelkovsky, möchte auch der Student nicht negativ auffallen und seine Mitbewohner verärgern. Und dies wird von jenen skrupellos ausgenutzt. Beim Kafka-Vergleich sollte man auch nicht vergessen, dass Kafkas Bücher von einer schreienden Komik sind. Zu gerne hätte ich „Der Prozess“ von den Monty Pythons verfilmt gesehen, deren Sketche ja auch oftmals darin bestehen, ein gutgläubiges und gutwilliges Individuum in eine Situation zu stellen, deren Hintergründe, Motivation und Ausmaß es nicht überblickt. Wie der Student in „Der Bunker“.
Neben dem Kafka-Einfluss setzt Regisseur Nikias Chryssos seinen Film aus den unterschiedlichsten, sehr deutschen Zutaten zusammen. In erster Linie ist da natürlich der bürgerliche Muff der 50er Jahre. Aber auch die Gier nach Anerkennung, die starke Betonung des Bildungsbürgerlichen, dieses Schwanken zwischen Selbstmitleid und Größenwahn. All dies verkörpert durch den von David Scheller furios gespielten Vater. Einer in ihrem Bemühen, eine akademische Überlegenheit auszustrahlen, höchst lächerliche Gestalt, in der jedoch ein garstig-unheimlicher Kern lauert. Der Proll, der jederzeit seine manieriert ausgesuchten Worte gegen sehr handfeste Argumente tauschen würde. Jene Szenen, in denen der Vater mit weiß geschminkten Clownsgesicht uralte Witze vorliest, um diese dann mit großer Geste zu analysieren, gehört zu den verstörensten Szenen des Filmes, bei der man sich nicht sicher ist, ob man nun ob der absurden Situation lachen oder sich fürchten soll. Man fühlt sich hier an Tom Hardys grandiosen Auftritt als Bronson im gleichnamigen Film erinnert, der ihn ähnlicher Maske und Stimmung den Entertainer gab, bei dem man wusste, dass er sofort brutal zuschlagen wird, sobald ihm jemand in die Pointe reinquatscht. Auch wenn Pit Bukoski die Hauptrolle und Daniel Fripan die dankbarste Figur spielt: David Scheller ist der heimliche Star des Films.
Weiter verfremdet Chryssos seine Geschichte mit der Figur der Mutter. Dargestellt von der Tochter des Schauspielerpaares Sabine von Maydell und Claude-Oliver Rudolph, Oona von Maydell Sie bringt ein gewisses Horror-Element in den Film. Und dies manifestiert sich nicht nur durch den mit dröhnender, gurgelnder Stimme sprechenden „Heinrich“. Eine nie zuwachsende, klaffende Wunde am Bein der Mutter. Diese Mutter ist die Schreckensgestalt der Über-Mutter, die ihr Kind nicht gehen lassen kann/will. Die es noch säugt, obwohl es bereits lange aus dem Säuglingsalter hinaus ist. Die sich wie ein Gespenst dem Studenten hingibt, um diesen noch enger an ans Haus und damit an ihr Kind zu binden. Das blasse Gesicht der Mutter bezeugt, dass sie den Bunker schon sehr lange nicht mehr verlassen hat. Hier fesselt sie ihr Kind an sich, so dass es nicht nach draußen kann oder erwachsen werden will. Der geniale Trick des Regisseurs ist es dann auch, den acht-jährigen Klaus mit dem 31-jährigen Daniel Fripan zu besetzten. Abgesehen von diesem grandiosen, beunruhigenden Verfremdungseffekt, kann man sich auch nie sicher sein, ob Klaus wirklich erst acht Jahre ist. Als ihn der Student darauf anspricht, dass er älter aussehe, reagiert er mit einem lauten und sehr wütenden „Ich bin acht Jahre!“. Und als er sich am Ende von seiner Familie lösen will, sagt er mit einer ruhigen, dunklen und sehr erwachsen Stimme, die nichts von Klaus‘ hellen Kinderstimme hat: „Mutter, ich gehe jetzt“. Und da ist ja auch diese merkwürdige Szene in den Extras dieser wundervollen Blu-ray. In einem kurzen Zusammenschnitt, der „The Bunker Awakes“ betitelt ist, sieht man am Ende Klaus seine alberne Perücke vom Kopf nehmen und den kahlköpfigen Daniel Fripan direkt in die Kamera schauen. Nun kommt diese Szene im Film nicht vor, doch unterstreicht dieses Bild die undurchschaubare Brüchigkeit der Figur, die möglicherweise wie der Student einen Pakt mit dem Vater und der Mutter eingegangen ist, aus dem sie sich nicht mehr lösen konnte.
Daniel Fripans Darstellung des Klaus ist natürlich das Aushängeschild des Filmes, auch wenn die anderen drei Schauspieler ebenso glänzen und ebenbürtig auf hohem Niveau agieren. Aber auch die brillante Ausstattung (Production Design von Melanie Raab, Kostüme von Henrike Naumann), Leonard Petersens eingängige Musik und die sowohl unauffällige, wie doch in den Details unglaublich effektive Kameraarbeit von Matthias Reisser, machen aus „Der Bunker“ einen sehr sehenswerten Film, bei dem man bei jeder Sichtung neue Details entdeckt. Wir hatten hier in Bremen das große Glück „Der Bunker“ im Rahmen unserer Filmreihe Weird Xperience im Kulturzentrum Lagerhaus zeigen zu dürfen. „Der Bunker“ brachte dann gleich einen ersten Zuschauerrekord, was zeigt, dass es ein Publikum und ein Bedürfnis für diese besonderen Filme abseits der Mainstream-Norm gibt. Auch (oder vielleicht auch gerade?) aus Deutschland. Die Reaktionen auf den Film waren jedenfalls durchweg positiv. Darum kann man allen angehenden Genrefilmern nur zurufen: Kommt heraus aus Eurer Schmollecke. Schreibt kreative Drehbücher. Macht Kino, kein biederes Fernsehen. Kopiert nicht die Kopien, seit die Originale! So wie „Der Bunker“. Der hat auch keine Förderung bekommen, konnte aber trotzdem einen Hans W. Geissendörfer (den großen Unterschätzten des deutschen Films, der so viel mehr ist als nur „Lindenstraße“) dazu bringen, Geld in diesen Film zu investieren. Geht doch.
Mit dem Label „Bildstörung“ hat „Der Bunker“ einen kongenialen Partner gefunden. „Bildstörung“ hat sich mittlerweile mit seinen hochwertigen und extrem spannenden Veröffentlichungen einen Ruf erarbeitet, der in einem Atemzug mit dem amerikanischen Criterion und dem englischen Masters of Cinema genannt werden kann. Liegt der Schwerpunkt meistens auf dem Kino der 70er und 80er Jahre, ist „Der Bunker“ – neben dem indischen „Gandu – Wichser“ – der jüngste Film, der es in die großartige „Drop Out“-Reihe des Labels geschafft hat. Wie die anderen Filmen auch, wird „Der Bunker“ in einer sehr liebevollen und umfangreichen Edition veröffentlicht. Bild und Ton sind dabei makellos. Die Extras bestehen aus einem interessanten Audiokommentar des Regisseurs, einem knapp 2-minütigen Promozusammenschnitt namens „Der Bunker Awakens“, der scheinbar auch nicht verwendetes Material beinhaltet. 20 Minuten Deleted Scenes, teilweise Erweiterungen von aus dem Film bekannten Szenen. 13 Minuten Outtakes, die allerdings wirkliche Outtakes und keine spaßigen Versprecher sind. Herzstück ist das hochspannende und aufschlussreiche 64-minütige „Making Of“, welches auf alle Aspekte der Produktion eingeht und zahlreiche Beteiligte zu Wort kommen lässt. Abgerundet wird das Ganze mit zwei frühen Kurzfilmen des Regisseurs: „Schwarze Erdbeeren“ (20 Minuten) und „Der Großvater“ (15 Minuten). Während ersterer ein typischer Studentenfilm ist, um die große Liebe und Freundschaft ist, fühlt sich „Der Großvater“ schon mehr wie eine stilistische Fingerübung auf dem Weg zum „Bunker“ an. Bildtechnisch auf höchstem Niveau und einfallsreich lässt Nikias Chryssos seinen späteren Hauptdarsteller Pit Bukowski mit dem fantastischen Matthias Habich zusammenprallen. Toll gespielt, wenn auch etwas zu offensichtlich auf die erwartbare Pointe hingesteuert wird. Wer sich dann noch näher mit dem Film beschäftigen möchte, für den liegt noch ein 24-seitiges, hervorragend geschriebenes Booklet von Oliver Nöding bei. Und in der Limited Edition ist noch eine CD mit dem grandiosen Soundtrack von Leonard Petersen enthalten. Alles in allem ein Pflichtkauf.
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