Filmbuch-Rezension: “ Werner Herzog – An den Grenzen“

Bertz+Fischer_Werner_HerzogWährend Werner Herzog in den USA einen fast schon mythischen Status besitzt, wird er in Deutschland leider größtenteils noch immer auf seine legendäre Zusammenarbeit mit Klaus Kinski reduziert. Daher erfreut sich auch aus seinem späteren Werk hierzulande gerade mal der Kinski-Dokumentarfilm „Mein liebster Feind“ einer größeren Popularität. Dabei sind insbesondere Herzogs Dokumentarfilme, die in den letzten beiden Jahrzehnten vornehmlich in den USA entstanden, hochinteressant. Und auch die in Herzogs Heimatland gerade mal auf DVD veröffentlichten Spielfilme müssen sich nicht hinter den Werken aus den 70ern und 80ern verstecken. Stichwort „verstecken“. Herzogs in den Staaten gefeierter Dokumentarfilm „Tod in Texas“ wurde bisher nur einmal in Deutschland gezeigt, versteckt im Nachtprogramm des ZDF. Noch schlechter erging es der daran anschließenden TV-Reihe „Death Row“, die 2014 im ZDFInfo-Kanal lief. Beide Werke stehen im Zentrum des bei Bertz + Fischer erschiene Buches „An den Grenzen“, welches sich mit Herzogs, hier wie gesagt leider unbekannteren, Spätwerk beschäftigt. Eine wichtige, überfällige Veröffentlichung, die hoffentlich hilft, auch in unserem Land das spannende Werk Herzogs jenseits seiner Filme mit Klaus Kinski, endlich in den Fokus zu rücken.

Wie die Herausgeber Kristina Jaspers und Rüdiger Zill im Vorwort ausführen, entstand der Grundstock der Beiträge anlässlich eines Symposiums, welches die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen und das Einstein Forum am 26. Oktober 2012 gemeinsam veranstalteten. Der erste Beitrag „Der Zirkelschluss als einzig mögliche Form der Existenz“ von Chris Wahl befasst sich mit Herzogs Suche nach „unverbrauchten“ und verborgenen Bildern, sowie seinen Strategien, an diese zu gelangen. Die erste Strategie ist laut Wahl das Motiv der Kreisbewegung, die zweite die Einbindung von „Found Footage“ und die Einpassung von diesem in seine eigenen Erzählungen. Kristina Jaspers beschäftigt sich in „Poesie und Pathos“ damit, wie Herzog seine Stimme und Musik in seinen Filmen einsetzt.

In dem spannenden Abschnitt „Razzle Dazzle“ analysiert Esther Buss am Beispiel der Filme „The Bad Lieutenant: Port of Call“ und „My Son, My Son, What Have Ye Done“, wie Herzog Erwartungen unterläuft, den Zuschauer täuscht und damit zwei fremde Drehbücher zu einem Herzog-Film umbiegt. Passend zu den teilweise bizarren Tieraufnahmen in vorgenannten Filmen, folgt darauf „Herzogs Zoo“ von Sabine Nessel, wo es – wie der Name schon sagt – um Tierdarstellungen in den neueren Dokumentarfilmen von Werner Herzog geht.

„To Explore the Procedure of Human Vision“ von Rüdiger Zill befasst sich eingehend mit Herzogs Film „Die Höhe der vergessenen Träume“ und geht unter anderem der Frage nach, ob und wo Herzog etwas fingiert hat und was seine Beweggründe waren. Valérie Carrés sehr interessantes und informatives Kapitel „Jeder Mensch ist ein Abgrund“ beschäftigt sich mit Herzogs Dokumentarfilmen über die Todesstrafe in den USA. Umso bedauerlicher, dass gerade diese aktuellen Werke bislang noch so schwer zugänglich sind (siehe meine einleitenden Worte oben).

„Von einem, der auszog, uns fremd zu bleiben“ von Bernd Kiefer handelt von den neueren Images Herzogs und hat eine recht desillusionierende Wirkung, da Kiefer das Bild, welches man von Herzog hat, als sehr kalkulierte Rolle entlarvt. Dieses Bild ist nach Kiefer nur eine immer wieder wechselnde Maske, die Herzog kunstvoll formt und die er nutzt, um sich selbst als Marke zu etablieren, und einen Mythos um seine Person zu schaffen. Welche er darüber hinaus aber auch nutzt, um den echten Werner Herzog vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Geht man mit Kiefers Argumenten mit, dann dekonstruiert er ziemlich gründlich das Bild, welches man sich von Herzog gemacht hat (bzw. dem man laut Kiefer aufgesessen ist).

Einem ganz anderen Bereich wendet sich „Kunst als Kunstvermittlung“ von Daniel Kothenschulte zu. Hier geht es ausschließlich um eine Video-Installation, die Herzog am 1. März 2012 im Rahmen der Whitney-Biennale im gleichnamigen New Yorker Museum ausstellte. Sie trug den Titel „Hearsay of the Soul“ und verband Gemälde des niederländischen Landschaftsmalers Hercules Segers (1590-1638) mit der Musik von Ernst Reijseger, der einige von Herzogs Filmen vertont hatte.

Klara Hobzas Beitrag „Der Welt aus dem Bild heraus begegnen“ hatte ich zuvor als „Lückenfüller“ abgetan. Handelt es sich hier doch um die Aufzeichnungen der Künstlerin Hobza, die in einem Herzog-ähnlichen Projekt Europa durchtauchen will. Tatsächlich entpuppt sich ihr Beitrag aber als Höhepunkt dieses Bandes, da sie mit sehr viel Elan und Enthusiasmus von ihrer Teilnahme an Werner Herzogs Rouge Film School berichtete. Ein Enthusiasmus, der sich auf den Leser überträgt und somit ein sehr schönes, lebendiges und positives Gegengewicht zu Bernd Kiefers eher düsteres Herzog-Portrait bildet. Ein „Lückenfüller“ ist eher Christoph Hochhäuslers Beitrag „Am eigenen Schopf“, der zwar wunderschön geschrieben ist, aber gerade mal eine einzige Seite umfasst.

Ergiebiger ist da die sehr persönliche Laudatio „Die Grenzen des Menschseins überschreiten“ von Edgar Reitz, die dieser anlässlich der Verleihung des Kulturellen Ehrenpreises der Landeshauptstadt München an Werner Herzog am 20. Januar 2015 hielt. Reitz fasst hier noch einmal Herzogs Werdegang, seine Filme, Methoden und Überzeugungen zusammen und reichert diese durch viele persönliche Anmerkungen und Anekdoten an. Einer der schönsten Texte dieses Buches.

Abgerundet wird „An den Grenzen“ durch einige Texte Herzogs, die dem Leser seine Sicht auf das Filmemachen deutlich machen. Dies wären „Die Minnesota Erklärung“ in der Herzog in 10 knappen Punkten formuliert, worum es bei seiner Art des Dokumentarfilms geht. Weiter führt Herzog dies dann in dem längeren Vortrag „Vom Absoluten, dem Erhabenen und ekstatischer Wahrheit“ aus, den er 2009 in Mailand hielt und der für das Verstehen von Herzogs Sicht essentiell ist. In „Schwanger gehen mit ganzen Provinzen“ schrieb Herzog bereits 1983 in der Süddeutschen Zeitung über den über den Landschaftsmaler Hercules Seger, dem er dann 2012 ins Zentrum seiner Video-Installation im Whitney-Museum, New York gestellte. Dem folgt „Hörensagen der Seele“, ein Text aus dem Katalog eben jener Ausstellung. Nach den 12 Regeln seiner „Rouge Film School“, schließt das Buch mit einem ausführlichen Publikumsgespräch ab, welches Herzog anlässlich der Aufführung zweier Folgen seiner TV-Doku-Serie „On Death Row“ im Oktober 1012 im Berliner Arsenal Kino führte.

Insgesamt ist „An den Grenzen“ ein gewohnt gutes Buch aus dem Hause Bertz + Fischer geworden, welches viele unterschiedliche Aspekte aus Herzogs leider noch viel zu unbekannten, neueren Schaffen beleuchtet. Besonders schön sind dabei auch die spannenden Gegenpole, die durch die Artikel von Bernd Kiefer und Klara Hobza vertreten werden. Natürlich kann man bemängeln, dass viele interessante Arbeiten Herzogs hier unerwähnt bleiben. Aber es ist ja auch nicht Anspruch des Buches, jeden noch so kleinen Winkel zu durchstöbern, sondern ein möglichst breites Spektrum abzubilden. Insgesamt eine lohnende Lektüre.

Kristina Jaspers / Rüdiger Zill (Hg.) Werner HerzogAn den Grenzen, Bertz+Fischer, 208 Seiten, € 17,90

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