Filmbuch-Rezension: “DER WEISSE HAI revisited“

Bertz+Fischer_Weisse_HaiZum 40-jährigen Jubiläum des „Weißen Hais“ ist nun bei Bertz + Fischer ein Buch erschienen, welches sich auf 274 Seiten allein und in aller Ausführlichkeit mit diesem einen Film beschäftigt. Natürlich hat „Der weiße Hai“ ein solche „Sonderbehandlung“ allemal verdient, denn er änderte nicht nur die Art und Weise, wie Hollywood seine Filme vermarktete, sondern er leitete auch das Zeitalter der „Blockbuster“ ein und tötete – so die landläufige Meinung – das New Hollywood-Kino. Eine Strömung, aus der auch „Der weiß Hai“-Regisseur Steven Spielberg und „Krieg der Sterne“-Macher George Lucas stammten. Ferner katapultierte „Der weiße Hai“ Spielberg zu Weltrum und ist vor allen Dingen verdammt aufregendes und perfektes Spannungskino. Und das von Wieland Schwanebeck herausgegebene Buch „DER WEISSE HAI revisited – Steven Spielbergs JAWS und die Geburt eines amerikanischen Albtraums“ beweist, dass hinter dem reinen Unterhaltungsanspruch noch sehr viel mehr Dimensionen stehen, die dem Film eine spannende Komplexität geben, die unter der perfekten Unterhaltung lauert, wie der große Weiße unter der Wasseroberfläche. Es muss allerdings hinterfragt werden, ob es dem Buch gut tut, wenn es sich ganz auf die detaillierte Deutung und kulturwissenschaftliche Untersuchung eines einzigen Filmes konzentriert. Und ob hier nicht auch weniger mehr gewesen wäre. Doch dazu später.

Der Beginn des Buches ist hervorragend gelungen. Nach einer höchst informativen Einleitung durch Wieland Schwanebeck schreibt Felix Lempp über verschiedenen „Making Of“-Dokumentationen, die es zu „Der weiße Hai“ gibt. Dabei erfährt der Leser durch die Beschreibung der Inhalte der Dokumentationen nicht nur eine Menge über die Entstehung des Filmes, sondern auch über unterschiedliche Strategien in „Making Of“s und wie sich scheinbare Wahrheiten über die Zeit verändern und immer wieder in den Dienst einer vorgefertigten „Story“ gestellt werden, die ein und das selbe Ereignis immer wieder neu und anders erzählen. Das ist nicht nur spannend, sondern schlägt auch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Michael Hiemke wendet sich dann in seinem Beitrag über die Filmmusik mit zahlreichen Notenbeispielen und Sequenzanalysen vor allem an musikwissenschaftlich affine Leser.

Ein Highlight des Buches ist Ian Freers Kapitel über die zutiefst bedrückende Katastrophe der U.S.S. Indianapolis. Ein reales Ereignis, das im Film eine zentrale Rolle einnimmt. Wieland Schwanebeck vergleicht dann Spielbergs Film mit dem Gesamtwerk Alfred Hitchcocks und sucht nach Parallelen. Den oben beschriebenen Tod des New Hollywoods durch Blockbuster wie „Der weiße Hai“ beschreibt Heiko Nemitz in einem sehr lesenswerten Abschnitt. Im Folgenden wird versucht „Der weiße Hai“ einzelnen Genres zuzuordnen. So verortet Marcus Stiglegger den Film im „Tierhorror“-Genre, während Michael Flintrop ihn eher im Katastrophenfilm sieht. Bei den jeweiligen Untersuchungen kann der Leser gleichzeitig etwas über die beiden jeweiligen Genres lernen. Die Wahrheit aber liegt wahrscheinlich in dem „Genre-Hybrid“ von dem Sofia Glasl schreibt, was eine schöne Erweiterung zu den Thesen im ebenfalls bei Bertz + Fischer erschienenen Buch „Actionkino“ (Besprechung hier) darstellt.

Hatten die einzelnen Essays „Der weiße Hai“ bis dahin in einen filmischen Kontext eingeordnet, der gleichberechtigt zum Film vorgestellt wird, konzentrieren sich die folgenden Kapitel ganz auf den Film selber und versuchen in ihm Texturen zu finden, die verschiedenen wissenschaftlicher Theorien zugeordnet werden. Dies ist zwar grundsätzlich eine sehr spannende Herangehensweise, ermüdet aber in solch geballter Form recht schnell. Folgt man den ersten Interpretationen noch gebannt, so langweilt es irgendwann, wenn man die gleiche Szene nun schon zum dritten Mal beschrieben bekommt – auch wenn sie nun mit einer völlig anderen Bedeutung aufgeladen wird. An dieser Stelle empfiehlt es sich, das Buch nicht in einen Rutsch zu lesen. Diesen sechs Essays sollte man besser in einem gewissen zeitlichen Abstand einräumen, um nicht mittendrin das Interesse zu verlieren und die durchweg spannenden Interpretationen nur noch gelangweilt zu überfliegen.

Stefan Jung untersucht den Gegensatz von suburbanen und exurbanen Raum in „Der weiße Hai“ und dem Gesamtwerk Spielbergs. Willem Strank schreibt über die Ikonodramatugie der Annäherung, während Eckhard Pabst ausführt, wie Spielberg in „Der weiße Hai“ Grenzen inszeniert und was diese für den Film und seine Wirkung bedeuten. Der fünfte Teil des Buches beleuchtet den Film dann von psychologischen und soziologischen Aspekten her. Elisabeth Bronfen liest „Der weiße Hai“ im Zeichen des Todestriebes, Jan D. Kucharzewski wiederum arbeitet die Darstellung von Männlichkeit und Homosozialität heraus. Am Faszinierendsten ist aber Dorothe Mallis Essay „Das jüngste Gericht in JAWS“ welches religiöse Wurzeln im Film findet, die zwar manchmal etwas sehr weit hergeholt wirken, aber durchaus schlüssig und sehr spannend sind.

Die folgenden Teile des Buches sind demgegenüber dann wieder sehr geerdet und greifbarer. Vor allem lösen sie sich vom Film und erklären mehr das reale Umfeld, welches er geschaffen hat. Tabea Weber beschreibt die Darstellung des Haies im Film und wie diese unsere Wahrnehmung des Tieres beeinflusst. Konstanze Hiemkes kurzer Text über das Haifischgebiss ist zwar interessant, wirkt aber wie ein Lückenfüller. Lars Koch schreibt darüber wie „Der weiße Hai“ und andere Filme aus einer Furcht vor dem Hai eine tieferliegende Angst geschürt haben.

Die Sequels zu „Der weiße Hai“ kommen in diesem Buch vielleicht etwas zu kurz, werden aber von Kathleen Loock in ihrem Text „Zwischen Jawsmania und Sequelitis“ aufgegriffen, indem sie auch auf die Geschichte der Fortsetzungsfilme generell eingeht. In einem sehr wichtigen Text erklärt Christian Wild, was eigentlich wirklich dran ist, an der Legende von Hai als angsteinflößenden Menschenfresser. Den passenden Abschluss findet das Buch dann durch Csaba Lázár, der sich nicht nur der unmittelbar auf „Der weiße Hai“ folgenden Nachahmungswelle annimmt, sondern auch den Bogen zur gerade schwer angesagten „Sharkploitaion“-Welle schlägt.

Insgesamt lässt das Buch „DER WEISSE HAI revisited“ kaum noch Fragen zum Film offen. Der Film wird von vielen ganz unterschiedlichen Seiten beleuchtet, interpretiert und in einen Kontext gesetzt. Diese Konzentration auf die immer gleichen 124 Minuten Film kann allerdings auch mal zu Ermüdungserscheinungen führen, weshalb man gerade den Mittelteil besser häppchenweise genießen sollte.

Wieland Schwanebeck  (Hrsg.) „DER WEISSE HAI revisited – Steven Spielbergs JAWS und die Geburt eines amerikanischen Albtraums“, Bertz+Fischer, 276 Seiten, € 19,90

Dieser Beitrag wurde unter Bücher, Film abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.