DVD-Rezension: „Die Stimme des Mondes“

stimmedesmondesIvo Salvini (Roberto Benigni) ist gerade aus der Nervenheilanstalt entlassen worden, weil er nachts Brunnen aufsucht, aus denen Stimmen zu ihm sprechen. Außerdem kann er die Stimme des Mondes hören. Gonella (Paolo Villagio), ein ehemaliger Präfekt, der unter Verfolgungswahn leidet und glaut einer Verschwörung auf der Spur zu sein. Eines Tages kreuzen sich die Wege der Beiden…

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1990 drehte Frederico Fellini nach fast 50 Jahren im Filmgeschäft seinen letzten Spielfilm. 1993 verstarb der große Meister des italienischen Films, dem wir u.a. den Ausdruck „Paparazzi“ und „fellini-esque“ verdanken. „Die Stimme des Mondes“ ist sein Abschiedsgeschenk, in dem er noch einmal viele Themen aufgriff, die ihn vor allem ab den 60er Jahren beschäftigten. Die Macht der Träume und der Fantasie, die Erinnerung an die Kindheit und auch die Kritik an der Institution Kirche. Dabei spaltet sich Fellinis Persönlichkeit in zwei Figuren auf. Mit dem berühmten roten Schal stattet er den Komiker Roberto Benigni aus, der hier den nachdenklichen, leicht melancholischen Träumer gibt. Seinen zum Markenzeichen gewordenen Hut setzt er einem anderen italienischen Komiker auf den Kopf. Paolo Villaggio spielt einen ehemaligen Richter, der sich über die herrschenden Zustände echauffiert und unter latenter Paranoia leidet. Natürlich finden die beiden Facetten des fellinischen Charakters irgendwann zusammen. Obwohl beide nicht wirklich in unsere Welt gehören – der von Benigni gespielte Ivo Salvini wurde gerade aus der Nervenheilanstalt entlassen, der Verfolgungswahn von Villaggios Gonnella ist schon sehr verhaltensauffällig – erscheinen sie in einer verrückt und laut gewordenen Welt fast schon wie die einzigen Normalen.

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Fellini bricht seinen Film stilistisch in zwei Teile. Die Nacht, die ganz dem Mond gehört, inszeniert er in extrem artifiziellen Kulissen, die nicht verleugnenden können, statt in freier Landschaft, im Studio zu stehen. So ließ Fellini beispielsweise ein gesamtes Kornfeld Halm für Halm in einer großen Halle nachbauen. Laut einem Interview, dass „The Guardian“ mit der Autorin, Feministin und Fellini-vertrauten Germain Greer führte (1) tat er dies aus zwei Gründen. Zunächst, weil er der Überzeugung war, dass das künstliche Kornfeld vor der Kamera „echter“ aussehen würde als ein tatsächliches. Aber vor allem konnte der dadurch helfen, die zahlreichen Handwerker in Cinecittà in Brot und Lohn zu halten.

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In der Nacht passieren auch die merkwürdigsten und im wahrsten Sinne „traumhaften“ Dinge. Sei es, dass ein Mann in einer Urnenwand lebt und von einer verwunschenen Trompete spricht, Salvini die Erinnerungen an seine Tante und tausenden von roten Äpfeln überrollen oder drallen Afrikanerinnen in einem italienischen Wäldchen Tänze aufführen. Die Tagszenen sind dem gegenüber deutlich realistischer ausgestattet und offenbar an Originalschauplätzen gedreht. Zumindest machen sie diesen Eindruck, denn im englischsprachigen Wikipedia nachzulesen ist, liess Fellini das Städtchen mit seinem Marktplatz zusammen mit seinem genialen Set-Designer Dante Ferretti in der Nähe von Cinecittà errichten. Hier fehlt die Magie der Nacht, aber es kommt nichts desto trotz zu surreal-grotesken Szenen, die allerdings weniger traumartig, als vielmehr chaotisch-grotesk wirken. Beispielsweise, wenn eine japanische Reisegruppen durch das Städtchen getrieben wird, überall hektischer Trubel herrscht und gleichzeitig mit riesigen Maschinen der ganze Marktplatz umgegraben wird.

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Beim Stolpern, Schlendern, Rennen und Schleichen durch Felllinis Welt folgen die Figuren keiner eigentlichen Handlung. Immer wieder werden kleine Geschichten eingeflochten, wie die vom schüchternen Mann, der sich in eine Frisörin verliebt und nach der Heirat feststellen muss, dass sie ein sexueller Orkan ist, dem er kaum standzuhalten vermag. Oder von den Männern, die den Mond einfangen und in ihrer Scheune einsperren. Salvini verliebt sich in eine Frau, die rein gar nichts von ihm wissen will. Dies ist einer der wenigen, wenn auch nicht konsequent verfolgten, Fäden der Geschichte. Es gibt Echos früherer Filme, wie „Amacord“ oder „Stadt der Frauen“ und immer wieder findet die Figur des Salvini zu einer Altersweisheit, die gar nicht zu dem jungen Benigni passen möchte. Aber gerade an diesen Stellen wird klar, wie ernst es Fellini mit der „Fellini-Verkleidung“ seiner beiden Hauptfiguren meint. Er spricht durch sie, als ahne er den nahenden Tod und möchte noch einmal die Welt an seinen Ansichten, Erfahrungen und Erinnerungen teilhaben lassen. An einer Stelle ruft Salvini dann auch, er hätte nur noch wenig Zeit. Fellini hat diesen Film offenbar als sein Vermächtnis begriffen.

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Und gerade darum packt er alles, was er noch zeigen und sagen will in „Die Stimme des Mondes“. Dadurch wirkt der Film oftmals überladen und chaotisch. Insbesondere während der großen Schlussszene, die an das Finale von Filmen wie „8 1/2“ und auch wieder einmal an „Amacord“ erinnert. Die geistige, politische und intellektuelle „Elite“ schwadroniert dort in hohlen Phrasen. Plötzlich zieht jemand einen Revolver, und die wichtigen Leute haben nichts Eiligeres zu tun, als panisch vom Ort des Geschehens zu flüchten. Doch „Die Stimme des Mondes“ ist weniger erzählender Film als vielmehr ein von Fellini gebautes Haus, in dem man mal in die eine, mal in die andere Ecke schauen kann und in dem es in jedem Zimmer etwas Neues zu entdecken gibt oder einen ein alter Bekannter begrüßt. Das muss einem nicht alles gleich gut gefallen, manches mag einen langweilen, anderes wiederum albern erscheinen – aber trotzdem ist es spannend, sich in Fellinis Haus aufzuhalten und sich davon überraschen zu lassen, was sich hinter der windschiefen Haustür so alles verbirgt. Dafür sollte man sich allerdings Zeit lassen, denn wir Salvini am Ende sagt, dass alle ein wenig ruhiger sein sollten, um dann vielleicht etwas zu verstehen.

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Federico Fellinis letzter Film erzählt keine Handlung, sondern webt assoziativ einzelne Episoden aneinander und gibt Fellini die Gelegenheit, durch seine beiden Hauptfiguren ein letztes Mal seine Sicht auf die Welt darzulegen.

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Die DVD ist innerhalb von Koch Medias „Masterpieces of Cinema“-Reihe erstmals digital erschienen. Das Bild ist gut, der Ton liegt auf Italienisch und Deutsch vor. Leider mangelt es mal wieder an den Extras. Außer einer Bildgalerie ist hier nichts zu finden. Laut anderer Quellen, soll die DVD auch ein Booklet enthalten, indem ein älteres Essay von Georg Seeßlen zu lesen ist. Mir liegt das Booklet nicht vor, aber bei dem Text dürfte es sich um diesen hier handeln.

(1) http://www.theguardian.com/culture/2010/apr/11/germaine-greer-federico-fellini

 

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