Eine flämische Pfadfinder-Gruppe macht einen Ausflug in die gewaltigen Wälder des französisch-sprechenden Teil des Landes. Zu der Gruppe gehört auch der 12-jährige Sam (Maurice Luijten), der insbesondere vom Gruppen-Leiter Peter (Stef Aerts) immer wieder schikaniert wird. Als die geplante Campingstelle von zwei streitsüchtigen Proleten besitzt ist, schlägt sich die Gruppe tiefer in den Wald. Am Abend gruseln die beiden Leiter Kris (Titus De Voogdt) und Peter die Jungen mit Geschichten um einen mörderischen Waldjungen namens Kai, der hier hausen soll. Doch der sensible Sam erkennt bald, dass an dieser Mär weit mehr dran ist, als die Erwachsenen glauben…
Der Belgier Jonas Govaerts hat für seinen Debütfilm „Camp Evil“ einige ungewöhnliche Wege beschritten. So ließ er einen Teil der Produktion seines eleganten Filmes durch Crowd-Funding unterstützen. Hierbei konnten die Zuschauer ihr Scherflein zu den ausgesprochen kreativen Mordmaschinen beitragen, die Govaerts für seinen Slasher entwarf. Möglicherweise stellte er sich dabei aber selbst ein Bein, denn nun mussten die zum Teil gewaltigen Apparate auch in die Geschichte eingebunden werden. Und es steht zu vermuten, dass Govaerts mittlerweile auch gerne eine andere Geschichte erzählt hätte. Oder viele andere Geschichte, denn leider wirkt sein Drehbuch in der finalen Version hoffnungslos überladen und strebt immerzu in unterschiedliche Richtungen, die am Ende kein stimmiges Ganzes mehr ergeben. Dies ist sehr schade, denn zumindest auf der visuellen Ebene zeigt Jonas Govaerts‘ großes Talent. Seine Film erinnert im positiven Sinne an die düsteren Slasher und Horrorthriller, die bis Mitte der 80er das Licht schummriger Kinosäle erblickte. Besonders John Carpenter kommt einen hier und dort in den Sinn, sieht man die Art und Weise, in welcher Govaerts das Breitwandformat und Vorder- und Hintergründe nutzt. Unterstützt wird diese nahezu fehlerlose Präsentation durch einen effektiven Soundtrack, der von einem alten Bekannten stammt. Steve Moore ist ein amerikanischer Musiker aus Pittsburgh, der unter anderem in dem grandiose „Space Rock“-Duo „Zombi“ für Bass und Synthesizer zuständig ist. „Zombi“ haben sich unter anderem vom Soundtrack italienischer Horrorfilmen der 70er und 80er inspiriert fühlt. Moores schrieb auch den sehr stimmigen Soundtrack zu dem tollen „The Guest“, der ebenfalls vor Kurzem veröffentlicht wurde (Kritik hier).
Doch all dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Govaerts‘ Film auf der inhaltlichen Seite stark schwächelt. Govaerts springt von Thema zu Thema, möchte hier mal dies, dort mal jenes abdecken. Dabei verzettelt er sich allerdings gewaltig und sorgt für Frustration. Mit seinem jungen Protagonisten Sam, der von Maurice Luijten gespielt wird, hat er eine spannende Figur zur Hand, wie man sie ihn ähnlichen Filmen zwar schon oft gesehen hat, der man aber gerne bei ihrem Coming-of-Age-Prozess zusehen würde. Dass Maurice Luijten stark an den sehr jungen River Phoenix erinnert, was einen sofort an „Stand By Me“ erinnert. Dass darüber hinaus werden aber auch Assoziationen an „The Goonies“ geweckt. Doch wer nun auf ein spannendes Jungen-Abenteuer hofft liegt gänzlich falsch. Jonas Govaerts hat mit seiner Figur Sam ganz andere Dinge vor, und legt dabei leider viel zu viel auf dessen schmale Schultern.
Nach einem hübschen Prolog, der einen zünftigen Slasher verspricht, befindet man sich erst einmal auf Kinder-Abenteuer-Terrain. Wobei den jungen Pfadfindern nicht viel Charakter zugestanden wird. Aus dem Wust der Figuren ragen nur Sam und sein bester Freund Dries hervor. Letzterer hat aber keine größere Aufgabe, als gelegentlicher Stichwortgeber für Sam zu fungieren. Demgegenüber stehen dann noch zwei Klischee-Arschlöcher. Der sportliche Junge, welcher zum Anführer der Truppe bestimmt wurde und dafür allerdings keinerlei Qualifikation mitbringt, außer der Liebling des gleichfalls unsympathischen Camp-Leiters Peter zu sein. Diesem wird noch ein – natürlich verfetteter -Sidekick zur Seite gestellt, dessen IQ entgegengesetzt zu seiner Leibesfülle steht. Darüber hinaus lernt man keinen der Jungen kennen. Schaut man genau hin, erkennt man, dass sich in dieser Jungstruppe auch ein Mädchen verirrt hat. Doch weder wird dies thematisiert, noch erhält diese Figur ein Gesicht. Ebenso stereotyp wie die Kinder, fallen auch die Erwachsenen aus. Während der Chef der Gruppe, Chris, zumindest noch halbwegs kompetent erscheint, so ist sein Partner Peter ein solch sadistischer Idiot, dass man sich ernsthaft fragt, wie dieser menschliche Totalausfall jemals einen Job bekam, in dem er für das Wohl und Wehe von Kindern verantwortlich ist. Die junge Köchin wird zunächst als starker, selbstbewusster Charakter eingeführt, nur um sich bald schon ausgerechnet Peter an den Hals zu werfen, und dessen hirnlose Aktionen ohne großen Widerspruch durchgehen zu lassen.
Bald schon beginnt Jonas Govaerts Genres und Vorbilder zu vermischen. Aus dem Pfadfinder-Abenteuer wird ein Slasher, der sich aus Elementen speist, die man aus Filmen wie „Freitag, der 13.“, dem „The Hills Have Eyes“-Remake oder immer wieder auch „High Tension“ kennt. Die Verbindung zwischen Sam und dem geheimnisvollen Waldjungen mit der Holzmaske wird dabei recht offensichtlich als zwei Seiten der selben Medaille gespielt. Daraus hätte man aber viel machen können. Doch Govaerts zog es vor, seiner Hauptfigur lieber immer wieder neue Probleme anzudichten. Irgendwann tauchen dann Geschichten von einer geheimnisvollen Familie auf und am Ende wird Sam sogar noch Autismus untergejubelt. Letzteres eröffnet allerdings interessante neue Blickwinkel auf die Geschichte. Ist es möglich, dass die Geschehnisse ausschließlich aus Sams isolierten Blickwinkel gezeigt werden? Dass vieles nur in seinem Kopf passiert und dadurch die Realität – also der Blickwinkel des Zuschauers – nur verzerrt und subjektiv aus einer gestörten Wahrnehmung heraus wiedergeben wird? Vieles scheint darauf hinzudeuten und doch gleichzeitig wird dieser Ansatz auch immer wieder dadurch erstickt, dass Dinge geschehen, die bei dieser Prämisse nicht passieren dürften. Letztendlich scheint Govaerts an so etwas wie einer innere Logik seiner Geschichte, auch nicht wirklich interessiert zu sein. Vielmehr fühlt es sich so an, als ob er mit seiner Hauptfigur irgendwann nicht viel anzufangen wusste, weshalb sich der Film mal hierhin und mal dorthin biegt, und so letztendlich immer wieder selber ein Bein stellt.
Bleiben das Horrorelement. Man kann Jonas Govaerts bei seinem Regiedebüt sicherlich vieles vorwerfen, aber nicht, dass er nichts vom Erschaffen eindrucksvoller Bilder verstehen würde. Hier findet er immer wieder großartige Einstellungen, welche die Macht des Waldes, aber auch das unangenehme Gefühl der permanenten Bedrohung betonen. Das Versteck des unheimlichen Killers, das merkwürdige Nest hoch im Baum und die ausgestorbene Fabrikstadt (ein wunderbarer Schauplatz, aus dem leider überhaupt nichts gemacht wird) zeugen von viel optisches Gespür und besitzen großes Gänsehaut-Potential. Zusammen mit den eingangs erwähnten, kreativen Mordwerkzeugen – die allerdings immer viel zu kurz auftauchen – und der großartigen Musik, macht Govaerts sehr viel richtig. Umso mehr verärgert es, wenn einem dann nach dem Abspann immer mehr bewusst wird, wie viel Potential für einen wirklich guten Horrorfilm – oder auch gerne Psycho-Thriller – hier liegengelassen wurde, weil der Regisseur keine klare Vorstellung davon hatte, welche Geschichte er eigentlich erzählen wollte. Ist man aber noch mitten im Film, verzeiht man ihm aufgrund der positiven Aspekte sehr viel mehr, als man es noch tut, wenn die Spannung beim Abspann langsam nachlässt.
Mit „Camp Evil“ ist dem Belgier Jonas Govaerts ein optisch durchaus gelungenes Spielfilm-Debüt gelungen, welches allerdings auf der Drehbuchseite mehr frustriert, da das durchaus vorhandenen Potenzial für eine interessante und aufwühlende Geschichte einfach zugunsten ausgelutscher Genre-Elemente links liegen gelassen wird.
Die Splendid-DVD glänzt mit einem sehr guten Bild, bei dem man selbst in den zahlreichen Nachtszenen gut erkennen kann, was vor sich geht und bei Tage die Pracht der Wälder zum Vorschein kommen. Die deutsche Synchronisation ist solides Mittelmaß, aber man sollte schon zur Originaltonspur greifen, da hier auch auf den Konflikt zwischen niederländisch sprechenden Flamen und den französischsprachigen Wallonen eingegangen wird. Extras gibt es leider keine.