DVD-Rezension: „Escape From Tomorrow“

escapefromtomorrowGerade als Jim (Roy Abramsohn) mit seiner Familie in der „Disneyworld“ in Orlando zu Besuch ist, erfährt er am Telefon, dass er von seinem Chef gefeuert wurde. Jim versucht sich nichts anmerken zu lassen und mit Frau, Tochter und Sohn einen schönen Tag in einem der weltgrößten Vergnügungsparks zu verbringen. Doch bald schon wird er auf zunächst kleine Merkwürdigkeiten aufmerksam: Die Gesichter einiger Besucher sieht er plötzlich verzehrt, sein Sohn erscheint ihm fremd und feindselig und der ganze Park bedrohlich. Zudem laufen ihm immer wieder zwei blutjunge Französinnen über den Weg, die mit ihm zu Flirten scheinen. Bald kann Jim nicht mehr zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden.

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Keine Besprechung des Filmes „Escape From Tomorrow“ kommt umhin, zunächst einmal von den außergewöhnlichen Umständen zu berichten, unter denen der Film entstand. Und auch diese Rezension macht da keine Ausnahme, da diese für die Rezeption dieses surrealen Psycho-Trips nicht ganz unwichtig sind. Regisseur Randy Moore hatte sich in den Kopf gesetzt, den Film in „Disneyworld“ zu drehen. Nun ist es aber unmöglich in „Disneyworld“ Filmaufnahmen zu machen – ganz besonders für einen Spielfilm, der den Vergnügungspark nicht unbedingt von seiner fröhlichsten Seite zeigt. Für Moore war das authentische Flair aber so wichtig, und dass er beschloss, den Film trotzdem mit seinen Schauspielern vor Ort zu drehen – unter den Augen des disney’schen Wachpersonals. Und tatsächlich gelang es Randy Moore seinen Film im Guerilla-Stil zu vollenden. Wer sich „Escape From Tomorrow“ deshalb als wilden Handkamera-Wackelfilm vorstellt, der könnte falscher gar nicht liegen. „Escape From Tomorrow“ besticht durch elegante, beunruhigend schöne schwarz-weiß-Bilder, die nach einem sehr viel höheren technischen Aufwand aussehen, als heimliche Aufnahmen mit einer kleinen Digitalkamera im Grunde zulassen.

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„Escape From Tomorrow“ wird gemeinhin als Horrorfilm vermarktet, und das Filmplakat lässt einen einen blutigen Slasher erwarten. Doch damit hat Regisseur und Drehbuchautor Randy Moore nichts im Sinn. Er zeigt vielmehr das albtraumhafte Psychogramm eines Mannes in der Midlife-Crisis, der mit seinem aktuellen Lebensentwurf nicht mehr zufrieden ist. Der einen Ausweg aus seinem tristen Leben sucht, und sich weigert einzugestehen, dass er sich schon seit Längerem auf der Verliererstraße befindet. Symbolisiert werden seinen Hoffnungen auf ein anderes, interessanteres Leben durch zwei blutjunge Französinnen, die ihn wie das weiße Kaninchen in „Alice im Wunderland“, immer tiefer in einen Kaninchenbau ziehen, der da auf Namen wie burn-out, Depression und Zusammenbruch hört. Dies wird aber vom Film niemals direkt formuliert, sondern ist allein aus den verstörenden Bildern zu erahnen. Diese gemahnen dann natürlich erst einmal an David Lynch, aber in ihrer seltsamen Künstlichkeit auch an den anderen großen, surrealen Seelenforscher, Guy Maddin. Gerade Hauptdarsteller Roy Abramsohn, der an eine verfettete trailer-park Version von Tom Cruise erinnert, passt da aufgrund eines expressionistischen Spiels gut ins Bild.

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„Escape From Tomorrow“ strotzt von merkwürdigen Einfällen, die sich im Verlauf des Filmes immer mehr steigern. Sind es am Anfang noch die leicht verzehrte Wahrnehmung des Protagonisten, der in harmlosen Figuren plötzlich böse Fratzen zu erkennen glaubt, so nimmt der Wahnsinn bald immer mehr Fahrt auf und kumuliert in der zweiten Hälfte in einem kaum noch nachvollziehbaren Plot um Manipulationsmaschinen, sinisteren Wissenschaftlern und unheimlichen Robotern. Von hysterischen Hexen ganz zu schweigen. Dieses sich permanent steigernde Albtraumszenario wäre in dieser extremen Form im Grunde gar nicht nötig gewesen. Tatsächlich wirkt das im letzten Viertel entfesselte Inferno etwas zu selbstzweckhaft und gewollt, da sich Randy Moore obendrein entschließt, seine Geschichte mit immer kryptischer werdenden Bildern und verschlungener Wendungen aufzuladen.

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Viele Kritiker des Films haben dem Film vorgeworfen, seine besondere Entstehungsgeschichte als reines Gimmick abzutun und werfen dem Regisseur vor, ganz bewusst eine Konfrontation mit dem bekanntermaßen recht prozesswütigen Disney-Konzern provoziert zu haben, um dadurch möglichst viel Publicity zu bekommen. Dabei ist der Schauplatz in der Tat essentiell für das Funktionieren der Geschichte. Denn bereits die bloße Tatsache, dass der Film der kunterbunten Disney-Unterhaltungswelt mit seinem Gute-Laune-Terror die Farbe entzieht, wirkt ausgesprochen verstörend. Durch diesen merkwürdig beunruhigenden Effekt, wirkt der berühmte Vergnügungspark tatsächlich wie ein Fegefeuer der falschen Fröhlichkeit. Gerade in den kleinen, „falschen“ Details – wie zum Beispiel der Szene, in der unser Protagonist entdeckt, dass sich die Disney-Prinzessinnen für japanische Geschäftsleute prostituieren – sind es, die für ein ungutes, irreales Gefühl sorgen. Der Disney-Konzern war allerdings clever genug, nicht auf „Escape From Tomorrow“ zu reagieren, und so erlangte der Film auch nicht die anarchistische Berühmtheit, die sich Randy Moore sicherlich erhofft hatte.

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Unter abenteuerlichen Umständen gelang Regisseur und Drehbuchautor Randy Moore ein kleiner, aber feiner surrealer Horrortrip in die Psyche eines Mannes kurz vor dem psychischen Zusammenbruch. Dabei sabotiert Moore seine beunruhigenden, an Guy Maddin erinnernde Bilder im letzten Drittel etwas, indem er seinen Film mit allerlei kryptischen Windungen überlädt.

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Wie oben bereits angedeutet, sollte man aufgrund der abenteuerlichen Drehbedingungen ein nicht ganz optimales Bild erwarten. Doch die Koch Media DVD besticht mit einem brillanten Schwarz-Weiß-Bild, das gestochen scharf und sehr gut in den Kontrasten ist. Auch der Ton weißt keinen Makel auf. Was zumindest für den Originalton gilt. Die deutsche Synchronfassung ist leider kein besonderes Highlight, sondern gerade noch so akzeptabel. An Extras wurden noch zwei Audiokommentare mit auf die DVD gepackt. Einmal mit Regisseur/Drehbuchautor Randy Moore und seinem Kameramann Lucas Lee Graham und dann mit Hauptdarstellern Roy Abramsohn und Elena Schuber, die so tun als wären sie noch immer ihre Figuren aus dem Film. Ferner gibt es noch eine sehr informative 15-minütige Dokumentation über die Entstehung des Filmes.

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