DVD-Rezension: „Coherence“

coherenceVier Paare treffen sich in einem etwas abgelegenen Haus zu einer gemeinsamen Dinner-Party. Nach anfänglichem, oberflächlichem Small-Talk, setzt man sich zum gemeinsamen Abendessen zusammen. Dabei kommt das Gespräch auf einen Kometen, der an eben jenem  Abend nah an der Erde vorbeifliegen soll und bereits in der Vergangenheit angeblich für merkwürdige Phänomene gesorgt hat. Auch an diesem Abend geschehen einige unerklärliche Dinge. Zunächst gehen die Handys kaputt, dann kommt es zu einem Stromausfall in der ganzen Gegend, von dem scheinbar nur ein Haus in der Nachbarschaft verschont wurde. Zwei  der Freunde machen sich auf den Weg, um in dem Haus, um von dort aus zu telefonieren. Als sie wenig später wieder zurückkehren, berichten sie ihren Freunden von einer höchst beunruhigenden Entdeckung…

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Es gibt immer wieder Filme, denen man am Besten ganz unvorbereitet begegnet. Über „Coherence“ wusste ich nur, dass es sich um einen Low-Budget-Science-Fiction-Streifen handeln sollte und der Film mit guten Kritiken förmlich überschüttet wurde. Den Ausschlag aber „Coherence“ in den DVD-Player zu werfen, war es, dass er von dem vorbildlichen Label „Bildstörung“ vertrieben wurde. Da „Bildstörung“ bisher ein hervorragendes Händchen bei der Filmauswahl bewiesen hat, kann man ruhig einmal blind zugreifen, wenn eine neue Scheibe auf den Markt kommt – auch wenn man den Film bis dahin gar nicht kennt. Und es hat sich auch wieder gelohnt, denn „Coherence“ ist bisher die beste Heimkino-Veröffentlichung, die mir in diesem Jahr untergekommen ist. Ein sehr dichtes Mysterium mit starker philosophischer Grundierung und dabei auch noch ausgesprochenen spannend.

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Entwickelt wurde „Coherence“ von dem Drehbuch-Autoren James Ward Byrkit, der hier sein Regie-Debüt abliefert. Entstanden für ein sehr schmales Budget und unter primitivsten Bedingungen, dreht Byrkit den Spieß um und erschafft gerade aus den Limitationen der Produktion ein packendes Stück Film, welches einmal mehr beweist, dass es im Kino nicht auf große Effekte, sondern vor allem Originalität und Imagination ankommt. Zwar greift Byrkit auf altbekannte Tricks zurück und lässt durch eine ständig herumwirbelnde, hin -und her gerissene Kamera eine Pseudonähe entstehen, wie sie auch die großen und kleinen Bockbuster mittlerweile inflationär nutzen. Aber der nervöse Pseudo-Doku/Heimfilmer-Look passt sich gut in die Geschichte ein und unterstützt die auf das nötigste reduzierte Handlung. Und er lässt eine durchaus intime Nähe zu den Figuren entstehen. Dass diese so lebendig wirken, liegt nicht nur an den hervorragenden Darstellern, sondern auch an der Herangehensweise. James Ward Byrkit, gab seinen Schauspielern kein Drehbuch zu lesen, sondern nur kurze Anweisungen, welche nur sie kannten. Das dadurch entstandene, improvisierte Spiel geht auf. Die Charaktere wirken wie Wesen aus Fleisch und Blut und sind mit ihren Fehlern, menschlichen Unzulänglichkeiten und ihrem Egoismus jederzeit greifbar und ihre Handlunge nachvollziehbar. Schnell hat man sich zurechtgefunden und die handelnden Personen kennengelernt. Die Ballerina, die immer noch deprimiert ist, weil sie in ihre Karriereplanung einmal aus Hochmut die falsche Entscheidung traf. Ihr Freund, der sich nicht sicher ist, wie er zu ihr steht und in wie weit er bereit wäre, seine Karriere ihren Bedürfnissen unterzuordnen. So wie sie sich nicht sicher ist, ob sie ihn bei seinen Plänen unterstützen würde. Dann gibt es noch die esoterische Gastgeberin, den alkoholkranken Schauspieler, dessen kurzer Moment des Ruhm scheinbar unbemerkt vergangen ist. Die Ex-Freundin, die sich als Gift für die freundschaftliche Atmosphäre herausstellt. Sie alle leben ihre Lebensentwürfe, trauern aber verpassten Gelegenheiten und vermeintlich falschen Abzweigungen in ihrem Leben nach.

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Und gerade mit diesen „falschen“ Wegen werden sie alle sehr direkt konfrontiert. Das einzige echte Science-Fiction-Element ist in „Coherence“ ein Komet, der nahe an der Erde vorbei zieht und für merkwürdige Phänomene sorgt. Diese sickern erst sehr langsam, fast schon beiläufig in die Handlung ein. Doch Stück für Stück eskaliert die Situation. Jedes Puzzleteil für die Lösung des Rätsels führt nur zu neuen Entwicklungen, die sich scheinbar nicht aufhalten lassen. Wer sich die Spannung an der Auflösung nicht nehmen lassen möchte, sollte nun direkt zum Fazit dieser Besprechung springen. Alle anderen können hier nun weiterlesen. Gleich zu Beginn von „Coherence“ erwähnt die von Emily Foxler gespielte Em den Film „Sliding Doors“ und wie unheimlich sie es fand, als dort eine kleine Entscheidung massiven Einfluss auf das Leben der Filmfiguren hatte. Mit diesem Horror werden sie und ihre Freunde im Verlauf des Filmes dann um ein vielfaches potenziert konfrontiert. Lebe ich mein echtes Leben? Oder bin ich in einem falschen Leben stecken geblieben? Bin ich überhaupt ich oder leben ich nur die schlechtere Variation von etwas, was mir eigentlich zugestanden hätte? Ist das mein Leben? Und wenn ja: Bin ich damit zufrieden? Am Beispiel der Em wird dieses Dilemma durchgespielt. Wenn sie am Ende von Fenster zu Fenster hetzt, auf der Suche nach einem „richtigen“ Leben, dann konfrontiert dies auch den Zuschauer mit der Frage: Was-wäre-wenn? Kann ich mit dieser Frage leben und akzeptieren, was ich geworden bin? Oder bleibt ein Leben lang diese Unsicherheit, dass alles doch eigentlich ganz anders sein müsste. Denkt man zu lange darüber nach, kann einen dies durchaus in den Wahnsinn treiben.

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Doch auch jenseits seines philosophischen Horrors funktioniert der Film als unheimliches Konstrukt, welches den Zuschauer nach dem anfänglichen Smalltalk schnell in den Griff bekommt und über die restliche Laufzeit nicht mehr loslässt. James Ward Byrkit versteht es glänzend seine Mystery-Bausteine übereinander zu stapeln und dadurch ein solides Gebäude zu errichten, indem man sich zunehmend unwohler fühlt. Geheimnisvolle Botschaften, merkwürdige Zwischenfällen und unheimlichen Gestalten. Hier geht die Taktik den Schauspielern nur die allernötigste Informationen zu geben und sie ständig in Unsicherheit über den Fortlauf der Geschichte und dem was als nächstes passiert voll auf. Denn die Nervosität und Überraschung der Darsteller greift auch auf den Zuschauer über. Hätte Byrkit vielleicht mehr Zeit und Geld gehabt, um seinen Film abzudrehen, hätte dieser vielleicht gar nicht die Sogwirkung entwickeln können, die er nun hat. Vielleicht ein Weckruf für hiesige Filmemacher, die sich immer laut darüber beschweren, dass ihnen für ihre Genre-Projekte kein Geld aus Fördermitteln zur Verfügung gestellt wird. Einfach mal gucken, welche Mittel da sind und dann kreativ damit umgehen. James Ward Byrkit hat es vorgemacht.

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Drehbuchautor James Ward Byrkit ist mit seinem Low-Budget-Regiedebüt ein ungewöhnlicher Science-Fiction-Mystery-Film gelungen, der sowohl als spannende Unterhaltung, als auch auf der philosophischen Ebene funktioniert. Wobei die Fragen, die letztere stellt, vielleicht sogar furchteinflößender sind, als die seltsamen Phänomen, denen sich die Hauptfiguren stellen müssen.

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Wie bei Bildstörung gewohnt, erfährt der Film hier wieder eine vorbildliche Präsentation. Bild und Ton sind so gut, wie es unter den Low-Budget-Produktionsbedingungen nur sein kann. Interessanterweise hat sich  Bildstörung bei dieser Veröffentlichung dazu entscheiden, den Film in zwei Fassungen zu veröffentlichen. Einmal als „normale“ DVD ohne nennenswerte Extras. Und dann als „Drop Out 024“ in einer limitierten Special Edition. Diese enthält einen  Audiokommentar mit Regisseur James Ward Byrkit, Hauptdarstellerin Emily Foxler und Co-Autor/Darsteller Alex Manugian, sowie ein 10-minütiges und in der Kürze auch sehr informatives „Behind the Scenes“, in dem die Entstehung des Filmes diskutiert wird. Ferner gibt es noch 4 Minuten Testaufnahmen, die ein Jahr vor den eigentlichen Dreharbeiten entstanden, einmal mit und einmal ohne Kommentar des Regisseurs. Weiterhin kann man noch jeweils 5-minütige Interviews mit den Darstellern Emily Foxler, Hugo Armstrong, und Lorene Scafaria anschauen. Das Booklet enthält die Regieanweisungen, die Regisseur James Ward Byrkit seinen Schauspielern gab. Und als Sahnehaube wurde noch eine Soundtrack-CD mit fast einer Stunde Musik von Kristin Øhrn Dyrud beigelegt.

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