DVD-Rezension: “Among the Living”

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An ihrem letzten Schultag vor den Ferien werden Victor (Théo Fernandez), Dan (Damien Ferdel) und Tom (Zacharie Chasseriaud) von ihrer strengen Lehrerin zum Nachsitzen verdonnert. Doch statt ihre Strafe abzusitzen, nehmen sie Reißaus und vertreiben sich die Zeit in der Natur. Dabei geraten sie auf das verlassene Filmgelände der Blackwoods Studios. Als sie dort zufällig eine brutal zugerichtete Frau im Kofferraum eines Autos finden und von einer vermummten Gestalt verfolgt werden, können sie knapp vom Filmgelände entkommen. Während die Polizei ihnen ihre abenteuerliche Geschichte nicht glaubt, macht sich der Unheimliche auf, die drei Kinder aus den Weg zu räumen…

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Spricht man über die Regisseure von „Among the Living“, Alexandre Bustillo und Julien Maury, kommt man nicht umhin, ihren Erstling zu erwähnen. 2007 gelang ihnen mit „Inside“ ein aufsehenerregendes Debüt, welches zusammen mit Filmen wie „High Tension“ von Alexandre Aja und „Martyrs“ von Pascal Laugier zu den Speerspitzen eines neuen, harten Welle des französischen Splatterfilms wurde. Kein Wunder also, dass dieser Film dann auch postwendend von den deutschen Behörden einkassiert wurde. Wer glaubte, dass sie mit ihrem zweiten Film, „Livid“ (Rezenision hier), die eingeschlagene Gangart fortsetzen würden, sah sich ge-, oftmals auch enttäuscht. Trotz einiger Härten ist „Livid“ eher eine Mischung aus klassischem Grusel- und Märchenfilm. „Among the Living“ ist nun erst ihr dritter Spielfilm und reiht sich irgendwo zwischen „Inside“ und „Livid“ ein. Weder besitzt er die Ultragewalt eines „Inside“, noch den märchenhaften Grusel eines „Livid“. Trotzdem nutzt er Elemente, die bei seinen beiden Vorgängern bereits zu finden sind. Die Eröffnungsszene weist mit einer hochschwangeren und messerschwingenden Béatrice Dalle ganz klar auf „Inside“ hin. Gleichzeitig schwebt über den Szenen mit den drei Jungen, die aus der Schule in die Natur flüchten, auch das golden-märchenhafte aus „Livid“. Das wirkt auf den ersten Blick recht inhomogen, als wüssten die Regisseure nicht, in welche Richtung sie sich bewegen wollten. Und tatsächlich ist die Inszenierung der ersten Hälfte des Filmes sehr viel schwelgerischen und vor allem näher an den Charakteren als die zweite Hälfte die teilweise sehr gehetzt wirkt, als ob hier zahlreiche Handlungselemente aus Straffungsgründen über Bord geworfen worden wären.

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In der ersten Hälfte konzentrieren sich Bustillo & Maury ganz auf ihre drei Protagonisten und ihre Flucht aus einer repressiven Umwelt, hinaus in die große Freiheit. Dabei werden alle drei nicht als sympathische Helden präsentiert, sondern sind schwierige Teenager, die nicht wirklich wissen, wo sie in der Welt stehen und diese Unsicherheit mit Aggression und krimineller Energie ausgleichen. Trotzdem zeigen Bustillo & Maury auch die schönen Seiten der Jugend. Das in den Tag hinein träumen, der Glaube an die eigene Unbesiegbarkeit und den noch vorhanden „sense of wonder“. All dies wird von Bustillo & Maury in romantisierenden, warmen Bildern festgehalten. Dass die drei dabei ohne Skrupel einem Bauern die Scheune abfackeln wollen und Tom diesen fast tot schlägt, irritiert und wirft den Zuschauer aus der Bahn, denn dies entspricht nicht dem, wie sich jugendliche Protagonisten im Film zu benehmen haben. Daher greift hier auch nicht der oft herangezogene Vergleich mit „Stand By Me“. Während die – deutliche jüngeren – Freunde dort zwar auch „verbotene“ Dinge taten, war dies nur ein neugieriges Herantasten an die eigenen Möglichkeiten. Victor, Tom und Dan sind frustriert mit ihrem Leben, was ihr aggressives Verhalten gegenüber der Lehrerin und dem Bauern erklärt.

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Hier wird bereits der Bogen zu dem großen Thema geschlagen, welches Bustillo & Maury bereits in ihren beiden ersten Filmen beschäftigten und welches hier am Deutlichsten zu Tage tritt: Die Sehnsucht nach einer glücklichen Familie als Idealbild und das Leiden, welches durch disfunktionale Familien geschaffen wird. Die drei Protagonisten vermissen ein funktionierendes Familienumfeld. Tom wird von seinem alkoholabhängigen Vater verprügelt und entwickelt durch Mordphantasien, die er am Anfang des Filmes auf den verhassten Bauern überträgt. Dan ist für seine Eltern nur ein Klotz am Bein. Als er nach seinem abenteuerlichen Ausflug von der Polizei nach hause gebracht wird, strafen ihn seine Eltern mit Missachtung und überlassen ihn der Aufsicht eines – für diese Aufgabe offensichtlich nicht geeignetem – Kindermädchens, um in die Oper zu gehen. Allein Victor lebt in einem liebenden Umfeld, hat den Tod seines Vaters aber nicht überwunden und dementsprechend eine heftige Abneigung gegen seinen Stiefvater, dem er an einer Stelle Alkoholismus unterstellt. Am Ende wird aber gerade der Zusammenhalt seiner Familie und die Wärme des Nestes ihn retten. Auch der Killer hat ein schwieriges Familienumfeld, mit einem obsessiven Vater und einer Mutter, die ihn erst versucht zu töten, um sich dann selbst das Leben zu nehmen. Kaputte Familien also, wohin man blickt. Doch dort, wo die Saat der Liebe noch aufgehen kann, dort besteht noch Hoffnung. Eine sehr konservative, aber doch auch sehr schöne Botschaft.

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Bustillo & Maury verzichten bei „Among the Living“ zum größten Teil auf das, was sie bekannt gemacht hat: Exzessiven Gore. Stattdessen setzten sie auf einen eher klassischer Grusel, bei dem sich mehr im Kopf als vor den Augen des Zuschauers abspielt. So werden viele der Morde gar nicht erst gezeigt, sondern lediglich durch einen harten Schnitt angedeutet. Was durchaus Sinn macht, denn es handelt sich bei den Opfern um Kinder, was dem Film einigen Ärger und vor allem einen kommerziellen Tod eingebracht hätte. Doch wenn sich die Gewalt gegen Erwachsene richtet, lassen Bustillo & Maury dann doch noch einmal den alten Gorehound von der Leine. In einer besonders qualvollen Szene zeigen sie in aller Ausführlichkeit, wie der Killer sein Opfer quält und schließlich auf ausgesprochen unangenehme Weise umbringt. Ein anders Mal setzten Bustillo & Maury auf einen spektakulären Splattereffekt. Beides kommt aufgrund der eher zurückhaltenden Inszenierung am Anfang vollkommen überraschend und und soll möglicherweise die etwas sensibleren Zuschauer destabilisieren.

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Wie schon in „Livid“ ist die Inszenierung der beiden Regisseure Bustillo & Maury ausgesprochen elegant. Die Kamera gleitet durch die Szenerie und das sichere Auge für schöne Bilder unterstützt insbesondere die erste Hälfte des Filmes in der die Jungen in eine wahrhaft magische Stimmung versetzt werden. Diese schlägt dann in einen Albtraum um, wenn Bustillo & Maury mit großer Effektivität eine verfallenen Filmstadt als Hintergrund nutzen und ihr „Monster“ einführen. Dieses ist zunächst durch eine schmutzig-verrottete Clownsmaske getarnt, so dass man seine wahre Natur mehr erahnen muss, als sie dem Zuschauer offenbart wird. Wird diese dann enthüllt, ist es Geschmackssache, ob man nun den merkwürdigen Clown oder den kahlen, nackten Mann mit Unterbiss gruseliger findet. Dieser tritt dann im letzten Drittel in Action, wenn sich „Among the Living“ in eine lupenreine Home-Invasion-Geschichte verwandelt. Der Kampf einer Familie gegen den schier unbesiegbaren, unheimlichen Eindringling ist von Bustillo & Maury mit großer Intensität und Herzklopfen in Szene gesetzt worden und scheut auch nicht vor einigen Geschmacklosigkeiten zurück. Damit werden allerdings auch einige faustgroße Logiklöcher überspielt, die einem sonst vielleicht schwerer im Magen liegen würden.

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Mit „Among the Living“ haben Alexandre Bustillo und Julien Maury ihren nunmehr dritten Spielfilm abgeliefert, der zwar einige Härten enthält, sich aber im Großen und Ganzen mit seinen Splatter-Effekten stark zurücknimmt und eher auf eine zunächst idyllische, später bedrohliche Stimmung setzt. Die Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte, degenerierter Horrorfamilie und Home-Invasion-Story ist in ihren Einzelteilen stilistisch recht unterschiedlich in Szene gesetzt worden, verfolgt aber mit der Konzentration auf das Thema „Familie“ einen roten Faden. Auch wenn dieser durch einige Ungereimtheiten fast aufgerieben wird.

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Die Bildqualität der bei Sun Entertainment erscheinen DVD ist sehr gut, auch wenn das Bild manchmal etwas zu hell und Schwarztöne nicht dunkel genug erscheinen. Beim Ton kann man keine Schwächen ausmachen und die Synchronisation ist auch okay. Beim Bonusmaterial findet sich ein 60-minütiges „Making Of“, welches allerdings eher eine B-Roll ist, da kommentarlos Szenen von den Dreharbeiten gezeigt werden.

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