DVD-Rezenion „Foxtrot – Tödliches Inselparadies“

FoxtrotDer rumänische Graf Liviu (Peter O’Toole) flüchtet zusammen mit seiner Frau Julia (Charlotte Rampling), seinem Diener Eusebio (Jorge Luke) und seinem Freund und ehemaligen Militär-Ausbilder Larsen vor den langsam am Horizont aufziehenden Zweiten Weltkrieg. Liviu hat sich eine unbewohnte Insel in der Südsee gekauft, wo er den gewohnten Status Quo in Ruhe weiterführen will. Dazu wird am Strand ein großes Zelt erreichtet, indem Liviu und seine Frau residieren, während in einigem Abstand in kleineren Zelten Eusebio und Larsen wohnen. Eines Tages erhalten die vier Besuch von einem mit Liviu befreundeten Waffenhändler (Claudio Brook), der mit einer schieß- und feierwütigen Gesellschaft auf der Insel einfällt. Als sie wieder abreisen, schenkt er Liviu ein Gewehr. Bald schon kommt es zu Spannungen zwischen Liviu und seiner Frau auf der einen, und Larsen und Eusebio auf der anderen. Larsen stellt fest, dass nun „alles allen gehört“ . Als Julia Liviu offenbart, dass Larsen sie vergewaltigt hätte, greift dieser zum Gewehr…

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Der mexikanische Regisseur Arturo Ripstein begann seine Karriere als Assistent von Luis Buñuel bei dessen Film „Der Würgeengel“. Ab 1966 drehte er selber Spielfilme, bei denen er häufig mit berühmten lateinamerikanischen Schriftstellern zusammenarbeite. Bei seinem Debüt „Tiempo de morir“ schrieben beispielsweise Carlos Fuentes und Nobelpreisträger Gabriel García Márquez das Drehbuch. Ripstein gilt als kompromissloser Filmemacher, der sich ganz seiner Vision und nicht irgendeinem Publikumsgeschmack verpflichtet fühlt.Vielleicht liegt hier der Grund dafür, dass sein eigenwilliges Werk bis auf ganz wenige Ausnahmen, nie den Weg nach Deutschland fand. Eine dieser Ausnahmen ist „Foxtrot“, der mit Peter O’Toole, Max von Sydow und Charlotte Rampling gleich mit drei hochkarätige Stars in den Hauptrollen aufwarten kann. In den USA wurde der Film von Roger Corman vertrieben, in Deutschland erlebte er seine Premiere auf Video und erhielt dort neben einem martialischen Coverbild noch den Untertitel „Tödliches Inselparadies“. Die Corman-Verbindung verwundert etwas, da der Film nicht das exploitive Material liefert, welches man vom „King of the B’s“ erwartet. Vermutlich wurde er in den USA als harter Revenge-Thriller vermarktet.

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Aber mit Exploitation hat Ripstein nichts am Hut. Sein sehr langsam erzählter, oftmals traumwandlerisch wirkender Film, ist vielmehr als Allegorie auf alte Machtstrukturen gerade in Ripsteins Heimatland Mexiko zu verstehen. Die vier Personen, die sich auf der einsamen Insel einfinden, sind ganz klare Rollen zugeordnet. Der lethargische Adel, der allein aufgrund seines Reichtums die Legitimation erhält, über die anderen zu bestimmen. Der Militär, der sich einschmeichelt, vorgibt jede Seite zu unterstützen, aber im Hintergrund intrigiert, um still und heimlich seine Machtübernahme vorzubereiten. Das Proletariat, welches in seiner Unmündigkeit zum Spielball fremder Interessen wird und sowohl vom Adel als auch vom Militär zu deren Zwecken instrumentalisiert wird. Und zu guter Letzt ist da die Frau. Das fleischgewordene Begehren. Jeder der drei Parteien will sie besitzen. Der Adel zwingt sie in finanzielle Abhängigkeit, das Militär nimmt sie sich mit Gewalt und für das Proletariat bleibt sie der unerreichbare Traum, den es anschmachtet. Um diese Konstellation herum strickt Ripstein seine Geschichte.

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Angereichert wird „Foxtrot“ mit einem guten Schuss Sozialkritik. Nicht umsonst flieht Graf Liviu aus dem vom Krieg bedrohten Europa, in denen die alten Strukturen nicht mehr länger bestand haben werden, nur um auf einer abgelegenen Insel eben jene Strukturen en minatur neu zu etablieren. Allerdings fehlt ihm der Antrieb, um aktiv für den Erhalt seiner Macht zu kämpfen. Er herrscht, weil es sich in seiner Welt so gehört und allein sein Titel ihn dazu legitimiert. Dieser schwache Adel ist ein leichtes Opfer für das Militär, welches diese Schwäche ebenso skrupellos ausnutzt, wie die Unwissenheit und unentschlossene Angst des Proletariats. Larsen wäre es ein leichtes, die Kontrolle über die Insel zu bekommen und sich das zu nehmen, was er begehrt, nämlich die schöne Julia. Allein das Gewehr, welches Liviu von einem seiner dekadenten Freunde überreicht bekam, hindert ihn daran. So wird die Waffe am Ende das einzige Instrument zur Ausübung von Macht, welches Liviu bleibt. Eventueller Respekt ist spätestens bei dem albernen Fang-die Mütze-Spiel zerbrochen, welches seine ganze Ohnmacht offenbart. Doch die Waffe wird nicht nur Livius Status wieder herstellen, sondern auch gleichzeitig seinen Untergang und die der Mini-Gesellschaft auf der Insel einleiten.

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Mit dem kraftlosen O’Toole hat Ripstein die ideale Besetzung gefunden. O’Toole wirkt wie eine lebende Leiche, sitzt oftmals teilnahmslos herum und jede Konfrontation mit Larsen scheint ihm unendlich viel Kraft zu kosten. Das einst so schöne Gesicht ist hier bereits vom Alkohol gezeichnet und gleich in einer der ersten Szenen lässt er gedankenverloren die Asche seiner Zigarre auf eine wichtige Seekarte fallen, was der Kapitän mit einem perplexen Blick quittiert. Hier hat man nicht unbedingt das Gefühl, dass die Szene so geplant war, sondern sich eine Panne bei den Dreharbeiten zum Sinnbild für die Gedankenlosigkeit Livius verselbständigte. Ihm gegenüber steht der virile Max von Sydow als Larsen, der Liviu an Kraft und Größe deutlich überlegen ist, den direkten Kampf allerdings scheut. Stattdessen gibt er Liviu das Gefühl, weiterhin am Schalthebel der Macht zu sitzen. Dabei hat er für sich schon lange beschlossen, den Spieß gründlich umzudrehen. Demgegenüber wirkt der vom mexikanischen Schauspieler Jorge Luke gespielte Eusebio fast schon ängstlich und stets unauffällig bis hin zur Unsichtbarkeit. Er wird von allen nur benutzt und manipuliert, um am Ende dann selbst nicht mehr zu wissen, was er eigentlich will. Am Liebsten würde er da den Status Quo wieder herstellen. Die wunderschöne Charlotte Rampling spielt die Julia in der ihr eigenen heiß-kalten Art und lässt den Zuschauer in den eisigen Gebirgsseen ihrer Augen versinken. Dabei wird nie ganz klar, zu welcher Seite sie hält, warum sie bei Liviu ist und ob sie am Ende tatsächlich von Larsen vergewaltigt wurde oder mit dieser Behauptung ihre eigene Agenda verfolgt. Ein Mysterium, welches Arturo Ripstein auch verweigert aufzuklären.

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Arturo Ripstein inszeniert seinen Film sehr langsam und optisch leider recht unspektakulär. Tatsächlich wirkt der Film eher wie eine preisgünstige TV-Produktion und weniger wie großes Kino. Zwar wird die Schönheit der Insel (in Wirklichkeit die mexikanische Küste) von seinen Kameras eingefangen, doch statt Weite zu suggerieren, wirkt die Insel eng und muffig. Sicherlich ein gewollter Effekt. Dazu trägt auch bei, dass Ripstein seinen Film wie durch eine Gazeschleier gefilmt hat, was teilweise an David Hamiltons schwülen Erotikfilme denken lässt, und eine einlullende, gedämpfte Stimmung hervorruft. Das träge Tempo wird auch im unspektakulären Finale nicht gebrochen, scheinbare Höhepunkte bewusst klein gehalten. Kein vordergründiger Effekt sollen offenbar von der Allegorie ablenken, was auf den Zuschauer eine zunehmend einschläfernde Wirkung hat. Dazu passt das minimalistische Spiel der Darsteller ebenso, wie der weitgehende Verzicht auf Filmmusik und handfeste Aktionen.

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Der mexikanische Regisseur Arturo Ripstein inszeniert seine mit Weltstars besetzte, intelligente Allegorie auf verkrustete Machtstrukturen visuell leider auf TV-Niveau. Die sehr langsame, unspektakuläre Erzählweise fordert zudem den Durchhaltewillen des Zuschauers heraus.

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Die Bildqualität der bei Exclusive Media erschienenen DVD lässt sich schlecht beurteilen, da der Films scheinbar mit sehr starken Weichzeichnern gefilmt wurde, weshalb das Bild nicht nur sehr weich, sondern auch leicht verschwommen und an den Rändern ausfransend erscheint. Da dies aber offenbar eine künstlerische Entscheidung bei den Dreharbeiten war, kann man dies den Machern der DVD nicht vorwerfen. Der Ton liegt in Deutsch und Englisch jeweils in Mono vor. Die deutsche Synchronisation wurde für die Videoveröffentlichung hergestellt und klingt trotz bekannter Synchronsprecher sehr steril. Demgegenüber ist die O-Ton-Spur recht dumpf und schlechter zu verstehen. Extras gibt es überhaupt keine. Nicht einmal ein Trailer wurde dieser Veröffentlichung spendiert.

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2 Antworten zu DVD-Rezenion „Foxtrot – Tödliches Inselparadies“

  1. Stephen sagt:

    „Die Corman-Verbindung verwundert etwas, da der Film nicht das exploitive Material liefert, welches man vom „King of the B’s“ erwartet.“

    Bei uns weniger bekannt, aber als Verleiher hat Corman in den 70ern und 80ern jede Menge Arthouse-Kino in den USA auf die Leinwand gebracht (tatsächlich mehr als jeder andere zu dieser Zeit): Fellini, Truffaut, Ingmar Bergman, Kurosawa… da war alles dabei!

  2. Marco Koch sagt:

    Hallo Stephen! Danke für die Info. Das war mir in der Tat nicht bekannt. Interessant, dass die großen Exploitation-Gurus auch alle gleichzeitig Förderer des Arthouse-Kinos waren. Erwin C. Dietrich hat Marco Ferreri produziert und Cannon hat Cassavetes und sogar Godard finanziert. Da paßt das gut ins Bild.

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