Nachdem ein Überfall auf einen Juwelier schief gegangen ist, wird einer der Diebe, Cordero (Ryan Robbins), scheinbar durch Polizeigewalt schwer verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert. Dort wird er in einen abgeschlossenen Teil untergebracht, der zur Zeit leer steht. Die junge Polizistin Frances (Zoie Palmer) soll ihn dort bewachen. Während der eloquente Cordero versucht, die prinzipientreue Frances zu überreden, ihn laufen zu lassen, verschaffen sich drei Männer Zugang zu dem Teil des Krankenhaus, in dem der Dieb untergebracht ist. Ihr Anführer ist der Gangster Holland (William MacDonald), der den Juwelenraub organisiert hat und nun auf der Suche nach der Beute ist.
Der kanadische Regisseur Jason Lapeyre drehte 2012 zwei Filme, die beide ins Programm des letzten Fantasy Filmfests aufgenommen wurden und in Kürze eine Heimkino-Veröffentlichung durch OFDb filmworks erhalten. Der erste dieser beiden Filme ist eine kleine Gangster-/Thrillergeschichte, die durch und durch den Atem der 90er Jahre verströmt. Und dies ist durchaus nicht negativ gemeint. Im Zuge des Erfolges von „Reservoir Dogs“ und vor allem „Pulp Fiction“ schossen damals zahlreiche kleine Filme aus dem Boden, die mit dem Attribut „tarantinoesque“ bedacht wurden. Auch wenn der Vergleich häufig hinkte. Was diesen Filmen gemeinsam war, waren pointierte, lässige Dialoge, sowie skurrile Charaktere und/oder Situationen. Oftmals in karikaturhafte rutschende Antagonist und abstruse Zufälle mit oftmals mörderischem Ausgang sorgten für einen schwarzhumorigen Touch. Beispiele hierzu wären „Thursday – Ein mörderischer Tag„, „2 Tage in L.A.“ oder „Cold Blooded„. Mit letzterem teilt sich Lapeyres Film dann auch seinen Titel.
„Cold Blooded“ ist ein kleiner Film, dem man sein geringes Budget zwar durchaus ansieht, der aber auch keine peinlichen Versuche unternimmt, dies durch hektische Schnitte, pausenlos hämmernde Musik oder sonstige vordergründige Effekte zu kaschieren. Im Gegenteil, der Film fließt ruhig vor sich hin. Er nimmt sich Zeit seine, zugegeben etwas dünne, Geschichte zu erzählen und vor allem, die einzelnen Charaktere vorzustellen. Wie ähnlich gelagerte Low-Budget-Filme spielt er an einem einzigen Ort. Bei Horrorfilmen ist das gerne mal ein Labortrakt oder eine Höhle, hier ein von der Außenwelt weitgehend abgeschnittener Krankenhausflügel. Tatsächlich scheint man immer wieder nur die selben drei Korridore zu sehen. Aber Lapeyre macht das Beste draus und gerade der enge Raum sorgt für klaustrophobische Spannung, wenn es keinen Ausweg für die „Helden“ gibt und hinter jeder Ecke ein „Bösewicht“ stehen kann. Das hat ja kürzlich auch bei „The Raid“ ganz gut geklappt, auch wenn „Cold Blooded“s angenehm altmodische Erzählweise ansonsten nichts mit dem philippinischen Actionfeuerwerk zu tun hat. Auf Action wird hier dann auch weitestgehend verzichtet. Die Konfrontationen beschränken sich auch einige kurze, bodenständige Prügeleien und ansonsten wird hier eher mit diversen Stich- und Schusswaffen gedroht.
Die kurzen Gewaltausbrüche sind zwar brutal und im Falle einer Handamputation auch recht heftig, aber nie besonders grafisch dargestellt, sondern finden teilweise auch im Off statt. Dabei setzt Lapeyre häufig auf Kopfkino, wenn z.B. einem kleinen Jungen der Arm gebrochen wird und man dies – dankenswerterweise – nur über das Telefon mitbekommt und der Schwerpunkt der Szene auf der entsetzten Reaktion des hilflosen Vaters liegt. Auch der Running Gag mit einer (recht realistisch aussenden) abgetrennt Hand, die immer wieder den Besitzer wechselt, ist eher spielerisch und nicht ekelig inszeniert. Überhaupt sieht der Film davon ab, unbedingt superclever sein zu wollen und permanent neue Wendungen einzubauen, um die Handlung und Personen ständig im neuen Licht dastehen zu lassen. Die Handlung läuft schnörkellos und jederzeit nachvollziehbar ab, und auch in der Zeichnung der Charaktere gibt es keine großen Brüche. Dadurch bleiben zwar größere Überraschungen aus, aber Lapeyres schafft glaubwürdige und sympathische Charaktere, denen man gerne folgt und die zum mitfiebern einladen.
In der Besetzung finden sich keine große Namen. Hauptdarstellerin Zoie Palmer kommt vom Fernsehen, wo sie in der Mystery-Serie „Lost Girl“ (in Deutschland bei Sony auf DVD erschienen) eine wiederkehrende Rolle hat. Sie spielt die Polizistin Frances genauso so, wie die Rolle auch angelegt ist: Absolut professionell. Auch ihr Partner Ryan Robbins kommt vom Fernsehen und spielte eine der Hauptrollen in der Serie „Sanctuary – Wächter der Kreaturen“ (in Deutschland komplett von Koch Media veröffentlicht). Sein Cordero ist charmant, sympathisch und doch auch genügend zwielichtig, um den Charakter über die gesamte Spielzeit interessant zu halten. Auf Seiten der Bösen glänzt der eher unbekannte William MacDonald, der zwar auf eine lange Karriere in diversen TV-Filmen und -serien zurückblicken kann, aber bisher keine großen Hauptrollen hatte. Als Mastermind Louis Holland gelingt ihm das Kunststück, gleichzeitig wie der freundliche Mann von nebenan und der Teufel persönlich zu wirken. Wenn er seine Drohungen ausspricht, gibt es kein Zweifel daran, dass es ernst wird. Profi durch und durch ist er aber kein Sadist, sondern erledigt einfach das, was zu tun ist, um ans Ziel zu kommen. Lediglich die Idee, dass er eine abgetrennte Hand als Souvenir behalten will, passt nicht so ganz zu dem Charakter seiner Rolle. Die restlichen Schauspieler agieren souverän, ohne aber großartig aufzufallen.
Mit „Cold Blooded“ gelingt Jason Lapeyre ein souveränes Spielfilmdebüt, welches gut und spannend unterhält. Dabei scheint der Film irgendwie aus der Zeit gefallen und erinnert in seiner Machart eher an eine „tarantinoesque“-Low-Budget-Produktion aus der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Mit den heutigen hippen, flashigen Produktionen hat er nichts gemeinsam. Sympathisch-glaubwürdige Charaktere runden den guten Eindruck ab.
Leider lag mir zur Rezension nur ein Screening-Stream vor, so dass ich zu den technischen Aspekten der OFDb filmworks-DVD nichts sagen kann.