Bericht vom 20. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 2

Der zweite Tag begann mit einer kleinen Enttäuschung. Die hatte aber nichts mit dem Filmfest zu tun, sondern damit, dass ich beim tollen DVD-Laden B-Movie mal wieder vor verschlossenen Türen stand. Die Öffnungszeiten sind irgendwie Filmfest inkompatibel. Schade, aber ein Grund mehr, Oldenburg demnächst mal wieder einen Besuch abzustatten.

Los ging es dann mit einer Wiederholung des Eröffnungsfilmes, der ja im Vorfeld von den Veranstaltern über den grünen Klee gelobt wurde. Klappern gehört ja bekanntlich zum Handwerk, aber bei Vergleichen mit den großen Meistern wie Hitchcock hätte ich schon stutzig werden sollen. Erwartungsgemäß wurde es hier sehr voll und die Exerzierhalle war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Von den Gästen, die ihren Film noch bei der Eröffnung vorgestellt hatten, war keiner mehr da. Das war schade, aber die sehr gute Einführung machte diesen Umstand schnell vergessen. Gehalten wurde diese nur scheinbar von einem Mitarbeiter des Filmfests, der sich auch nicht vorstellte, mir aber sehr bekannt vorkam. Beim genauen Hinhören, konnte man aber feststellen, dass es sich hier um den Filmemacher RP Kahl („Bedways“) handelte. Da er die verstorbene Hauptdarstellerin des Filmes Maria Kwiatkowsky gut kannte, war die Einführung natürlich dementsprechend emotional.

Vorab gab es noch die letzte vollständige Arbeit bei der Maria Kwiatkowsky mitgewirkt hatte. Einen Kurzfilm mit dem Titel „Preis“, in dem sie eine Obdachlose spielt. Und dies so lebensecht, dass man fast denken könnte, man schaue eine Dokumentation. Toll gespielt, inhaltlich etwas viel Zeigefinger, aber lebensnah und mit einer deutlichen Aussage.

Die Erfindung der Liebe – Leider war der Film dann doch auf dem von mir im Vorfeld befürchteten TV-Niveau. Aber immerhin bot er einer ganzen Reihe arrivierter Schauspieler, wie der ätherischen Sunnyi Melles, der wie immer überzeugenden Irm Hermann und einem sichtbar gut aufgelegtem Mario Adorf viel Platz. Und es gab durchaus auch Entdeckungen, wie Bastian Trost und insbesondere Marie Rosa Tietjen, die ihre eigentlich blasse und undankbare Rolle mit soviel Leben und kleinen, ehrlichen Gesten füllte, dass man hier von einer heimlichen Hauptdarstellerin sprechen kann. Vor allem funktioniert der Film aber als Erinnerung an die plötzlich während der Dreharbeiten, viel zu jung verstorbene Maria Kwiatkowsky und daran, was ist dem Kino (und Theater, da war sie ja auch Zuhause) mit ihrem überraschenden Tod verloren gegangen ist. Welche Energie.

Als sie während der Dreharbeiten zu „Die Erfindung der Liebe“ verstarb, blieb der Film zunächst unfertig in der Schublade liegen. Doch Regisseurin Lola Randl holte die bereits gefilmten Fragmente in einer Art Trauerbewältigungsprozess wieder hervorgeholt und baute einen Film-im-Film darum herum. Dieser handelt nun davon, dass bei den Dreharbeiten zu einem Film die Hauptdarstellerin verstirbt. Doch oftmals werden die Fragmente zu bemüht in die neue Handlung gequetscht, was dann zu inhaltlichen Fehlern führt und die Szenen mit Maria Kwiatkowsky zu Fremdkörpern in werden lässt. Trotz der oben angesprochen darstellerischen Leistungen wirkt das manchmal etwas schlampig zusammengefügt, und die Idee plötzlich den Drehbuchautoren zur allmächtigen Figur zu etablieren, die sich nach belieben in und aus den Film schreibt, ist auch recht holprig ausgeführt. Man hätte aus diesem Film sicherlich weitaus mehr machen können. Wenn man sehen möchte, wie es besser geht, sollte man sich lieber Andrzej Wajdas kleines Meisterwerk „Alles zu verkaufen“ zum gleichen Thema anschauen.

Autumn Blood – Eine Familie (Vater, Mutter, Tochter, Sohn) wohnt abgelegen auf einer Alm in Tirol. Erst wird der Vater erschossen, Jahre später stirbt die Mutter und die Tochter wird von den jungen Männern des Dorfes mehrfach vergewaltigt. Als eine Sozialarbeiterin im Dorf erscheint, um nach den Kindern zu schauen, beschließen die Vergewaltiger ihre Spuren auf radikale Art und Weise auszulöschen. Ein österreichischer Film, der in Tirol spielt, aber auf Englisch mit internationalen Schauspielern gedreht wurde. Dass die Tiroler Dorfbewohner nun plötzlich alle Englisch sprechen, stört zunächst dann doch etwas. Da im Film aber maximal 20 Sätze fallen, lenkt es aber auch nicht allzu sehr ab. Die Entscheidung den Film fast ausschließlich über Bilder zu erzählen, ist durchaus mutig für einen Debütfilm. Allerdings muss man anmerken, dass die Geschichte jetzt nicht so kompliziert ist, dass es hier viele Worte braucht.

Im Programmheft einerseits als „Mischung aus Sergio Leone und Michael Haneke“ (!!!), andererseits als Sozialdrama angekündigt, ist er natürlich nichts von alledem. Eher ein gut gefilmter Rape&Revenge-Streifen, mit nur ganz wenige Revenge, dafür einer spannenden Flucht vor den bösen Buben. Da diese durch eine überwältigen schöne Landschaft führt und die Schauspieler eine überzeugende Leistung zeigen, verzeiht man gerne einige handwerkliche Fehler (so ist z.B. die Mutter ist viel zu jung besetzt und die Tochter eigentlich schon viel zu alt, wenn man dem Prolog als Grundlage nimmt). Insbesondere Gustaf Skarsgård überzeugt als fiesen Charakter, aber auch die junge Sophie Lowe und Maximilian Harnisch als ihr kleiner Bruder, machen ihre Sache mehr als ordentlich. Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit Peter Stormare in Räuber-Hotzenplotz-Verkleidung.

In der nachfolgenden Q&A wurde Regie-Debütant Markus Blunder nach einer etwas unnötig erscheinenden Nacktszene mit seiner schönen, jungen Hauptdarstellerin gefragt. Seine niedliche Antwort war, dass es symbolisieren sollte, dass das Mädchen und die Natur eine Einheit sind. Nun ja, das kann man mal so sagen. Man kann aber auch behaupten, dass hier ein willkommenes Exploitation-Motiv mit in den Film genommen wurde. Denn so anspruchsvoll, wie der Film sich gerne geben würde, ist er natürlich nicht. Aber als spannendes Genre-Kino funktioniert er tadellos.

Regisseur Markus Blunder und Schauspieler Gustaf Skarsgård

Regisseur Markus Blunder und Schauspieler Gustaf Skarsgård

Markus Blunder

Markus Blunder

Gustaf Skarsgård

Nach dem Film musste man ran halten, um es pünktlich ins Staatstheater zu schaffen, wo in diesem Jahr erstmals eine Spielstätte eingerichtet worden war. Das Ergebnis erinnert etwas an die Exerzierhalle, nur sehr viel kleiner. Dass der Saal eigentlich für kleine Theaterarbeiten vorgesehen ist, kann nicht unbedingt verheimlicht werden. Auch scheint die Leinwand etwas zu klein für die Größe des Raumes. Immerhin ist es dort aber stimmungsvoller und bequemer als in der Alten Fleiwa.

The Act of Killing – Eine 2,5-stündige Doku, die einen nicht ungeschoren davon kommen lässt. Es geht darin um Angehörige eines Todesschwadron, das Mitte der 60er in Indonesien tausende „Kommunisten“ (um „Kommunist“ zu gelten, reichte es schon chinesischer Staatsangehöriger zu sein, oder dass jemanden die Nase nicht gepasst hat) auf bestialische Art und Weise gefoltert und getötet hat. Der Film handelt vor allem von einem Projekt, in welchem Veteranen der Todeskommandos ihre damaligen Taten heute noch einmal für einen Film nachspielen. Und zwar so, wie die Veteranen es möchten. Dabei entstehen fast schon surreale Szenen, wenn sich die Männer als Cowboys, Film Noir Gangster oder als Dämonen inszenieren. Dabei wird allerdings nicht klar, wer dieses Projekt initiiert hat. War es der Regisseur des Films Joshua Oppenheimer oder – wie es der Film suggeriert – die Veteranen selber, die ihre Taten glorifiziert sehen möchten. Dies tut für die Aussage des Films aber auch nichts zur Sache.

Wer an das Gute in der Welt glaubt, geht vielleicht davon aus, dass die alten Männer heute unter ihren Taten leiden oder im Laufe ihres Lebens in irgendeiner Form ihre gerechte Strafe erhalten haben. Doch weit gefehlt. Die Männer leben heute in Saus und Braus, werden als Helden gefeiert und protzen mit ihren Untaten. Einer sagt z.B. dass das, was Kriegsverbrechen sind, immer von den Gewinnern definiert wird. Er sei ein Gewinner und könne deshalb für sich definieren, dass er keine Verbrechen begangen hätte. Und so sieht man ihn glücklich und zufrieden mit seiner Familie durch eine luxuriöses Einkaufscenter schlendern. Überraschenderweise – oder sollte man eher sagen erschreckenderweise? – sind die alten Leute gar nicht so unsympathisch. Und das ist es, was einen erst zu richtig Angst macht. Sie erzählen von ihren grausamen Hinrichtungen so, wie andere in Erinnerungen von tollen Partynächten schwelgen. Tatsächlich scheinen sie ihre unmenschlichen Verbrechen auch als so etwas ganz ähnliches zu begreifen. Sie haben Spaß und Lachen gemeinsam, wenn sie sich erzählen, wie sie jemanden gefoltert und massakriert haben. Dem Zuschauer aber bleibt bei ihren Schilderungen mehr als einmal ein dicker Kloß im Hals stecken. Einmal setzten sich die Männer auf einen Tisch und scherzen und singen gemeinsam. Das hätten sie früher auch so gemacht und dabei das Tischbein einem Delinquenten auf den Kehlkopf gestellt.

Einmal wird ein Massaker an einem Dorf nachgespielt und einer der Rädelsführer prahlt damit, wie toll es war, damals die Frauen zu vergewaltigen und welch ein Glück man doch hatte, wenn eine 14jährige darunter gewesen ist. Es sind Szenen wie diese, die einem den Magen umdrehen. Nun kann man dem Film sicherlich vorwerfen, dass einige Szenen gestellt aussehen (insbesondere die letzte Szene, in der einer der Männer ein zweites Mal an den Ort seiner Morde zurückkehrt und sich bei der Erinnerung an seine Taten vor der Kamera übergibt) und er natürlich seine Geschichte nicht in einen größeren geschichtlichen Kontext stellt. Über die Hintergründe der damaligen Situation erfährt man nur wenig, ebenso darüber, ob die Schilderungen der Männer zur Gänze der Wahrheit entsprechen.

Doch darum geht es auch nicht. Es geht um die absolute Banalität des Bösen. Diese Männer sind eben keine Monster. Es steht ihnen nicht ins Gesicht geschrieben, dass sie eiskalt die grausamsten Tötungen vorgenommen haben. Im Gegenteil. Und im heutigen Indonesien gehören sie sogar zu den geachteten Gesellschaftsmitgliedern und werden für ihre Taten gelobt. Das zeigt auch, wie es vielleicht in Deutschland ausgesehen hätte, wenn Nazi-Deutschland den Krieg gewonnen hätte. Wer eine Bestie ist und wer ein Held, dass ist immer ein Sache derjenigen Definitionssache derjenigen, die am Ende noch da sind, um die Geschichte schreiben. Daher sollte, nein muss man, die Geschichte der Sieger immer auch hinterfragen. Aber der Film hat noch so viele andere interessante und erschütternde Aspekte, die ich jetzt hier gar nicht alle aufführen will. Ich möchte nur jeden einladen, sich diesen Film ebenfalls anzusehen, denn es ist ein wichtiger Film. Purer Horror, der wirklich Angst macht vor der Bestie Mensch, und der mir noch lange im Kopf herum spuken wird. Kein Wunder also, dass Werner Herzog und Errol Morris, nachdem sie ihn gesehen hatten, ihre guten Namen als Executive Producers zur Verfügung stellten, um ihm eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen.

„The Act of Killing“ wurde u.a. von arte und ZDF co-finanziert, daher wird der dort wohl irgendwann einmal ausgestrahlt werden. Es gibt allerdings auch eine auf knapp zwei Stunden gekürzte Fassung – und wie ich die Öffentlich-Rechtlichen kenne, werden die dann wohl diese zeigen. Was schade ist, denn von den 156 Minuten fand ich jede einzelne wichtig.

Meine Begleitung und ich sind ziemlich benommen aus dem Film gewankt und haben noch lange drüber gesprochen. Auch dem Rest des Publikums ging es danach nicht wirklich gut. Für mich ein würdiger Abschluss unter zwei Tage Internationales Filmfest in Oldenburg. Ich freue mich schon jetzt auf die 21. Auflage und hoffe, dass die Stadt Oldenburg endlich mal erkennt, welch großartiges Pfund sie mit dem Filmfest hat, und dann 2014 wieder etwas mehr Geld zur Verfügung steht. Aber so oder so ist es wieder einen großen Beifall wert, was die Verantwortlichen auch dieses Jahr, trotz der widrigen Umstände, auf die Beine gestellt haben.

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