Julien Davenne (François Truffaut) arbeitet als Schreiber von Nachrufen für eine kleine kleine, lokale Zeitung, die kurz vor dem Ruin steht. Er diente im 1. Weltkrieg und während viele seiner Kameraden starben, trug er nicht einmal eine Verletzung davon. Seine von ihm über alles geliebte junge Frau starb kurz nach seiner Rückkehr aus dem Krieg. Ihr zu Ehren hat er in seinem Haus das grüne Zimmer eingerichtet, welches als Schrein zu ihrem Andenken nutzt. Bei einer Auktion lernt Julien Davenne die junge Cecile Mandel (Nathalie Baye) kennen und fühlt sich zu ihr hingezogen. Insbesondere, da sie selber eine tiefe Verbindung zu den Toten ihn ihrem Leben hegt. Als das grüne Zimmer eines Nachts ausbrennt, reift in Julien ein neuer Gedanke. Er will einen Ort errichten, in dem er die Erinnerungen an all seine Toten aufrecht erhalten will…
1978 produzierte Francois Truffaut mit „Das grüne Zimmer“ seinen größten Flop. Die Kritiker waren zwar begeistert, aber die Zuschauer blieben dem Film fern. Für Truffaut ein gewaltiger Schlag. Zwar hatte er mit „Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent“ bereits schon einmal einen schmerzhaften Misserfolg einstecken müssen, doch „Das grüne Zimmer“ war für ihn ein noch persönlicherer Film, der tiefe Einsichten in Truffauts damalige Gemütsverfassung zuließ. Viele von Truffauts Weggefährten waren gestorben und Truffaut selber nicht bereit wirklich, Abschied von ihnen zu nehmen. Schon Anfang des Jahrzehnts wurde ihm die Geschichte „The Alter of the Dead“ von Henry James ans Herz gelegt. Truffaut erkannte sich in dem Text selber und wollte das Buch umgehend verfilmen. Doch zunächst war er in andere Projekte eingebunden. Als 1977 zwei wichtige Personen in seinem Leben starben, Henri Langlois und Roberto Rossellini, nahm er die Arbeit an „Das grüne Zimmer“ wieder auf. Zunächst wollte er Charles Denner die Hauptrolle spielen lassen, doch als dieser aufgrund von Terminproblemen absagen musste, übernahm er kurzerhand selber die Hauptrolle. Durch Truffauts Identifikation mit der Hauptfigur, eine offensichtliche Wahl.
„Das grüne Zimmer“ ist ein sehr leiser Film. Er spielt zwischen den Weltkriegen und man spürt überall eine gewissen Enge und Mief, der noch aus dem Biedermeier-Zeitalter herüber weht. Julien Davennes Welt beschränkt sich ganz auf sein Haus und das titelgebende grüne Zimmer, in dem er die Erinnerung an seine verstorbene Frau weiterleben lässt. Wenn er einmal seine sichere Umgebung verlässt, wirkt er wie ein Fremdkörper. Er gehört schon lange nicht mehr in die Welt der Lebenden, sondern ist bereits ein Teil der Totenwelt geworden. In der Redaktion der lokalen Zeitung, für die er arbeitet, gilt er als Sonderling und wird von den Kollegen gemieden. Und natürlich ist seine Spezialität das Verfassen von Nachrufen.
Es wird im Vorspann angedeutet und später in einem Dialog kurz thematisiert, dass Davenne seit seinem Erlebnissen im ersten Weltkrieg – als er viele seiner Kameraden sterben sah, aber selber völlig ungeschoren davon kam – ein schlechtes Gewissen hat, dass er noch immer da ist. Mit dem Tod seiner Frau brach seine Todessehnsucht und -besessenheit vollkommen ihre Bahn. Kurz glaubt man, die junge Cecilia Mandel könne ihn aus dieser Benommenheit reißen, doch es eher andersherum. Während sie ihre Trauer zunächst kanalisieren kann und durchaus bereit ist, etwas Neues zu beginnen, zieht Davenne sie immer wieder zurück in die Welt des Todes und Bewahrens.
Wie sehr sich Truffaut mit Julien Davenne identifizierte, erkennt man an den Bildern, die der Regisseur Truffaut in Davennes Gedächtnis-Kapelle aufhängen ließ. Dort sind all die Menschen abgebildet, die Truffaut etwas bedeuteten oder eine wichtige Rolle in seinem Leben spielten. Diese sind zwar nicht alle tot (auf einem Foto erkennt man Oscar Werner, der erst sechs Jahre nach diesem Film starb), aber – wie im Falle von Werner – war die alte Freundschaft zu diesem Zeitpunkt bereits gestorben. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, ob nicht vielleicht auch irgendwo ein Portrait von Jean-Luc Godard in der Kapelle versteckt war. Die Kapelle, der „Altar der Toten“, wie auch die zugrundeliegende Geschichte hieß, ist nicht einfach nur ein Ort, sondern auch der innere Zustand Juliens. Hier hat er seine Erinnerungen und die Menschen, die ihm etwas bedeutet haben, eingefangen, hier ehrt er sie, aber lässt sie auch nicht gehen. Dieses, sein Innerstes, darf nur seine Vertraute Cecile betreten. Doch nicht um ihr seine Liebe – sofern er zu diesem Gefühl zu einem lebenden, und damit unzuverlässigen, Menschen überhaupt noch fähig ist -, sondern um auch sie zu einem Teil seiner Vergangenheit, seiner Toten zu machen.
Den die Toten lassen sich kontrollieren. Julien lässt nur die guten Erinnerungen zu und kann so eine glorifizierte Vergangenheit konstruiert, die so vielleicht nie stattgefunden hat. Die Vergangenheit ist berechenbar. Keiner seiner Toten kann ihn enttäuschen oder verletzten. Als er herausfindet, das Cecile eine Affäre mit seinem ehemaligen Freund und späteren größten Feind, Paul Massigny, hatte, bricht für ihn eine Welt zusammen. Von Cecile mit dem Vorwurf konfrontiert, in seiner Kapelle sollte es Platz für alle Menschen seines Lebens geben, weißt er dies empört zurück. Die negativen Erinnerungen würden seine heile Welt des grünen Zimmers, bzw. des „Altars der Toten“ zerstören. So aber kann er den Anschein unendlicher Liebe und Freundschaft aufrecht erhalten.
Der Film ist ein diffuses Licht getaucht, die Farben verwaschen und entsättigt. Aus Juliens Leben ist bereits aller Glanz verflogen und man spürt förmlich den Staub, der sich über alle Dinge gelegt hat. Truffaut erinnert in seiner Darstellung erstaunlich an sein „Ziehsohn“ und Interpreten seines Alter Egos Antoine Doinel, Jean-Pierre Léaud. Die merkwürdige, scheinbar gekünstelte Sprechweise, aber auch die etwas ungelenke Physis. Tatsächlich entdeckt man heute beim gealterten Léaud eine gewisse Ähnlichkeit zu Truffaut. Truffaut selber sagte über seine Beweggründe die Rolle des Julien selber zu übernehmen: „it seemed to me that if I played Julien Davenne myself, it would be like writing a letter by hand rather than typing it.“ Die Musik übernahm Truffaut aus Maurice Jauberts „Concert Flamand“ von 1936. Und natürlich hängt auch Jauberts Portrait in der Kapelle.
Trotz seiner Stärken ist „Das grüne Zimmer“ nicht ohne Schwächen. So sind manche Nebenhandlungen unterentwickelt. Die Figur des taubstummen Jungen, der bei Julien wohnt, wird nie erklärt und auch seine Funktion für die Handlung wird nie klar. Ist es sein Sohn? Oder der der Haushälterin? Dieser ganze Strang wirkt dann auch unterentwickelt und überflüssig. Die Geschichte von Paul Massigny wird ebenfalls nur angerissen und man hat das Gefühl, hier gibt es noch etwas im Hintergrund, was gesagt werden müsste. Ähnliches gilt für den Prolog im 1. Weltkrieg.
„Das grüne Zimmer“ ist ein sehr stiller, melancholischer Film. Handwerklich tadellos und von einer traurig-morbiden Stimmung durchzogen, könnte das Drehbuch in den scheinbar willkürlichen Nebenhandlungen etwas Straffung benötigen.
Die bei Koch Media in der Reihe „Masterpieces of Cinema“ erschienene DVD ist leider kein Meisterstück. Das Bild ist sehr matschig und Extras gibt es – bis auf eine Bildergalerie – keine. Zudem sollte man unbedingt bei seinem Flachbild-TV den Overscan ausschalten, denn sonst zoomt das Bild automatisch in das 1:66 Format hinein, macht daraus 16:9 und schneidet oben und unten was ab (gut zu sehen bei den Titeln im Vorspann). Auf dem PC hatte ich dieses Problem nicht. Die Bildergalerie ist recht interessant, denn hier sieht man Werbematerial aus aller Welt und kann sehen, dass „The Green Room“ in den USA unglaublicherweise als Horrorfilm vermarktet wurde („In the green room everybody can hear you scream. But no one would help“). Wobei mich die Schrift des Titels in Deutschland auch sehr stark an die Edgar-Wallace-Filme erinnert. Womit der Film nun auch so gar nichts zu tun hat.