Nachruf: Jess Franco (1930-2013)

Ich will gar nicht so viele Fakten über Jess Franco und sein Werk hier ausbreiten. Das wird dem großen Mann des europäischen Exploitationkinos nicht gerecht. Nur ein paar Eckdaten sollen es sein. Geboren am 20. Mai 1930 unter dem Namen Jesús Franco Manera. 199 Filme in 55 Jahren. Zeitweise in den 70ern drehte er bis zu neun Filme in einem Jahr. Berühmte Pseudonyme: Jess Frank, Clifford Brown, Frank Hollman, James P. Johnson, David J. Khune und ca. 40 andere. Zusammenarbeit mit allen Größen des europäischen Exploitationkinos: Klaus Kinski, Christopher Lee, Helmut Berger… und immer wieder Howard Vernon. Entdecker der Filmgöttinen Soledad Miranda und Lina Romay. Jazz-Musiker. Regieassistent von Orson Welles. Voyeur. „Schmuddelfilmer“. Legende.

Heute starb Jess Franco im Alter von 82 Jahren. Ich hatte mit so etwas schon gerechnet. Nachdem letztes Jahr seine große Liebe und Muse Lina Romay einem Krebsleiden erlag, rechnete ich bereits damit, dass Jess ihr bald folgen würde. Jess Franco ohne Lina Romay? Das erschien mir schwer vorstellbar. Etwas Hoffnung gab es mir, dass sich Jess relativ zügig wieder seiner zweiten großen Liebe zuwandte: Dem Film. Bald schon hieß es, dass er zwei neue Filme fertiggestellt habe.

Doch dann hörte ich von der desaströs verunglückten Jess-Franco-Retrospektive in Berlin. Wo seine Filme von DVD und im falschen Format, manchmal sogar nur in Italienisch ohne Untertitel gezeigt wurden. Jess war als Gast mit dabei und musste erleben, wie er nicht nur im Rollstuhl als Kuriosum herum gefahren wurde, sondern sein filmisches Werk lieblos und vor nur sehr wenigen Zuschauern gezeigt wurde. Eine erschütternde Beschreibung dieser etwas würdelosen Veranstaltung, hat ugo-piazza im Deliria-Italiano-Forum hinterlassen. Da erinnert man sich doch lieber an die große Gala 2009, als Jess der Goya, der wichtigste spanische Filmpreis, für sein Lebenswerk überreicht wurde und auch Lina noch dabei war.

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Ugo schrieb bereits, dass Jess einen sehr zerbrechlichen Eindruck gemacht hätte. Letzten Mittwoch informierte der amerikanische Filmjournalist und Franco-Kenner Tim Lucas (Herausgeber des „Video Watchdog“-Magazins), dass Jess einen Schlaganfall erlitten hätte und sich in einem sehr kritischen Zustand befände. Da ahnte ich schon, dass sich ein Leben, welches sich leidenschaftlich dem Film und den eigenen Obsessionen gewidmet hatte, dem Ende entgegen geht. Noch hatte ich gehofft, dass Jess vielleicht doch noch wieder aufersteht. Zu Ostern hätte das ja gut gepasst. Nicht umsonst ist sein richtiger Vorname ja Jésus. Doch heute war dann klar, dass alles Hoffen nicht geholfen hatte. Wieder war es Tim Lucas, der als erster die Nachricht vom Tode Jess Francos im Netz verbreitete und schon kurz danach lief mein News-Stream auf Facebook heiß. Filmfreunde von überall her zeigten sich darüber betroffen, dass der Großmeister des europäischen Exploitationfilms in eine andere Welt gewechselt ist. Der einzige Trost ist, dass er dort endlich wieder mit seiner geliebten Lina vereint ist.

Meine erste Begegnung mit dem Namen Jess Franco hätte schlechter gar nicht sein können. Damals sah ich vor allem Horrorfilme und ähnliches. Zu dieser Zeit gab es in Deutschland bei weitem nicht so viel Literatur zum phantastischen Film, wie es heute der Fall ist. Also las ich die Nachschlagewerke „Hölle auf Erden“ oder „Die Angst sitzt neben Dir“. Ja, Franco tauchte dort auf, wurde aber immer wieder als Stümper, Billigfilmer und „schlechtester Regisseur der Welt“ betitelt. Nein, die Autoren diese Bücher konnten mit Jess Francos spezieller Art Filme zu machen nichts anfangen. Natürlich übernahm ich zunächst diese Meinung und mied seine Filme wie die Pest.

Erst später hatte ich mein persönliches Erweckungserlebnis. Im Internet lernte ich Uwe G. kennen. Uwe war schon etwas älter (tatsächlich aber wohl damals so alt, wie ich heute) und ein riesiger Fan von Exploitationfilmen generell und Jess Franco im Besonderen. Wir schickten uns lange, sehr lange, Mails hin und her. Uwe schwärmte mir von Lina Romay vor. Seiner Traumfrau. Und er brachte mich dazu, mich endlich mal mit Jess Franco zu befassen. Als erstes schickte er mir also den Film „Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt“ und ich war hin und weg. Ich tauchte ein in Jess Francos Seele. Wie er unverschämt seiner Ehefrau Lina Romay zwischen die Beine zoomte, selber den heruntergekommenen Privatdetektiv Al Pereira (eine, ähnlich wie Dr. Orloff und viele andere, in Francos Werk immer wieder auftauchende Figur) spielte und das Ganze in einer Stimmung filmte, die weniger ein perfekter Film war (Francos Filme glänzen zwar häufig durch brillante Einfälle, glatt und „perfekt“ sind sie aber nie), als vielmehr die fieberhafte Idee eines Films.

So ist es bei Franco eigentlich immer. Oftmals hat man den Eindruck, nicht einen normalen Film zu sehen, sondern vielmehr die Nacherzählung eines Filmes, angereichert mit dem, was Jess darin gerne gesehen hätte, aber ursprünglich gar nicht da war. Diese „Fremdkörper“ sind es dann auch, die Jess‘ Filme so persönlich, so unverwechselbar machen. Es sind seine Fetische, die Folgen seines unstillbaren Voyeurismus und die Liebe zu den Themen, die ihn sein Leben lang begleitet haben – aber auch zu den Menschen, mit denen er immer wieder zusammenarbeitete und die wie seine Familie wirkten.

Bald schon merkte ich, dass man Jess von Film zu Film mehr liebte. Egal wie dumm oder schlecht einige seiner Filme waren, in ihnen spürte man (fast) immer den Mann hinter der Kamera. Seine Leidenschaft, seine Freude, seinen Enthusiasmus. Tim Lucas schrieb einmal „You can’t see one Franco film until you’ve seen them all“. Das ist zwar sehr überspitzt formuliert, aber trifft den Kern der Sache schon ganz gut. Jess Francos Welt ist ein großartiges Mosaik und jeder seiner Filme – auch die schlechtesten – sind die Steinchen dazu. Erst wenn man tief in die Welt des Jess Franco eingetaucht ist und so 20-30 seiner Filme gesehen hat, kann man diese erst so richtig verstehen. Mit jedem Franco-Film, den man sieht, wird das Bild klarer und der Blick in seine obsessive Seele (nicht umsonst hieß das große Buch, welches über ihn und seine Filme geschrieben wurde – und heute leider nicht mehr erhältlich ist – „Obsession“) deutlicher.

Jess Francos Filme kann man weniger über den Kopf verstehen, man muss sie sich erfühlen. Und ich fordere jeden auf, es zu wagen, die obskure, bizarre, erotische, manische Welt des Jesús Franco Manera zu betreten. Wer guten Herzens ist, der wird belohnt.

Weitere Nachrufe im Netz:

Tim Lucas auf „Video Watchdog“

Christian Keßler auf Facebook

Thomas Groh auf filmtagebuch

Spiegel Online

 

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7 Antworten zu Nachruf: Jess Franco (1930-2013)

  1. Einen Francofan kann ich mich vielleicht nicht nennen. Zu oft bin ich vom Ergebnis eher enttäuscht. Aber ich sehe mir immer mal wieder einen Film von ihm an und genieße die Glanzstücke wie Das Geheimnis des Dr. Z oder Sie tötete in Ekstase, während Franco mich auch manches Mal meiner Lebenszeit beraubt hat, ich denke da an Der goldene Tempel der Amazonen, Mansion of the Living Dead oder seinen Mondo cannibale. Franco hat nicht nur kontroverses Filmgut produziert, sondern offenbar in seinem Leben Ecken und Kanten gehabt. Sein Lebenswerk hat sicher Impulse geliefert, auch wenn man von seinen letzten Arbeiten nur noch wenig gehört hat. Nach dieser Masse an Werken und der offenbar angeschlagenen Gesundheit darf er sich wohl verdient auf die letzte Ruhestätte zurückziehen und sich von weltlichen Qualen lossagen. Ein bisschen vermissen wird man diesen Kauz bestimmt.

  2. Marco Koch sagt:

    Ja, „Mondo Cannibale“ ist nun wirklich kein guter Film. aber die Art und Weise, wie hier Franzosen hier zu wilden Kannibalen umgeschminkt wurden, der Urwald ein europäischer Laubwald ist und Al Cliver den ganzen Film über so tut, als hätte er nur einen Arm, indem er den zweiten hinter seinem Rücken versteckt, fand ich recht amüsant. Das hat schon was von ausgelassenem Kindergeburtstag. „Mansion“ gefiel mir sogar recht gut. Die Atmosphäre in dem verlassen Hotel fand ich recht bedrückend und diese nackte Irre, die mit Hundefutter gefüttert wird, war schon ein fast surreal-absurder Einfall. Klar, oftmals haben Francos Filme große Schwächen, die auf die kurze Drehzeit und das nicht vorhandene Budget zurückzuführen sind, doch recht häufig gelingt es Franco auch dort ein paar für ihn typische, ungewöhnliche Ideen unterzubringen, die haften bleiben. Aber wie ich schon schrieb, so richtig zu schätzen weiß man das dann auch nur, wenn man schon eine erkleckliche Anzahl seiner Filme gesehen hat und speziell auf diese Momente achtet. Alle anderen werden da wohl nur den Kopf schütteln und den Player aus dem Fenster werfen wollen. „Sie tötete in Ekstase“ (auf 35mm) haben wir übrigens schon seit Anfang des Jahres für unsere „Weird Xperience“-Reihe im Bremer Kommunalkino eingeplant.

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  5. Romay sagt:

    Ein wunderbarer Nachruf auf einen einzigartigen Filmemacher. Marco, vielen Dank dafür! Uns bleibt sein sehr reichhaltiges Oeuvre als sein und Lina Romays Nachlaß erhalten.

    Obwohl der Anlaß grundsätzlich ein sehr trauriger ist, hat mich die Erwähnung in diesem Kontext richtiggehend berührt.

    Lina Romay finde ich immer noch toll, wie man unschwer an meinem seit vielen Jahren verwendeten Pseudonym ersehen kann. Wäre ich noch 16, wäre mein Jugendzimmer wahrscheinlich, zum Entsetzen meiner Eltern, mit Lina-Postern gepflastert. Und der Laptop, auf dem ich das hier schreibe, identifiziert sich im LAN als Jess. Jaja.

    Ich schreibe das hier mehr als ein Jahr nach Veröffentlichung des Artikels, weil ich Dein Blog schlichtweg bis vor kurzem nicht kannte. Aber besser spät als nie, oder? Nochmals danke.

  6. Was den verschwundenen und wieder aufgetauchten Kommentar von Romay betrifft: Bei mir ist es so, dass schon seit Monaten die Cache-Verwaltung meines Browsers (Seamonkey) aus mir unerfindlichen Gründen hier nicht funktioniert (früher hat es funktioniert). Geänderte Versionen einer Seite werden nicht als solche erkannt, deshalb die (inzwischen veralteten) Versionen aus dem Cache geholt, so dass neue Kommentare oder auch neue Artikel auf der Hauptseite zunächst mal nicht erscheinen. Um sicherzugehen, dass ich nichts verpasse, muss ich den Cache mit Shift+Reload umgehen. Keine Ahnung, woran das liegen könnte. Woanders habe ich dieses Phänomen nicht.

  7. Romay sagt:

    Danke für den Hinweis. Die Bedingungen sind hier sehr ähnlich (FF 20.0 für Linux), jedoch sind mir bis dato noch keine Probleme mit dem Cache aufgefallen. Ich werde aber mal verstärkt darauf achten.

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