Der 15. Bremer Filmpreis geht an den Regisseur Béla Tarr

Was ich heute auf der ersten Seite des „Weser Kuriers“ erblickte, war eine große Freude für mich. Der Bremer Filmpreis 2013 geht an einen Regisseur, der seit Jahren ganz oben in meinem persönlichen Film-Pantheon sitzt: Den Ungarn Béla Tarr. Nach einem Komponisten und einer Kamerafrau jetzt also wieder ein Regisseur und dann auch noch jemand, der mir so nahe steht. Ich freue mich schon jetzt sehr auf die Preisverleihung und die Möglichkeit, Béla Tarr einmal persönlich zu erleben.

Béla Tarr macht es mit seinen Filmen den Zuschauern nicht leicht. Im strengen Schwarz-Weiß gehalten, zeichnen sie sich durch eine hypnotische Langsamkeit aus, die noch durch lange Plansequenzen unterstrichen wird. Dagegen wirken selbst Aki Kaurismäkis Werke wie Actionfilme. Oftmals folgt die Kamera viele Minuten lang den Protagonisten, die sich durch eine karge Landschaft bewegen. Darauf muss man sich einlassen und gerade deshalb sind Tarrs Filme echte „Kinofilme“. Denn hier wird man nicht abgelenkt, nur hier kann man sich in die elegischen Bilder hineinfallen lassen. Tarr versteht es dabei, eine Stimmung zu kreieren, die den Zuschauer in einen melancholischen Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit versetzt und eine Welt offenbart, die sich ebenfalls in diesem irrealen Zustand befindet. Damit steht Tarr abseits von allem Mainstream, ja bildet quasi einen Gegenpol dazu. Seine Filme sind lang, bestehen aber nur aus wenigen Einstellungen. Oftmals gehen Kamerafahrten über zehn Minuten. Sein Film „Satantango“ ist mit über sieben Stunden einer der längsten Spielfilme aller Zeiten, besteht aber aus gerade einmal 150 Einstellungen. Mal zum Vergleich, ein herkömmlicher Actionfilm hat mehr als 12 Einstellungen pro Minute.

Béla Tarr wurde 1955 in Pécs geboren. Nach einer Phase, die vom Sozialistischen Realismus geprägt war, änderte sich ab 1982 sein Stil und seine Filme erinnerten von nun an mehr an das Kino Andrej Tarkovskis, wobei Tarr selber Fassbinder und Bresson als seine Einflüsse angibt. Mit seinem international ersten großen Erfolg „Damnation“ (1988) vervollkommnte er diesen Stil. Seitdem arbeitet er regelmäßig mit dem Schriftsteller László Krasznahorkai zusammen und adaptierte in der Folge zwei weitere von dessen Romanen („Satantango“ und „Werckmeister Harmonies“). Danach war Krasznahorkai auch an den Drehbüchern von „Man from London“ und „Turin Horse“ beteiligt. Auch andere Mitarbeiter tauchen in der Folge regelmäßig auf, wie Mihály Víg (Musik), Gyula Pauer (Set- und Kostümdesign), Gábor Medvigy (Kamera) sowie Tarrs Ehefrau Ágnes Hranitzky (Schnitt und Ko-Regie).

Mit „Werckmeister Harmonies“ (2000) schuf er meines Erachtens sein Meisterwerk. Ein unwirklicher, aus Zeit und Raum gefallener Film, der wie die bösen Nachwehen eines merkwürdigen Traumes wirkt. Irgendwo zwischen magischem Realismus und Surrealismus. Seinen kommerziellsten Film drehte Tarr 2007 als französisch-ungarisch-deutsche Co-Produktion, eine – für Tarrs Verhältnisse mit 135 Minuten relative kurze – Verfilmung des Georges-Simenon-Thrillers „The Man from London„. Doch die englischsprachige Produktion mit Tilda Swinton wurde durch viele Schwierigkeiten behindert. So führte der Selbstmord des französischen Produzenten dazu, dass die Dreharbeiten für fast ein Jahr unterbrochen werden mussten. Als er bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere hatte, wurde er zwiespältig aufgenommen. Vielleicht lag es am Sujet, und damit verbundenen falschen Erwartungshaltungen, aber viele Kritiker fanden den Film zu langatmig und langweilig.

2011 drehte Tarr seinen letzten Spielfilm, „The Turin Horse„. Eine 2,5-stündige, apokalyptische Vision, die sich allein um einen alten Mann und seine Tochter dreht, die in einer sterbenden Welt ihren täglichen Ritualen nachgehen. Abgesehen von einer Gruppe Flüchtender und einem Nachbarn, tauchen keine anderen Menschen auf. Der Film ist extrem minimalistisch und nimmt sich viel Zeit, die Rituale der beiden in aller Deutlichkeit zu zeigen. Das kann sehr anstrengend sein, zieht einen aber unterstützt durch die Musik von Mihály Víg tief hinein in eine trostlose, kalte Welt ohne Hoffnung. „Turin Horse“ ist ein Film, den man sich förmlich erarbeiten muss. Er kann dabei auf den Zuschauer faszinierend oder sterbenslangweilig wirken. Wer sich aber darauf einlassen kann, der wird mit einer intensiven, emotionalen Erfahrung belohnt. Obwohl „Turin Horse“ viele Preise gewann, blieb Tarr bisher bei seiner Ankündigung, dass dies sein letzter Film gewesen wäre.

Leider sind Béla Tarrs Filme bisher nicht in Deutschland für das Heimkino erhältlich. Hier muss man nach England ausweichen, wo „Damnation“, „Satantango“, „Werckmeister Harmonies“ und „Man from London“ beim Arthouse-Label Artifical Eye auf DVD erschienen und günstig zu haben sind. Vielleicht ist Tarr einfach zu sperrig und unkommerziell für die Marketingpläne deutscher Verleihe, was allerdings seltsam ist, denn schließlich wurden viele seiner Filme auch mit deutschem Geld und deutschen Schauspielern gedreht. Eines dürfte jedenfalls klar sein: Béla Tarrs Filme sind sehr speziell und definitiv nicht für jedermann.

Der 15. Bremer Filmpreis wird am Do. 17.01.2013 in der Oberen Rathaushalle verliehen.

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