DVD-Rezension: “Fear X – Im Angesicht der Angst”

Die schwangere Frau des Kaufhaussicherheitsbeamten Harry Caine ist bei einer mysteriösen Schießerei in der Tiefgarage ums Leben gekommen. Seitdem ist Harry davon besessen, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum seine Frau sterben musste. Nacht für Nacht sieht er sich die Bänder der Überwachungskameras an, um irgendwo einen versteckten Hinweis zu finden. Eines Tages entdeckt er durch Zufall Fotos einer ihm unbekannten Frau, die eine vage Spur darstellen. Harry fährt nach Montana, um dort diese Frau zu finden. Er mietet sich in einem Hotel ein und weckt schon bald die Aufmerksamkeit der lokalen Polizei und eines Mannes, der ihm seine bohrenden Fragen beantworten könnte…

Nach zwei erfolgreichen Indie-Filmen, die er in seinem Heimatland Dänemark geschrieben, produziert und inszeniert hatte, zog es den damals noch sehr jungen Nicolas Winding Refn 2003 nach Kanada. Gründe hierfür waren Abschreibungsgeschichten, die es lukrativer machten, seinen nächsten Film teilweise in Kanada, statt in Dänemark zu drehen. Wobei Kanada für die US-amerikanischen Bundesstaaten Wisconsin und Montana herhalten musste. Zudem konnte Refn erstmals auch mit gestandenen amerikanischen Schauspielern drehen. Allen voran John Turturro, aber auch Deborah Kara Unger und James Remar.

Für Refn muss die Herstellung seines Filmes „Fear X“ ein traumatisches Erlebnis gewesen sein. In  dem, auf der DVD enthaltenen, aufschlussreichen „Making Of“ sieht man ihn irgendwann kleinlaut vor seinem Team stehen und ihnen mitteilen, dass er kein Geld mehr habe und den geschuldeten Lohn nicht mehr zahlen könne. Dann appelliert er schüchtern an sie, trotzdem weiterzumachen.  Scheinbar hat dieser Appell geholfen, denn der Film wurde irgendwie fertig gestellt. Doch sein kommerzieller Misserfolg brach Refns Produktionsfirma das Genick und schickte sie in die Insolvenz. Zurück in Dänemark konzentrierte er sich dann erst einmal darauf, mit den Fortsetzungen seines sensationellen Erstlings „Pusher“ weiter an seiner Reputation zu arbeiten. Erst 2008 ging es wieder ins Ausland, wo er in England „Bronson“ drehte. 2010 folgte der Überfilm „Walhalla Rising“, und aktuell dürfte er mit seinem US-Film „Drive“ endgültig seinen Durchbruch geschafft und sich für weitere, großbudgetierte  Projekte empfohlen haben.

In der IMDb wimmelt es nur so vor hasserfüllten Kritiken zu „Fear X“. Bis auf wenige Stimmen, wird der Film in der Regel in der Luft zerrissen. Die Leute hassen insbesondere das Ende des Filmes. Der Grund für diese totale Ablehnung ist mir schleierhaft. Wenn man sich das Drehbuch ansieht, so muss man nüchtern konstatieren, dass es relativ dünn ist. Aber was Refn mit dieser im Grunde einfachen Geschichte macht, ist schlichtweg atemberaubend. Über allem liegt der Hauch des Mysteriösen, des Unbehaglichen, der Welt zwischen den Bildern.

Und Refn ist nicht nur selber ein großer Könner, was das perfekte Tempo und die Bildgestaltung angeht, hier  holte er sich auch gleich die Hilfe der Allerbesten. Für das dröhnende Sounddesign, welches  sich wie ein dichtes Netz über den Film legt (ähnlich wie in „Walhalla Rising“, wo dieses Stilmittel aber noch exzessiver eingesetzt wird),  sicherte er sich die Dienste von Brian Eno. Das Drehbuch schrieb er zusammen mit dem großen Hubert Selby Jr., der durch Romane wie „Last Exit Brooklyn“ und „Requiem for a Dream“ weltberühmt und „weltberüchtigt“ wurde. Und schlussendlich konnte er für die Arbeit hinter der Kamera Larry Smith  gewinnen.  Jener hat unter Stanley Kubrick mit dem legendären Kameramann John Alcott  zusammengearbeitet. Bei „Barry Lyndon“, wo zum Ausleuchten reines Kerzenlicht verwendet wurde, und bei „The Shining“, der in „Fear X“ visuell zitiert wird.

Gemeinsam verwandeln sie die normale Quasi-Detektivgeschichte in einen Aufenthalt im Vorhof der Hölle. Der allgegenwärtige, bedrohliche Klangteppich, eine – durch langsame Kamerafahrten und die tranceähnlichen Bewegungen der Protagonisten – traumgleiche Stimmung, das Spiel mit Licht und Farben. All das erinnert zunächst einmal an Filme von David Lynch, wie „Lost Highway“ oder „Mulholland Drive“. Aber auch die großen  Klassiker des „Hotel als Hölle“-Genres werden zitiert. Natürlich „The Shining“, was bei der Wahl des Kameramannes ja auch kein Wunder ist. Teilweise erinnert der Film aber auch an „Barton Fink“, und dies nicht nur, weil Barton Fink persönlich, John Turturro, hier die Hauptrolle spielt. Auch die Visionen, die Caine plagen, sind dem Meisterwerk der Coen Brothers nicht unähnlich. Wenn Harry Caine am Anfang immer wieder die VHS-Tapes der Überwachungskamera auf der Suche nach Hinweisen durchlaufen lässt, mit der Kamera Bilder vom Bildschirm abfotografiert und vergrößert, fühlt man sich auch in Michelangelo Antonionis „Blow-Up“ versetzt. Refn kennt eben seine filmischen Väter. Und, ähnlich wie ein Quentin Tarantino, baut er aus den Zitaten, die nicht 1:1 übernommen, sondern nachgefühlt werden, etwas Neues.

Ich verstehe Zuschauer, die aufgrund des Finales – welches mehr Fragen stellt, als zuvor beantwortet wurden – frustriert sind.  Auch bedingt durch die Entscheidung Refns, die große Konfrontation, auf die seine Geschichte hinausläuft, nicht zu zeigen. Den Höhepunkt des Filmes einfach zu verweigern. Diesen konsequent auszublenden und provozierend durch mysteriöse Computergrafiken zu ersetzen. Möglicherweise ist diese große Leerstelle aber auch keine bewusste Entscheidung Refns gewesen, sondern schlicht und einfach dem fehlenden Geld geschuldet. Da im „Making Of“ betont wird, dass Refn unbedingt chronologisch filmen wollte, ist dies durchaus denkbar. Vielleicht soll aber auch unterstrichen werden, dass  Wahn und Wahrheit bei diesem Film enger zusammen liegen, als gedacht. Die Antwort kennen vielleicht nur Refn und Selby Jr. selber.

So bleibt es dem Zuschauer überlassen, wie er auf dieses Ende reagiert. Mit Wut, wie die Internetgemeinde, die ihn mit Hass und Ablehnung überschütten. Oder er lässt sich einfach in den Film fallen und Mitreißen von dem Sog, den er entfaltet. Man kann das Ende auch als Aufforderung verstehen, tiefer in die unterschiedlichen Schichten des Filmes einzutauchen und sich mit der Obsession der Hauptfigur zu beschäftigen. Denn auch Harry Caine ist besessen davon, Antworten zu finden. Und die große Tragik ist, dass er diese Antworten nicht finden wird. Ebenso, wie dem Zuschauer am Ende die Antworten vorenthalten werden, nach denen er so begierig lechzt. Und so werden die Schmerzen Harrys am Ende identisch mit den Schmerzen des Zuschauers, dem nur zwei Dinge übrig bleiben: Er suhlt sich in diesem Schmerz, oder er akzeptiert, dass es nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt. Dieselbe Möglichkeit hat auch Harry Caine.

In „Fear X“ findet sich schon viel von Windings späteren Meisterwerken, „Walhalla Rising“ und vor allem „Drive“. Trotz des relativ großen zeitlichen Abstandes kann „Fear X“ als Studienobjekt und Fingerübung für größere Aufgaben angesehen werden. Mit dem Erfolg von „Drive“ hat nun endlich auch „Fear X“ eine DVD-Veröffentlichung in Deutschland erhalten. Die qualitativ sehr gute DVD von Sunfilm Entertainment enthält neben dem Film noch das bereits oben angesprochene, 25-minütige und hochinteressante „Making Of“, welches während der Dreharbeiten entstanden ist und eine gute Ahnung von den vielen Schwierigkeiten während des Drehs gibt.

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