DVD-Rezension: “Die Höhle der vergessenen Träume”

2010 erhielt Werner Herzog vom französischen Kultur-Ministerium die Erlaubnis, unter strengen Auflagen einen Dokumentarfilm in der Chauvet-Höhle in Südfrankreich zu drehen. Nur er und zwei seiner Mitarbeiter durften sich für eine streng begrenzte Zeit in der Höhle aufhalten, die 1995 zufällig entdeckt wurde und in der sich die ältesten bekannten Höhlenmalereien der Welt befinden.

Im letzten Jahr machten zwei Dokumentationen Furore, die sich scheinbar an die aktuelle 3D-Welle hängten, welche zuvor lediglich Action-Blockbustern und Fantasiefilmen vorbehalten war. Beide stammten ausgerechnet von Ikonen des Neuen Deutschen Films. Wim Wenders dreht seine Tanz-Doku und Hommage an Pina Bausch, „Pina“, in 3D, und Werner Herzog wand die 3D-Technik für seine Dokumentation „Die Höhle der vergessenen Träume“ über die ältesten Malereien der Welt in der französischen Chauvet-Höhle an. Beide 3D-Dokus wurden von den Kritikern gut aufgenommen und 3D als DAS Format für den Dokumentarfilm gefeiert. Vor allem Herzogs Film trat einen weltweiten Triumphzug an und mauserte sich zur finanziell erfolgreichsten Dokumentation des Jahres 2011.

Ascot Elite veröffentlicht den Film jetzt in drei Formaten: Als DVD, als BluRay und als 3D-BluRay. Zur Rezension liegt die DVD vor, welche den Film selbstverständlich nur in 2D zeigt. Kann nun das flache Format dieselbe Faszination auslösen, wie die 3D-Version, die ich letztes Jahr im Kino bewundern durfte? Nun, natürlich fehlt etwas, da die Felsenzeichnungen die natürlichen Nischen und Windungen der Höhle für einen besonders naturalistischen Effekt nutzen. Etwas, was der „flache“ Film so nicht wiedergeben kann. Zudem vermisst man das Gefühl, mitten in der Chavez-Höhle zu stehen und nur die Hand ausstrecken zu müssen, um die Kristalle und Steine zu berühren. Andererseits sind die von Herzog eingefangen Bilder so stark, dass der Film auch ohne das Hilfsmittel 3D eine enorme Sogkraft entwickelt.

Herzog gelingt es mittels – zum Teil recht weit hergeholter – Hypothesen über die Künstler, die vor 30.000 Jahren diese Kunstwerke erschaffen haben, den geheimnisvoll-schönen Bildern aus der Höhle eine mythische Qualität zu verleihen. Dazu hilft ihm auch die kongeniale Musik des großartigen Avantgarde-Cellisten Ernst Reijseger, die der Höhle in eine hypnotische Atmosphäre zu tränkt. Dadurch wird die Chauvet-Höhle fast zu einem lebendigen Wesen. „Die Höhle der vergessenen Träume“ weniger ein Film für Dokumentar-Puristen, als vielmehr ein weiterer Mosaikstein Herzogs filmischen Schaffen, bei dem er ja selber nicht zwischen Dokumentation und Spielfilm unterscheidet. Und so inszeniert er diesen Film auch als ganz eigene Geschichte darüber, wie einst in der Chauvet-Höhle der Homo sapiens sich durch die Kunst seiner selbst bewusst wurde und über die Jahrtausende hinweg mit dem staunenden modernen Menschen kommuniziert. Dabei treibt es Herzog auch gerne einmal etwas zu weit, wenn er einen Flötenbauer im Inuit-Kostüm auftreten lässt, der auf einer prähistorischen Flöte die amerikanische Nationalhymne „entdeckt“. Oder einen ehemaligen Parfümier, der sich darauf spezialisiert hat, verborgene Höhlen aufgrund es ihres Geruchs aufzuspüren. Diese Figuren reihen sich allerdings nahtlos ins Herzogs Oeuvre der extremen, von ihren Obsessionen besessenen Charakteren ein.

Am Ende zeigt Herzog Albino-Alligatoren, die in einer tropischen Biosphäre leben, die unweit der Höhle mit dem aufgeheizten Kühlwasser eines Atomkraftwerkes betrieben wird. Jeder andere Filmemacher würde nun vielleicht zu einer Mahnung ansetzten, dass der Fortschritt die Natur und den Bestand der Höhle gefährdet. Nicht so Herzog. Er erzählt uns – ganz ähnlich wie in „The Wide Blue Yonder“ – anhand realer Bilder eine ganz eigene, fast surreale Geschichte über Alligatoren, die in einer ferner Zukunft die Höhle besuchen. Und so entlässt Herzog sein Publikum aus seinem Film hinaus in eine Welt voller Mythen und Wunder für diejenigen, die zu einem besonderen Blick auf die Dinge und die Herzogische „ekstatische Wahrheit“ zwischen den Bildern fähig sind.

Die DVD aus dem Hause Ascot Elite hat im Bild die gleichen Schwächen, die auch schon das Kinobild hatte. Damals erschienen mir die großen Kamerafahrten und -flüge in den Details leicht verschwommen. Dies hatte ich auf eine möglicherweise mangelhafte3D-Projektion geschoben. Da dieselben Schwächen nun aber auch auf der DVD zu bemerken sind, wird es am Ausgangsmaterial liegen. Die Aufnahmen in der Höhle sind zum Teil – aufgrund der Umstände, unter denen die Aufnahmen entstanden – zu dunkel und rauschen stark. Das ist aber ein Problem des mangelnden Lichts bei den Dreharbeiten und nicht der DVD. Der Ton liegt in einer gelungenen Abmischung vor, die die geniale Musik von Ernst Reijseger in den Vordergrund rückt. Das „Making Of“ ist ein schlechter Scherz. Es läuft keine vier Minuten und besteht zu 80% aus Szenen aus dem Film. Schade, denn gerade bei Herzog ist auch die Entstehung eines Filmes immer ein kleines Erlebnis, Andererseits erklärt er darüber auch viel im Film selber. Der auf der Verpackung angepriesene „spannende Movie-Guide“ist ein stinknormales 12-seitiges Booklet mit Informationen zu den beteiligten und der Höhle. Dieses ist allerdings vom Format her nur halb so groß wie ein normales Booklet.

Von diesen Mankos abgesehen ist „Höhle der vergessenen Träume“ eine wichtige Veröffentlichung, die zum wiederholten Ansehen einlädt.

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