DVD-Rezension: „Cheyenne – This Must Be The Place“

Der 50-jährige Ex-Goth-Sänger Cheyenne hat sich vor 20 Jahren vollkommen aus dem Musikgeschäft zurückgezogen, als zwei Jungendliche seine Texte zu wörtlich nahmen und sich umbrachten. Seitdem lebt er mit seiner Frau (einer Feuerwehrfrau) ein eintöniges Leben in einer schloßartigen Villa in Dublin. Obwohl schon lange nicht mehr im Geschäft, schminkt er sich noch immer jeden Tag, trägt dunkle Klamotten und hochtoupierte, pechschwarze Haare. Eines Tages erhält er die Nachricht, dass sein Vater (mit dem er 30 Jahre nicht mehr gesprochen hatte) in seiner Heimat, den USA, im Sterben liegt. Cheyenne macht sich gleich auf den Weg, aber bei seiner Ankunft ist der Vater bereits verstorben. Cheyenne erbt die Aufzeichnungen seines Vaters, der scheinbar sein Leben lang einen Mann namens Aloise Lange jagte, der Lagerwärter in Auschwitz war und ihn dort misshandelt haben soll. Cheyenne begibt sich auf eine Reise quer durch die USA, um die Arbeit seines Vaters zu einem Ende zu führen…

Wer, angesichts der großen Ähnlichkeit, die der fabelhafte Sean Penn in der Titelrolle mit The-Cure-Sänger Robert Smith hat, auf einen 80er-Jahre Musikfilm gehofft hat, wird schwer enttäuscht sein. Nicht nur hört man den ganzen Film über keine einzige Note der Band „Cheyenne and the Followers“. Auch ertönt bis auf Iggy Pops „The Passenger“ und David Byrne mit einer Big-Band-Version des Talking Heads-Klassikers „This Must Be the Place“ kein Musikstück aus der Zeit, in der Cheyennes fiktive Band ihren Karrierehöhpunkt hatte. Die 80er sind hier genauso tot, wie das Innere des Protagonisten.

Der Film ist eine ganz klassische Roadmovie-Geschichte, bei der die Reise den Protagonisten letztendlich zu sich selbst führt. Durch seine gedehnte Langsamkeit, die die melancholische Lethargie der Hauptperson widerspiegelt, erinnert der Film stark an Jim Jarmuschs „Broken Flowers“ oder David Lynchs „Straight Story„, die erste in Dublin spielende halbe Stunde wiederum an Sofia Coppolas exzellenten „Somewhere„. Wie dort spürt, man auch hier die große Blase, in der sich der einstmals gefeierte Cheyenne vor sich hin lebt. Zwei Dinge zeichnen „Cheyenne“ aus: Die wunderbare Fotografie von Luca Bigazzi und der schöne Score von Ex-Talking Heads-Chef David Byrne (weit weg von „Talking Heads“ Wahnsinn und mit starken Americana-Einflüssen). Insbesondere in den in den USA spielen Szenen, die Bigazzi in ein goldenes Licht taucht und ikonischen Bildern illustriert, verleihen dem Film im Zusammenspiel mit Byrnes Soundtrack eine magische Atmosphäre, durch die sich der Zuschauer gemeinsam mit Cheyenne treiben lassen kann.

Allerdings muss man beim Drehbuch einige Abstriche machen. Der Film wirkt merkwürdig ausgefranst. Es scheint fast so, als ob er aus einer noch sehr viel längeren Fassung zusammengestutzt worden wäre und Regisseur Paolo Sorrentino (Il Divo – Der Göttliche) dabei vergessen hätte, einige durch die Kürzungen redundant gewordene Erzählstränge zu tilgen. Wenn Cheyenne z.B. ein geliehener Pick-Up in Flammen aufgeht, wird eine Szene eingeblendet, die den von dem Wagen besessenen Besitzer zeigt, der Cheyenne ziemlich angsteinflößend damit droht ihn umzubringen, wenn dem Wagen etwas passiert. Nun wartet man den Rest des Filmes darauf, dass der Mann noch einmal auftaucht, aber er verschwindet genauso aus der Handlung, wie eingige andere interessante Nebencharaktere. Überhaupt bleibt es rätselhaft, warum dieser Mann – der keinem professionellen Dienst traut – gerade einer nicht wirklich vertrauenerweckenden Gestalt wie Cheyenne, seinen über alles geliebten, kostbaren Wagen in die Hand gibt. Und warum leiht sich Cheyenne den Wagen, wo doch mehr als einmal erwähnt wird, dass er sich keine finanziellen Sorgen machen muss?

Nicht nur hier schwächelt das Drehbuch. So wird mit der Mutter einer jungen Freundin Cheyennes ein Charakter eingeführt, der nie wirklich erklärt wird. Doch Paolo Sorrentino deutet immer wieder darauf hin, wie wichtig Maries Mutter für die Handlung und vor allem den Schluss des Filmes ist. Nun gehöre ich wahrlich nicht zu den Leuten, die fordern, dass in einem Film alles erklärt werden muss. Ganz im Gegenteil. Aber wenn dem Zuschauer schon suggeriert wird, dass das Verständnis eines Charakters wichtig ist für das Verständnis der Handlung, dann sollte man schon etwas deutlicher werden und den Zuschauer nicht mit vage Andeutungen auf eine eventuell falsche Fährte locken.

Sorrentinos größtes Verbrechen ist es aber, die grandiose Frances McDormand so sträflich zu vernachlässigen. Ihre Figur hat so viel Potential und Frances McDormand platzt nur so vor Spielfreude und Charisma, da ist es mehr als enttäuschend, wenn sie nach einer halben Stunde und nur sehr wenigen Szenen aus dem Film verschwindet. So ist es dann alleine an Sean Penn, den Film zu tragen. Und dies gelingt ihm ganz famos, denn unter der Maske des antriebslos-friedlichen, mit einer stockenden, sanften Stimme redenden und immer leicht abwesend scheinen Cheyenne, lugt bei Penns Darstellung ab und zu auch innere Wut und tiefe Verzweiflung hervor. Zwar sieht Sean Penn, mit seiner Schminke und den gewaltigen Haaren, wie ein Robert-Smith-Double aus, er legt seine Rolle von Gang und Sprechweise aber mehr wie Ozzy Osbourne an, so wie man ihn aus der Doku-Soap „The Osbournes“ kennt. Hier empfiehlt es sich, den Film in der Originalfassung zu schauen, da die deutsche Synchronisation zwar gut ist, aber Penns beeindruckendes Schauspiel nur unzulänglich wiedergeben kann.

Die DVD liefert ein durchschnittliches, anamorphes Bild in 2,35:1, englische und deutsche Tonspur in 5.1., sowie deutsche Untertitel. Als Extras gib es 32 Minuten Interviews mit vielen Beteiligten (allerdings nicht mit Sean Penn, der in allen Interviews immer hoch gelobt wird), die allerdings nicht viel Erhellendes zu Tage fördern, sowie den Trailer.

Die Kauf-DVD erscheint am 5. April.

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