Bericht vom 18. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 2

Weiter geht’s. Mein zweiter Tag auf dem 18. Internationalen Filmfest Oldenburg.

Um 11 Uhr musste ich bereits aus meinem Hotel auschecken. D.h., bis zum ersten Film des Tages, der um 15:00 Uhr begann, hatte ich noch vier Stunden zu überbrückt. Aufgrund meiner Erfahrungen aus dem letzten Jahr wusste ich, was ich in dieser Zeit tun konnte. Nicht wieder durch das sonntäglich ausgestorbene Oldenburg schlendern, sondern gleich zur Kulturetage durchstarten und mich umgehend in die Presse-Lounge begeben. Gesagt, getan.  Im Gegensatz zum Vorjahr, war der Pressebereich aber nicht schön mit schwarzen Tüchern abgehängt und es lief auch kein Film über Beamer. Im Gegenteil, der Bereich war lichtdurchgeflutet und kam mir gleich doppelt so groß vor. Da mir keins der Gesichter dort bekannt vorkam, lümmelte ich mich auf eine der Sofalandschaften und schmökerte etwas in der aktuellen „Splatting Image“.

Nach einiger Zeit betrat eine Gruppe von drei Männern und einer junge Frau sichtlich abgekämpft den Raum und ließ sich neben mir nieder. Einer von ihnen verwickelte mich gleich auf Englisch in ein Gespräch. Was ich denn auf dem Filmfest machen würde, welche Filme ich schon gesehen hätte usw. Auf seine Frage, welchen Film ich denn heute sehen wolle, antwortete ich, dass ich in diesen schwedischen Horrorfilm „Marianne“ gehen wollte. Da strahlte er und meinte „Hey, that’s MY movie!“. Tatsächlich stellte sich heraus, dass mein sympathisches Gegenüber Filip Tegstedt war. Regisseur, Autor und Produzent von „Marianne“ und in seiner Begleitung waren eine der Hauptdarstellerinnen, der Kameramann und sein Regie-Assistent. Es stellte sich heraus, dass die vier am Vortag direkt nach der heimischen Premiere des Filmes in Lund, in einen Wagen gestiegen und Non-Stop nach Oldenburg gefahren waren, um hier ihren Film persönlich vorzustellen. Dementsprechend abgekämpft sah die Truppe auch aus. Filip versuchte noch herauszufinden, wie viele Karten am Vortag und jetzt verkauft wurden, aber niemand konnte (wollte?) ihm eine Antwort darauf geben. Hätte er da schon gewusst, dass für den Nachmittag bisher nur maximal 8 Karten verkauft waren, hätte das seine große Euphorie sicherlich stark gebremst. Wir redeten dann noch gut eine halbe Stunde miteinander bis die vier aufbrachen,  um vor der Vorstellung noch etwas zu essen. Etwas später machte ich mich dann auch auf den Weg zum EWE-Forum.

Das EWE-Forum

So sehr ich das International Filmfest Oldenburg doch sonst immer für seine erstklassige Organisation lobe, die Idee das EWE-Forum als Abspielstätte (statt der Exerzierhalle) zu nutzen ist, mit Verlaub gesagt, ein ziemlicher Flop. Zu Fuß braucht man vom Cinemaxx oder Cine K aus über eine halbe Stunde. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wird es auch nicht besser, da die einzig mögliche Buslinie sonntags im 30-Minuten-Takt fährt. Dorthin zu kommen, war für mich nicht das Problem. Rein in den Bus, 6 Minuten Fahrt und dann war ich da. Problematisch wurde der Rückweg. Wenn man gleich im Anschluss noch gerne einen Film im Cinemaxx oder Cine K sehen möchte, dann muss man das SEHR genau planen und zur Not noch vor dem Abspann oder mitten in der Frage-und-Antwort-Runde aus dem Saal rennen.

Bei der „Marianne“ Vorstellung hatten sich gerade mal knapp ein Dutzend Besucher eingefunden. Was mir für den Regisseur und seine Begleiter sehr Leid tat. Schließlich hatten sie gerade fast 24 Stunden im Auto hinter sich, um bei der Vorstellung anwesend zu sein. Später sprach ich noch mit einigen anderen Filmfest-Besuchern und das Echo war eigentlich überall gleich: Man hätte den Film zwar gerne gesehen, aber man scheute den Weg ins weit abgelegene EWE-Forum, da man befürchtete zum Anfang des nächsten Filmes nicht schnell genug zurück zu kommen. Schade.

Aber nun zu „Marianne„. Kristers Frau ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als eine Geisterfahrerin frontal in sein Auto krachte und danach durch den Sprung von einer Brücke Selbstmord beginnt. Seitdem kann Krister nicht mehr schlafen, denn er wird nächtens von einer mysteriösen rothaarigen Frau im grünen Mantel heimgesucht. Zudem hat er große Schwierigkeiten mit seiner pubertierenden Goth-Tochter, die ihm noch heute Vorwürfe macht, dass er die Familie einst kurzzeitig für eine Geliebte verließ. Zudem noch um sein seinen Säugling kümmern. Natürlich will niemand Kristers Geschichte von dem bösen Geist glauben, also versucht er den Geist mithilfe des leicht spinnernden Freundes seiner Tochter zu bekämpfen. Dabei hat er allerdings nicht bedacht, dass es nicht nur gilt, sich selbst zu schützen…

Die Geschichte liest sich spannender als der Film ist. Tatsächlich spielt die Gruselgeschichte nur eine untergeordnete Rolle und könnte (das bleibt offen) auch nur das personifizierte schlechte Gewissen Kristers sein. Mehr interessiert zeigt sich Regisseur Filip Tegstedt an dem Konflikt zwischen Vater und Tochter. Und da liegt auch die größte Schwäche des Films. Die Tochter nervt einfach nur. So wie eben alle pubertierende Mädchen nerven. Aber es wäre wichtig gewesen, den Zuschauer auch Empathie für die Tochter empfinden zu lassen. Das wird hier nicht unbedingt geschafft. Im Gegenteil, man möchte der Tochter mit ihrer absoluten Anti-Haltung gerne mal in den Hintern treten. Der Horroranteil ist, wie gesagt, recht zurückgefahren, wenn es auch zwei-drei wirklich unheimliche Szenen gibt. Ansonsten ist der Film mehr die Psychostudie eines durchschnittlichen Mannes, der von  Thomas Hedengran sehr überzeugend verkörpert wird. Dieses Psychogram funktioniert auch ganz gut, aber gerade durch die reißerischen Filmplakate, die mehr in Richtung Gothik-Horror oder Slasher gehen, entsteht im Vorfeld eine völlig andere Erwartung. Was ich wirklich kaum glauben konnte war, dass der Film mit einer normalen digitalen Fotokamera mit HD-Video-Funktion gedreht sein soll. Dafür war das Bild sehr klar, ruhig und die Farben kräftig. Sehr positiv ist mir auch die Musik aufgefallen. Ansonsten bietet der Film solide, wenn auch leider sehr vorhersehbare, Durchschnittsware und ist in seinem Horrorteil sichtlich von dem vor einigen Jahren modischen Japanhorror beeinflusst. Auf Nachfrage sagte Filip Tegstedt auch, dass „Dark Water“ zu seinen absoluten Lieblingsfilmen gehört. Der Geist in „Marianne“ wäre aber von einer alten norwegischen Fernsehserie inspiriert. In der Frage und Antwort-Runde kamen noch einige interessante Details zutage. So hat Filip Tegstedt, das Haus seines verstorbenen Großvaters verkauft, um diesen Film drehen zu können. Sonst hat er keine weitere Unterstützung bekommen. Für unabhängige Filmemacher abseits der vier großen schwedischen Produktionsfirmen gäbe es keine Chance für den Einstieg ins Filmgeschäft, als – hier im wahrsten Sinne des Wortes – Haus und Hof zu verkaufen.

Das Filmplakat zu "Marianne"

Der sympathische Filip Tegstedt

Regisseur Filip Tegstedt, Darstellerin Sandra Larsson, Produktions-Assistent Linus Persson und Kameramann Johan Malmsten

Da ich unmittelbar nach Ende der Frage-und Antwort-Runde aus dem Kino gestürmt war, schaffte ich es gerade noch, so den Bus zurück Richtung Cinemaxx zu erwischen. So war ich dann auch pünktlich zu meinem letzten Film für das diesjährige Internationale Filmfest Oldenburg im Kinosaal. Gezeigt wurde der Film, auf den ich mich am Meisten gefreut hatte: „22nd of May“ von Koen Mortie, dem Regisseur von „Ex Drummer„, welchen ich bis heute leider nicht gesehen habe – von dem ich aber von allen Seiten nur Gutes gehört habe. Im Vorfeld hatte ich mich auch gar nicht so richtig über „22nd of May“ informiert, da für mich sehr früh fest stand, dass ich den auf jeden Fall sehen wollte. Das könnte von Vorteil gewesen sein. Warum, darauf gehe ich später ein.

Der Film beginnt mit einem Durchschnittsmenschen in einem Brüsseler Wohnghetto. Wir sehen ihn beim Verrichten seiner morgendlichen Tätigkeit und auf dem Weg zur Arbeit. Er ist Sicherheitsbeamter in einer Shopping Mall. Sein Job ist es, vor der Eingangstür zu stehen, den Leuten Auskunft zu geben und unerwünschte Penner rauszuwerfen. Dann eine Explosion. Ein Selbstmordattentäter hat eine Bombe gezündet und den Eingangsbereich der Mall förmlich pulverisiert. Der Sicherheitsbeamte versucht noch einige Schwerverletzte zu retten, doch dann ergreift ihn Panik und er rennt davon. In einer menschenleeren Straße bricht er zusammen und wird plötzlich von einer Frau angesprochen, die zu den Opfern der Explosion gehört. Sie klagt ihn an, diese nicht verhindert zu haben und will von ihm wissen, warum sie und ihr Kind sterben mussten. Der Sicherheitsbeamte irrt durch die nun völlig ausgestorbene Stadt und trifft immer wieder auf die Opfer der Explosion, die Vorwürfe erheben, sich für ihr Leben rechtfertigen und ihm ihre Version der Dinge mitteilen. Schließlich macht er sich auf, um den Attentäter im Nachhinein doch noch von seinem Plan abzubringen und die Geschichte zu ändern.

Ich muss sagen, der Auftakt des Filmes ist einer der erschütterndsten und intensivsten Momente, die ich in den letzten Jahren im Kino erlebt habe. Da sie mich völlig unvorbereitet (siehe oben) traf, hat mich die Explosion wirklich geschockt. Das Chaos und die verzweifelten Schreie der Opfer sind durch ein grandiosen Sounddesign und die Bildgestaltung dermaßen bedrückend und intensiv, dass ich den Protagonisten sehr gut verstehen kann. Diese Sequenz ist physisch und psychisch so schmerzvoll, dass man auch flüchten möchte. Danach begibt sich der Film in ruhigere Gewässer. Ich gebe zu, dass ich diese ganzen „Zwischenwelt“-Geschichten nicht mehr sehen kann. Hier mache ich aber gerne eine Ausnahme, da der Film hier einen etwas anderen Dreh nimmt. Die Opfer werden vorgestellt, man erfährt warum sie in diesem Augenblick an diesem Ort waren. Man baut eine wirkliche Beziehung zu ihnen auf. Interessant auch der „Rashomon“-Kniff des Regisseurs, die Geschichten jeweils völlig subjektiv zu erzählen, so dass es auch immer wieder Widersprüche in den Erzählungen der Einzelnen gibt. Eine interessante Art zu zeigen, dass jedes Leben eine eigene Welt darstellt, die durch den Tod vernichtet wird. Umso erschütternder das Finale, welches todtraurig, aber gleichzeitig trotz seiner Brutalität unglaublich ästhetisch ist. Ein optischer und akustischer Rausch, welcher einen die Tränen in die Augen schießen lässt und gleichzeitig die Faust in den Magen rammt. Der Anfang und der Schluss des Filmes bildet eine mächtige Klammer, die zu dem Beeindrucktesten gehört, was das Kino in den letzten Jahren zu bieten hatte. Die Geschichte dazwischen weiß auch zu gefallen, lediglich bei der Zeichnung des Attentäters muss man einige Abstriche machen. Diese wirkt nicht so zwingend, wie die der Opfer. Auch können gewissen Längen im Mittelteil nicht verleugnet werden. Insgesamt aber ein lohnendes, intensives Werk.

Danach wäre ich noch gerne zum Plaudern geblieben, aber die Zeit drängte und Züge warten eben nicht. Damit war das 18. Internationale Filmfest Oldenburg für mich beendet und mir bleibt die Vorfreude auf No. 19.

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