Filmtagebuch: “Filmforum Bremen” unterwegs – 52. Nordische Filmtage in Lübeck, Tag 2

Und weiter geht’s mit meinem Bericht über die 52. Nordischen Filmtage in Lübeck.

Mein zweiter Tag begann mit einer kleinen Enttäuschung. Eigentlich wollten meine Frau und ich an diesem Morgen gemeinsam in die Vormittagsvorstellung gehen. Nun, wer geht schon an einem Freitagmorgen um11:00 Uhr ins Kino, dachte ich mir und kümmerte mich deshalb nicht im Vorfeld um eine Karte für sie. Ein böser Fehler, denn die Antwort auf diese Frage lautete: viele. Die Vorstellung war bereits ausverkauft und so musste ich meine besser Hälfte allein in der Kälte stehen lassen.

Für mich selber war es auch nicht einfach in die Vorstellung zu kommen, denn die Dame vor mir bekam die letzte Akkreditierten-Karte und so stand auch ich ohne Ticket da. Nach einem kurzen Enttäuschungsausbruch, machte ich der sehr freundlichen jungen Dame am Eingang klar, dass ich den Film unbedingt sehen wollte (sonst wäre auch mein eh schon fragiler „Guck-Plan“ hoffnungslos in sich zusammengebrochen) und dafür auch auf der Treppe Platz nehmen würde. Sie sah mich erstaunt an, ließ mich dann aber mit einem Schulterzucken in den Kinosaal schlüpfen.

Dort machte ich es mir erst einmal auf den Treppenstufen bequem. Insgeheim spekulierte ich auf die reservierten Jury-Plätze. Denn auch wenige Minuten vor Vorstellungsbeginn, war niemand von der Jury zu sehen. Ein älterer Herr, der neben den „Jury“-Plätzen Platz genommen hatte, meinte er hätte bisher um diese Zeit noch nie jemanden von der Jury im Kino gesehen und die Plätze blieben immer leer. Die Wartezeit nutzte ich, um hier und da ein wenig mit dem netten Service-Personal zu plaudern. Kurz bevor die Lichter ausgingen, konnte doch noch einen leeren Platz für mich gefunden werden. Zwar ganz außen an der Wand und es ragte leicht ein Scheinwerfer ins Bild, aber immerhin war es bequemer als auf der Treppe. Die Jury erschien übrigens nicht mehr.

Vor dem Hauptfilm wurde zunächst der Kurzfilm „The New Tenants“ gezeigt. Dieser in einem New Yorker Apartment spielende Kurzfilm basiert auf einem Drehbuch von Anders Thomas Jensen und hat 2010 den Oscar für den besten Kurzfilm gewonnen. Warum ist mir nicht ganz klar. Die Story ist zwar lustig und makaber (die beiden neuen Mieter erhalten nacheinander Besuch von einigen merkwürdigen Gestalten, die dann auf unterschiedlichste Weise ihr Leben aushauchen), aber nichts Besonderes und er verläuft irgendwie ins Nichts.

Der Hauptfilm „The Good Heart“ war da schon von anderem Kaliber. Hier geht es um einen jungen Obdachlosen und einem alten Barbesitzer, die sich im Krankenhaus treffen, nachdem der Junge einen missglückten Selbstmordversuch unternommen und der Alte seinen fünften Herzinfarkt knappt überlebt hat. Der misanthropische Alte nimmt daraufhin den herzensguten und unendlich naiven Jungen unter seine Fittiche und möchte ihn zum Erben seiner Bar erziehen.

Ein wunderbarer Film voller Herz (ja) und Humor. Dabei gelingt dem isländischen Regisseur Dagur Kári („Dark Horse„) bei seinem ersten englischsprachigen Film das Kunststück, nie ins Sentimentale abzugleiten. Und wenn er am Ende dann doch rührend wird, thematisiert er dies und macht es zum Bestandteil der Handlung. Wenn selbst ein Furz-Witz wirklich lustig und nicht peinlich wirkt, dann ist das schon hohe Kunst.

„The Good Heart“ glänzt auch mit zwei herausragenden Hauptdarstellern. Brian Cox spielt den Alten und Paul Dano kann als der Junge glänzen, den man einfach ins Herz schließen muss. Eine große Leistung dieses außergewöhnlichen Schauspielers, den man in seiner Rolle als diabolisch-fanatischer Prediger in „There Will Be Blood“ noch so schön hassen konnte. Paul Dano ist für mich der Edward Norton  seiner Generation. Aber auch die Nebenfiguren sind liebevoll gezeichnet und ausgezeichnet besetzt.

Lediglich die arg konstruierte, und schon nach 10 Minuten vorhersehbare, letzte Wendung stört ein wenig. Aber ansonsten bietet „The Good Heart“ hervorragende, intelligente Unterhaltung. Lange Zeit blieb er mein Favorit auf den Filmtagen und erhielt am Ende auch völlig zu Recht den Publikumspreis. Noch vor dem favorisierten „Sound of Noise“.

Nach dem Film musste ich mich erst einmal um meine Frau kümmern, die ja vor dem Kino zurückgeblieben war und Zeit für einen ausgedehnten Spaziergang genutzt hatte. Gottseidank war das Wetter im Vergleich zum Vortag etwas aufgeklart. So zogen wir nun gemeinsam durch das schöne Lübeck (welches definitiv eine Reise wert ist) und ich kehrte erst am Abend ins Kino zurück.

Nun ging es ins Kolloseum, welches ich ja schon vom Vortag kannte, um „Ein Mann von Welt“ (aka „A Somewhat Gentle Man“) zu sehen. War mir gestern der Weg noch sehr lang vorgekommen, stellte ich nun fest, dass man es zu Fuß in knapp 10 Minuten erreichen konnte. Eigentlich wollte ich mich vor Filmbeginn noch in der Presse-Lounge aufhalten. Da diese aber irgendwie ungemütlich war und da ich eh niemanden zum Quatschen hatte, stellte ich mich relativ früh in die Schlange vorm Saaleingang. Das riesengroße Kolloseum, welches wohl eigentlich eine Konzerthalle ist, füllt sich dann auch recht schnell. Was wohl daran lag, dass der große Stellan Skarsgård angekündigt war, um den Film, in dem er die Titelrolle spielt, vorzustellen. Der schwedische Herr Skarsgård kam dann auch, zusammen mit dem norwegischen Regisseur Hans Petter Moland  und dem dänischen Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson, um ein paar einleitende Worte so sagen.

Ein  Mann von Welt“ (En ganske snill mann) ist schwer zu kategorisieren. Er spielt mit Elementen der Komödie,  erzählt aber im Grunde eine ernstafte Geschichte. Wobei die gelungensten Komödien ja eh verkappte Tragödien sind. Es gelingt dem Film aber durch das stoische Spiel seiner Darsteller eine heitere Atmosphäre zu schaffen, was vom Publikum durch eine gute und ausgelassene Stimmung quittiert wurde. In „Ein ‚Mann von Welt“ geht es um einen frisch aus dem Gefängnis entlassenen Kleinkriminellen, der einst im Affekt einen Nebenbuhler erstach. Nun will er ein ehrliches Leben führen. Dies wird ihm aber dadurch erschwert, dass seine ehemalige Gang  von ihm verlang, Rache an dem zu nehmen, der ihn einst verraten hat.

Der Film lebt von den skurrilen Situationen, mit denen seine simple Hauptfigur konfrontiert wird und denen er sich ungerührt stellt. Ein echter „crowd-pleaser, der auch vom Publikum dankbar angenommen wurde. Macht viel Spaß und tut nicht weh.

Nach dem Film stellten sich Regie, Drehbuch und Hauptdarsteller den Fragen des Publikums (welche sich vornehmlich um die Sexszenen zwischen Stellan Skarsgård und der 65-jährigen Jorunn Kjellsby kreisten), die sie auf sehr humorvolle Weise und mit merklich Spaß an der Sache beantworteten.

Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson, Regisseur Hans Petter Moland und Hauptdarsteller Stellan Skarsgård

Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson, Regisseur Hans Petter Moland und Hauptdarsteller Stellan Skarsgård

Kim Fupz Aakeson, Hans Petter Moland, Stellan Skarsgård und Moderator

"Hä?"

Kumpels: Hans Petter Moland und Stellan Skarsgård

Zum Abschluss des Tages hetzte ich zur „Stadthalle“ zurück. Diesmal war ich so früh da, dass ich als sechster in der Reihe stand, die auf Einlass ins Kino wartete – 55 Minuten vor Filmbeginn! Der Film meiner Wahl war der norwegische „Home For Christmas“.

Vor dem Hauptfilm wurde noch der schwedische Kurzfilm „Zwischenfall vor einer Bank“(Händelse vid bank) gezeigt, der schon den Kurzfilmwettbewerb der Berlinale gewonnen hatte. Der Film wird von einer einzigen Kameraposition erzählt. Die Kamera schwenkt zwar ab und zu und manchmal wird langsam gezoomt, aber man bleibt immer auf Distanz. In Echtzeit sieht man eine Straße und Passanten. Zwei junge Männer treffen sich, ab und zu fährt ein Karneval(?)-Wagen durchs Bild. Plötzlich erscheinen zwei Männer auf Motorrädern. Umständlich versuchen sie eine Bank zu überfallen, bemerken aber, dass sie im falschen Gebäude sind. Daraufhin fahren sie zur richtigen Bank, nur einige Meter weiter. Dabei werden sie von Passanten beobachtet, die aber – wie die Kamera, die das Auge des Zuschauers ist – passiv bleiben, den Zwischenfall nur beobachten und zynisch kommentieren. Ein rundum gelungener Film mit tiefgründigem Humor, aber auch einer zweiten Ebene, die das Verhalten der Zuschauer, sowohl der im Kino, wie auf denen auf der Leinwand, hinterfragt.

Dann folgte der gänzlich anders geartete Weihnachtsfilm „Home For Christmas“ (Hjem til jul) vom „O’Horton“ und „Kitchen Stories“-Regisseur Bent Hamer. Leider ist dieser Spielfilm aber auch gleichzeitig der schwächste, den ich in Lübeck gesehen habe. Das heißt nun nicht, dass er ein Totalausfall gewesen wäre. Er unterhält ganz leidlich, ist aber bei nähere Betrachtung ist er ein großes, aufgeblasenes Nichts. Der Film webt fünf Episoden zusammen, die alle gemeinsam in einer Weihnachtsnacht spielen. Das Problem ist nur, dass zwei diese Episoden gerade mal ein erzählerisches Potential für einen maximal 10-minütigen Kurzfilm haben. Die drei anderen sogar noch für weniger. Der Film geht allerdings 90 Minuten, so das sich die dünnen Geschichtchen ziemlich ziehen und man sich am Ende fragt, was das jetzt sollte. Immerhin trauert man nicht verschwendeter Lebenszeit hinterher und dem Film gelingt es ganz gut, ein weihnachtliche Stimmung zu zaubern. Aber reicht das wirklich aus? Ärgerlich ist allerdings der unpassende Prolog, der während des Balkankrieges spielt und am Ende des Filmes eine ziemlich unbefriedigende und konstruierte Auflösung erfährt. Diese Sequenz ist ein Fremdkörper, da sie nicht im Geringsten zum restlichen Film passt (weder von der Optik, noch von der Geschichte her) und willkürlich angepappt wirkt.

Müde schleppte ich mich zurück ins Hotel. Der zweite Tag war vorbei.

Morgen geht’s weiter…

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